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Mitten aus dem Leben  -  Urteile und Tipps zu §§
D.A.S. Rechtsschutzexperten erläutern Rechte der Verbraucher

 

Kreditbearbeitungsgebühren für Volksbank Rhein-Ruhr kein Thema
Für Kunden der 'Deutschen Bank' aber wohl

 
Dezember 2015

Änderungen beim Kindesunterhalt 2016 Familienrecht  
Dezember 2015 - Ab 1. Januar 2016 gelten gesetzliche Änderungen beim Kindesunterhalt. Der gesetzliche Mindestunterhalt orientiert sich künftig nicht mehr an den steuerlichen Kinderfreibeträgen, sondern am Existenzminimum. Dies ergibt sich nach Informationen der D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) aus dem „Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts“ vom 20. November 2015. Die Unterhaltssätze der Düsseldorfer Tabelle steigen.  


Hintergrundinformation
Schon seit längerer Zeit war das Verfahren zur Berechnung des Mindestunterhalts für minderjährige Kinder in der Kritik. Der Mindestunterhalt war per Gesetz an den steuerlichen Kinderfreibetrag gekoppelt. Eine zügige Erhöhung des Unterhalts war damit schwierig. Teilweise lag er unter dem kindlichen Existenzminimum. Der Gesetzgeber hat hier nun einige Änderungen vorgenommen. Mindestunterhalt: Nach Mitteilung des D.A.S. Leistungsservice spielt der Kinderfreibetrag künftig bei der Berechnung des Mindestunterhalts keine Rolle mehr.

Die entscheidende gesetzliche Vorschrift ist § 1612a des Bürgerlichen Gesetzbuches. Ab 2016 besagt diese Regelung, dass sich der Mindestunterhalt am Existenzminimum des minderjährigen Kindes ausrichtet. Dieses ist dem alle zwei Jahre veröffentlichten Existenzminimumbericht der Bundesregierung zu entnehmen. Die geänderte Vorschrift regelt auch, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz künftig im Zweijahresrhythmus den Mindestunterhalt durch eine Rechtsverordnung festlegen wird, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Der letzte Teil ist wichtig – dadurch vereinfacht und verkürzt sich das Verfahren, um eine solche Änderung zu beschließen. Die Neuregelung gilt ab 1. Januar 2016. Vereinfachtes Unterhaltsverfahren: Das vereinfachte Unterhaltsverfahren ist ein schriftliches Verfahren, um über das Familiengericht einen rechtskräftigen Unterhaltstitel zu erhalten.
Dieses Verfahren war oft in der Kritik, weil es zwar ohne anwaltliche Hilfe stattfinden konnte, die Formulare und rechtlichen Folgen jedoch für Laien schwer zu durchblicken waren. Um das Verfahren effizienter zu machen, wird es nun in mehreren Punkten geändert. Auch ein neues Antragsformular für den Unterhalt soll es geben, das auch Laien verstehen können – aber erst zum 1. Januar 2017.

Düsseldorfer Tabelle
Die Gerichte ziehen bei der Unterhaltsberechnung meist die Düsseldorfer Tabelle zu Rate. Diese ist zwar kein Gesetz, wird aber als Richtlinie benutzt. Ab 1. Januar 2016 gelten höhere Sätze beim Unterhaltsbedarf.
In der geringsten Einkommensklasse des Unterhaltszahlers (bis 1.500 Euro netto) gelten nun folgende Sätze:
Altersstufe 1 (bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr: 335 Euro;
Altersstufe 2 (vom siebenten bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres): 384 Euro; Altersstufe 3 (vom 13. Lebensjahr bis zur Volljährigkeit): 450 Euro.
Diese Zahlen betreffen den Unterhaltsbedarf; der tatsächliche Zahlbetrag kann abweichen. Das Kindergeld ist bei minderjährigen Kindern zur Hälfte auf den Unterhaltsbedarf anzurechnen. 
Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts, BGBl. Teil I, Nr. 46 vom 25.11.2015

 

Bundesgerichtshof zur Zulässigkeit sogenannter "No-Reply" Bestätigungsmails mit Werbezusätzen Urteil vom 15. Dezember 2015 - VI ZR 134/15
Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat hat gestern entschieden, dass gegen den erklärten Willen eines Verbrauchers übersandte E-Mail Schreiben mit werblichem Inhalt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen.
Der Kläger ist Verbraucher. Er wandte sich am 10. Dezember 2013 mit der Bitte um Bestätigung einer von ihm ausgesprochenen Kündigung per E-Mail an die Beklagte. Die Beklagte bestätigte unter dem Betreff "Automatische Antwort auf Ihre Mail (…)" wie folgt den Eingang der E-Mail des Klägers:

"Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir bestätigen Ihnen hiermit den Eingang Ihres Mails. Sie erhalten baldmöglichst eine Antwort. Mit freundlichen Grüßen Ihre S. Versicherung
- Übrigens: Unwetterwarnungen per SMS kostenlos auf Ihr Handy. Ein exklusiver Service nur für S. Kunden.
Infos und Anmeldung unter (…)
- Neu für iPhone Nutzer: Die App S. Haus & Wetter, inkl. Push Benachrichtigungen für Unwetter und vielen weiteren nützlichen Features rund um Wetter und Wohnen: (…) ***
- Diese E-Mail wird automatisch vom System generiert. Bitte antworten Sie nicht darauf.***

Der Kläger wandte sich daraufhin am 11. Dezember 2013 erneut per E-Mail an die Beklagte und rügte, die automatisierte Antwort enthalte Werbung, mit der er nicht einverstanden sei. Auch auf diese E-Mail sowie eine weitere mit einer Sachstandsanfrage vom 19. Dezember 2013 erhielt der Kläger eine automatisierte Empfangsbestätigung mit dem obigen Inhalt.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, zum Zwecke der Werbung mit ihm, dem Kläger, ohne sein Einverständnis per E-Mail Kontakt aufzunehmen oder aufnehmen zu lassen, wenn dies geschieht wie im Falle der E-Mails vom 10., 11. und 19. Dezember 2013.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Die zugelassene Revision hat zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils geführt.
Jedenfalls die Übersendung der Bestätigungsmail mit Werbezusatz vom 19. Dezember 2013 hat den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, weil sie gegen seinen zuvor erklärten ausdrücklichen Willen erfolgt ist. Vorinstanzen: AG Stuttgart-Bad Cannstatt – Urteil vom 25. April 2014 – 10 C 225/14 LG Stuttgart – Urteil vom 4. Februar 2015 – 4 S 165/14
Karlsruhe, den 16. Dezember 2015

 

Bundesarbeitsgericht Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Angemessenheit eines Nachtarbeitszuschlags - Dauerhafte Nachtarbeit

 

Bestehen keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen, haben Nachtarbeitnehmer nach § 6 Abs. 5 ArbZG einen gesetzlichen Anspruch auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag oder auf eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage. Regelmäßig ist dabei ein Zuschlag iHv. 25% auf den Bruttostundenlohn bzw. die entsprechende Anzahl freier Tage für die zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr geleisteten Nachtarbeitsstunden angemessen. Bei Dauernachtarbeit erhöht sich dieser Anspruch regelmäßig auf 30%.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Lkw-Fahrer im Paketlinientransportdienst tätig. Die Arbeitszeit beginnt in der Regel um 20.00 Uhr und endet unter Einschluss von Pausenzeiten um 6.00 Uhr. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden. Sie zahlte an den Kläger für die Zeit zwischen 21.00 Uhr und 6.00 Uhr einen Nachtzuschlag auf seinen Stundenlohn iHv. zunächst etwa 11%. Später hob sie diesen Zuschlag schrittweise auf zuletzt 20% an. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm einen Nachtarbeitszuschlag iHv. 30% vom Stundenlohn zu zahlen oder einen Freizeitausgleich von zwei Arbeitstagen für 90 geleistete Nachtarbeitsstunden zu gewähren.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgeben, das Landesarbeitsgericht hingegen nur einen Anspruch iHv. 25% festgestellt. Die Revision des Klägers hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Bestehen - wie im Arbeitsverhältnis der Parteien - keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen, haben Nachtarbeitnehmer nach § 6 Abs. 5 ArbZG einen gesetzlichen Anspruch auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag oder auf eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage für die zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden. Regelmäßig ist dabei ein Zuschlag iHv. 25% auf den Bruttostundenlohn bzw. die entsprechende Anzahl bezahlter freier Tage angemessen. Eine Reduzierung der Höhe des Nachtarbeitsausgleichs kommt in Betracht, wenn während der Nachtzeit beispielweise durch Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst eine spürbar geringere Arbeitsbelastung besteht.

Besondere Belastungen können zu einem höheren Ausgleichsanspruch führen. Eine erhöhte Belastung liegt nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen bei Dauernachtarbeit vor. In einem solchen Fall erhöht sich der Anspruch regelmäßig auf einen Nachtarbeitszuschlag iHv. 30% bzw. eine entsprechende Anzahl freier Tage. Da der Kläger Dauernachtarbeit erbringt, steht ihm ein Ausgleichsanspruch iHv. 30% zu. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ein für die Zeit zwischen 21.00 Uhr und 23.00 Uhr gezahlter Zuschlag nicht anrechenbar. Ebenso wenig ist die Höhe des Stundenlohns des Klägers relevant. Erkennbare Anhaltspunkte dafür, dass in diesem bereits ein anteiliger Nachtarbeitszuschlag enthalten ist, bestehen nicht.

 

Bundesgerichtshof verbietet "HIMBEER-VANILLE- ABENTEUER"-Werbung von Teekanne
Urteil vom 2. Dezember 2015 - I ZR 45/13 - Himbeer-Vanille-Abenteuer II Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat hat abschließend in einem Rechtstreit über die Irreführung von Verbrauchern durch die Produktaufmachung eines Früchtetees entschieden.
Die Beklagte, ein namhaftes deutsches Teehandelsunternehmen, vertreibt unter der Bezeichnung "FELIX HIMBEER-VANILLE-ABENTEUER" einen Früchtetee, auf dessen Verpackung sich Abbildungen von Himbeeren und Vanilleblüten sowie die Hinweise "nur natürliche Zutaten" und "FRÜCHTETEE MIT NATÜRLICHEN AROMEN" befinden.
Tatsächlich enthält dieser Tee keine Bestandteile oder Aromen von Vanille oder Himbeere. Nach Ansicht des klagenden Verbraucherverbandes führen diese Angaben auf der Verpackung des Tees der Beklagten den Verbraucher über die Zusammensetzung des Tees in die Irre. Er hat die Beklagte aus diesem Grund auf Unterlassung und Zahlung von Abmahnkosten in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten hat zur Abweisung der Klage geführt, weil nach Ansicht des Berufungsgerichts eine Irreführung der angesprochenen Verbraucher nicht stattfindet. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, die Verbraucher würden aufgrund der Angabe "natürliches Aroma mit Vanille- und Himbeergeschmack" im Zutatenverzeichnis erkennen, dass in dem Früchtetee keine Bestandteile von Vanille und Himbeeren enthalten sind.
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 der Richtlinie über die Etikettierung von Lebensmitteln* durch das Aussehen, die Bezeichnung oder bildliche Darstellung den Eindruck des Vorhandenseins einer bestimmten Zutat erwecken dürfen, obwohl die Zutat tatsächlich nicht vorhanden ist und sich dies allein aus dem Verzeichnis der Zutaten gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 dieser Richtlinie** ergibt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage verneint. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und das Urteil des Landgerichts wiederhergestellt. Er hat angenommen, dass das Publikum durch die hervorgehobenen Angaben "HIMBEER-VANILLE- ABENTEUER" und die Abbildungen von Vanilleblüten und Himbeeren zu der Annahme veranlasst wird, in dem Tee seien Bestandteile oder Aromen von Vanille und Himbeeren enthalten. Zwar lesen Verbraucher, die sich in ihrer Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung des Erzeugnisses richten, das Verzeichnis der Zutaten.

Der Umstand, dass dieses Verzeichnis auf der Verpackung des Tees angebracht ist, kann jedoch für sich allein nicht ausschließen, dass die Etikettierung des Erzeugnisses und die Art und Weise, in der sie erfolgt, die Käufer irreführen. Die Etikettierung umfasst alle Angaben, Kennzeichnungen, Hersteller und Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und auf dessen Verpackung angebracht sind. Wenn die Etikettierung eines Lebensmittels und die Art und Weise, in der sie erfolgt, insgesamt den Eindruck entstehen lassen, dass das Lebensmittel eine Zutat enthält, die tatsächlich nicht vorhanden ist, ist eine Etikettierung geeignet, den Käufer über die Eigenschaften des Lebensmittels irrezuführen.

Danach sind die verschiedenen Bestandteile der Etikettierung des Früchtetees insgesamt darauf zu überprüfen, ob ein normal informierter und vernünftig aufmerksamer und kritischer Verbraucher über das Vorhandensein von Zutaten oder Aromen irregeführt werden kann. Das ist vorliegend aufgrund der in den Vordergrund gestellten Angaben auf der Verpackung der Fall, die auf das Vorhandensein von Vanille- und Himbeerbestandteilen im Tee hinweisen.

Vorinstanzen: LG Düsseldorf - Urteil vom 16. März 2012 - 38 O 74/11 OLG Düsseldorf - Urteil vom 19. Februar 2013 - 20 U 59/12 BGH, Beschluss vom 26. Februar 2014 - I ZR 45/13 - Himbeer-Vanille Abenteuer I, GRUR 2014, 588 = WRP 2014, 694 EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 - C 195/14 Verbraucherzentrale Bundesverband/Teekanne)

November 2015

 

Bundesgerichtshof zur Haftung von Access-Providern für Urheberrechtsverletzungen Dritter
Urteile vom 26. November 2015 - I ZR 3/14 und I ZR 174/14
26. November 2015 - Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute in zwei Verfahren über die Haftung von Unternehmen, die den Zugang zum Internet vermitteln (Access-Provider), für Urheberrechtsverletzungen Dritter entschieden.

Die Klägerin im Verfahren I ZR 3/14 ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Sie nimmt für Komponisten, Textdichter und Musikverleger urheberrechtliche Nutzungsrechte an Musikwerken wahr. Die Beklagte ist Deutschlands größtes Telekommunikationsunternehmen. Sie war Betreiberin eines zwischenzeitlich von einer konzernverbundenen Gesellschaft unterhaltenen Telefonnetzes, über das ihre Kunden Zugang zum Internet erhielten. Als sogenannter Access-Provider vermittelte die Beklagte ihren Kunden auch den Zugang zu der Webseite "3dl.am".

Nach Darstellung der Klägerin konnte über diese Webseite auf eine Sammlung von Links und URLs zugegriffen werden, die das Herunterladen urheberrechtlich geschützter Musikwerke ermöglichten, die bei Sharehostern wie "RapidShare", "Netload" oder "Uploaded" widerrechtlich hochgeladen worden waren. Die Klägerin sieht hierin eine Verletzung der von ihr wahrgenommenen Urheberrechte. Sie macht geltend, die Beklagte habe derartige Rechtsverletzungen zu unterbinden.
Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen, über von ihr bereitgestellte Internetzugänge Dritten den Zugriff auf Links zu den streitbefangenen Werken über die Webseite "3dl.am" zu ermöglichen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Klägerinnen im Verfahren I ZR 174/14 sind Tonträgerhersteller.
Die Beklagte ist Betreiberin eines Telekommunikationsnetzes, über das ihre Kunden Zugang zum Internet erhalten. Als Access-Provider vermittelte die Beklagte ihren Kunden auch den Zugang zu der Webseite "goldesel.to". Nach Darstellung der Klägerinnen konnte über diese Webseite auf eine Sammlung von zu urheberrechtlich geschützten Musikwerken hinführenden Links und URLs zugegriffen werden, die bei dem Filesharing-Netzwerk "eDonkey" widerrechtlich hochgeladen worden waren.
Die Klägerinnen sehen hierin eine Verletzung ihrer urheberrechtlichen Leistungsschutzrechte gemäß § 85 UrhG*. Die Klägerinnen haben die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen, über von ihr bereitgestellte Internetzugänge Dritten den Zugriff auf Links zu den streitbefangenen Werken über die Webseite "goldesel.to" zu ermöglichen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihre Klageanträge weiter. Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen in beiden Verfahren zurückgewiesen.
Ein Telekommunikationsunternehmen, das Dritten den Zugang zum Internet bereitstellt, kann von einem Rechteinhaber grundsätzlich als Störer darauf in Anspruch genommen werden, den Zugang zu Internetseiten zu unterbinden, auf denen urheberrechtlich geschützte Werke rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden. Als Störer haftet bei der Verletzung absoluter Rechte (etwa des Urheberrechts oder eines Leistungsschutzrechts) auf Unterlassung, wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt, sofern er zumutbare Prüfungspflichten verletzt hat.
Das deutsche Recht ist vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft** richtlinienkonform auszulegen und muss deshalb eine Möglichkeit vorsehen, gegen Vermittler von Internetzugängen Sperranordnungen zu verhängen. In der Vermittlung des Zugangs zu Internetseiten mit urheberrechtswidrigen Inhalten liegt ein adäquat-kausaler Tatbeitrag der Telekommunikationsunternehmen zu den Rechtsverletzungen der Betreiber der Internetseiten "3dl.am" und "goldesel.to".

In die im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmende Abwägung sind die betroffenen unionsrechtlichen und nationalen Grundrechte des Eigentumsschutzes der Urheberrechtsinhaber, der Berufsfreiheit der Telekommunikationsunternehmen sowie der Informationsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung der Internetnutzer einzubeziehen.
Eine Sperrung ist nicht nur dann zumutbar, wenn ausschließlich rechtsverletzende Inhalte auf der Internetseite bereitgehalten werden, sondern bereits dann, wenn nach dem Gesamtverhältnis rechtmäßige gegenüber rechtswidrigen Inhalten nicht ins Gewicht fallen.
Die aufgrund der technischen Struktur des Internet bestehenden Umgehungsmöglichkeiten stehen der Zumutbarkeit einer Sperranordnung nicht entgegen, sofern die Sperren den Zugriff auf rechtsverletzende Inhalte verhindern oder zumindest erschweren. Eine Störerhaftung des Unternehmens, das den Zugang zum Internet vermittelt, kommt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit allerdings nur in Betracht, wenn der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die - wie der Betreiber der Internetseite - die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder - wie der Host-Provider - zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben.
Nur wenn die Inanspruchnahme dieser Beteiligten scheitert oder ihr jede Erfolgsaussicht fehlt und deshalb andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde, ist die Inanspruchnahme des Access-Providers als Störer zumutbar.
Betreiber und Host-Provider sind wesentlich näher an der Rechtsverletzung als derjenige, der nur allgemein den Zugang zum Internet vermittelt. Bei der Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten hat der Rechtsinhaber in zumutbarem Umfang - etwa durch Beauftragung einer Detektei, eines Unternehmens, das Ermittlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Angeboten im Internet durchführt, oder Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden - Nachforschungen vorzunehmen. An dieser Voraussetzung fehlt es in beiden heute entschiedenen Fällen.

Im Verfahren I ZR 3/14 hat die Klägerin gegen den Betreiber der Webseite "3dl.am" eine einstweilige Verfügung erwirkt, die unter der bei der Domain-Registrierung angegebenen Adresse nicht zugestellt werden konnte. Den gegen den Host-Provider gerichteten Verfügungsantrag hat die Klägerin zurückgenommen, da sich auch seine Adresse als falsch erwies. Mit der Feststellung, dass die Adressen des Betreibers der Internetseite und des Host-Providers falsch waren, durfte sich die Klägerin nicht zufriedengeben, sondern hätte weitere zumutbare Nachforschungen unternehmen müssen.

Im Verfahren I ZR 174/14 ist die Klage abgewiesen worden, weil die Klägerinnen nicht gegen den Betreiber der Webseiten mit der Bezeichnung "goldesel" vorgegangen sind. Dessen Inanspruchnahme ist unterblieben, weil dem Vortrag der Klägerinnen zufolge dem Webauftritt die Identität des Betreibers nicht entnommen werden konnte. Die Klägerinnen haben nicht vorgetragen, weitere zumutbare Maßnahmen zur Aufdeckung der Identität des Betreibers der Internetseiten unternommen zu haben.

Vorinstanzen:
I ZR 3/14 LG Hamburg - Urteil vom 12. März 2010 - 308 O 640/08
OLG Hamburg - Urteil vom 21. November 2013 - 5 U 68/10 und I ZR 174/14 - Haftung des Accessproviders
LG Köln - Urteil vom 31. August 2011 - 28 O 362/10
OLG Köln - Urteil vom 18. Juli 2014 - 6 U 192/11
Karlsruhe, den 26. November 2015

*§ 85 Urheberrechtsgesetz: Verwertungsrechte
(1) Der Hersteller eines Tonträgers hat das ausschließliche Recht, den Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen.
(…) **Artikel 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG: Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden.

 

 

Mieterhöhung auch bei Wohnflächenabweichung nur unter Beachtung der Kappungsgrenze Urteil vom 18. November – VIII ZR 266/14
18. November 2015 - Der Bundesgerichtshof hat heute – unter teilweiser Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung – entschieden, dass eine Mieterhöhung nach § 558 BGB auf der Basis der tatsächlichen Wohnfläche zu erfolgen hat, unabhängig davon, ob im Mietvertrag eine abweichende Wohnfläche angegeben und wie hoch die Abweichung von der tatsächlichen Wohnfläche ist.

Der Sachverhalt: Der Beklagte ist Mieter einer 5-Zimmer-Wohnung der Klägerin in Berlin. Im Mietvertrag sind die Wohnfläche mit 156,95 qm und die monatliche Miete mit 811,81 DM angegeben. Tatsächlich beträgt die Wohnfläche 210,43 qm. Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zustimmung zur Erhöhung der derzeitigen Bruttokaltmiete von 629,75 € auf insgesamt 937,52 €. Dies begründet sie damit, dass sie nach den allgemeinen Mieterhöhungsvorschriften* zu einer Erhöhung der momentan geschuldeten Miete um 15 % (94,46 €) sowie darüber hinaus wegen einer Überschreitung der vertraglich vereinbarten Wohnfläche um 33,95 % zu einer entsprechenden weiteren Anhebung berechtigt sei.

Der beklagte Mieter hat nur einer Mieterhöhung um 94,46 € zugestimmt Die auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung um weitere 213,31 € gerichtete Klage der Vermieterin ist in den Vorinstanzen abgewiesen worden. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Die vom Landgericht zugelassene Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat hat entschieden, dass es im Mieterhöhungsverfahren nach § 558 BGB nur auf die tatsächliche Wohnungsgröße ankommt. § 558 BGB soll es dem Vermieter ermöglichen, eine angemessene, am örtlichen Markt orientierte Miete zu erzielen.
Für den Vergleich ist deshalb allein der objektive Wohnwert der zur Mieterhöhung anstehenden Wohnung maßgeblich, während etwaige Vereinbarungen der Mietvertragsparteien über die Wohnungsgröße im Mieterhöhungsverfahren keine Rolle spielen können, denn sonst würden nicht die tatsächlichen, sondern vertraglich fingierte Umstände berücksichtigt. An seiner früheren Rechtsprechung, dass der Vermieter sich an einer im Mietvertrag zu niedrig angegebenen Wohnfläche festhalten lassen muss, wenn die Abweichung nicht mehr als zehn Prozent beträgt, hält der Senat deshalb nicht mehr fest.
Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall, dass die Wohnfläche im Mietvertrag zu groß angegeben ist; hier kann der Vermieter die Miete gemäß § 558 BGB ebenfalls nur auf der Grundlage der tatsächlichen (niedrigeren) Wohnfläche erhöhen. Neben der Berücksichtigung der wirklichen Wohnungsgröße im Rahmen der allgemeinen Mieterhöhungsvorschriften (§ 558 BGB) – das heißt unter Beachtung der Kappungsgrenze - besteht für den Vermieter keine weitere Möglichkeit der einseitigen Mietanpassung.

Insbesondere ergibt sich aus einer unzutreffenden Wohnflächenangabe im Mietvertrag noch kein Anwendungsfall eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB**). Dem steht bereits entgegen, dass die zutreffende Ermittlung der tatsächlichen Wohnfläche regelmäßig in die Risikosphäre des Vermieters fällt.

Vorinstanzen: Amtsgericht Charlottenburg - Urteil vom 2. Dezember 2013 - 237 C 302/13 Landgericht Berlin - Urteil vom 11. September 2014 - 18 S 413/13 Karlsruhe, den 18. November 2015 *§ 558 BGB Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete
(1) 1.Der Vermieter kann die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen, wenn die Miete in dem Zeitpunkt, zu dem die Erhöhung eintreten soll, seit 15 Monaten unverändert ist.
2. Das Mieterhöhungsverlangen kann frühestens ein Jahr nach der letzten Mieterhöhung geltend gemacht werden.
3. Erhöhungen nach den §§ 559 bis 560 werden nicht berücksichtigt.

(2) 1Die ortsübliche Vergleichsmiete wird gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen nach § 560 abgesehen, geändert worden sind. 2Ausgenommen ist Wohnraum, bei dem die Miethöhe durch Gesetz oder im Zusammenhang mit einer Förderzusage festgelegt worden ist.
(3) 1. Bei Erhöhungen nach Absatz 1 darf sich die Miete innerhalb von drei Jahren, von Erhöhungen nach den §§ 559 bis 560 abgesehen, nicht um mehr als 20 vom Hundert erhöhen (Kappungsgrenze).
2. Der Prozentsatz nach Satz 1 beträgt 15 vom Hundert, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist und diese Gebiete nach Satz 3 bestimmt sind.
3. Die Landesregierungen werden ermächtigt, diese Gebiete durch Rechtsverordnung für die Dauer von jeweils höchstens fünf Jahren zu bestimmen. […] ** § 313 Störung der Geschäftsgrundlage
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen. […]

 

Eigentümergemeinschaft darf Anleinzwang auch für Katzen beschließen

Wohnungseigentumsrecht

17. November 2015 - Eine Wohnungseigentümergemeinschaft darf per Hausordnung festlegen, dass Hunde und Katzen in der Wohnanlage nicht frei herumlaufen dürfen. Ein Anleinzwang bewegt sich im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung der Anlage. Die D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice) informiert über ein aktuelles Urteil des Landgerichts Frankfurt a. M.

LG Frankfurt a. M., Az. 2-09 S 11/15

 

Hintergrundinformation:

Immer wieder kommen Fälle vor Gericht, bei denen es um die Wirksamkeit von Beschlüssen einer Wohnungseigentümerversammlung geht. Denn auch Wohnungseigentümer können nicht durch Mehrheitsbeschluss alles festlegen, was sie gerne möchten. Das gilt auch für die Hausordnung. Sie darf nur Regelungen enthalten, die einer ordnungsgemäßen Verwaltung im Sinne des § 21 Abs. 3 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) entsprechen. Dabei sind die Interessen der verschiedenen Seiten gegeneinander abzuwägen. Im Notfall ist ein Kompromiss zu suchen.
Der Fall:
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft hatte beschlossen, in ihre Hausordnung eine Regelung aufzunehmen, nach der Hunde und Katzen nicht frei auf den Gemeinschaftsflächen herumlaufen durften. Dies betraf zum Beispiel Garten, Treppenhäuser, Laubengänge, Kellerbereiche und Tiefgarage. Eine Miteigentümerin setzte sich für das Recht ihrer Katzen auf freien Auslauf ein und ging gerichtlich gegen den Beschluss vor. In erster Instanz bekam sie Recht. Die anderen Eigentümer gaben jedoch nicht auf und gingen in Berufung.

Das Urteil:
Das Landgericht Frankfurt am Main erklärte nach Mitteilung des D.A.S. Leistungsservice den Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung für wirksam. Hier sei ein vernünftiger Kompromiss zwischen den Interessen von Tierhaltern und Nichttierhaltern angezeigt gewesen. Die Haustierhaltung gehöre nicht zum wesentlichen Inhalt der Nutzung von Wohneigentum. Durch einen Leinenzwang für Hunde und Katzen sei sichergestellt, dass die Eigentümer die Tiere jederzeit unter Kontrolle hätten und dass anderen Eigentümern keine Nachteile entstehen könnten.
Als Beispiel nannte das Gericht Verunreinigungen von Spielplätzen. Ein Anleinzwang auch für Katzen sei nicht mit einem Katzenhaltungsverbot gleichzusetzen. Eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Tieren sei in Hausordnungen oft zu finden. Die Regelung entspreche den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung.

LG Frankfurt a. M., Urteil vom 14. Juli 2015, Az. 2-09 S 11/15


Bundesverwaltungsgericht, 16. November 2011:
Anspruch auf Einhaltung der Dublin-Regelungen zum Minderjährigenschutz
Ein unbegleiteter Minderjähriger hat einen Anspruch darauf, dass über seinen Asylantrag in dem Staat entschieden wird, der nach den Dublin-Bestimmungen für ihn zuständig ist. Insoweit sind die Bestimmungen der Dublin-Verordnungen individualschützend. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Der Entscheidung lag der Fall eines irakischen Staatsangehörigen zugrunde, der Anfang 2010 als Minderjähriger in Deutschland einen Asylantrag stellte. Zuvor hatte er in Belgien ohne Erfolg um Asyl nachgesucht. Nachdem die belgischen Behörden einer Wiederauf- nahme des Klägers im Rahmen des Dublin-Verfahrens zugestimmt hatten, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag im April 2011 wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Belgien an. Seine Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg.

Das Oberverwaltungsgericht begründete die Aufhebung des angefochtenen Bescheids damit, dass Deutschland nach den Dublin-Bestimmungen die Prüfung des Asylantrags obliege, weil der Kläger bei Antragstellung minderjährig gewesen sei. Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat diese Entscheidung bestätigt und die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Nach Art. 6 der Dublin II-Verordnung ist, soweit kein Familienangehöriger anwesend ist, der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat. Diese Vorschrift dient - im Gegensatz zu anderen in der Dublin II-Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriterien - nicht nur der organisatorischen Abwicklung des Dublin-Verfahrens zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch dem Minderjährigenschutz.
Der Asylsuchende hat daher einen Anspruch auf Einhaltung dieser (auch) dem Grundrechtsschutz dienenden Zuständigkeitsbestimmung. Hat ein Minderjähriger - wie hier - in mehreren Staaten um Asyl nachgesucht, ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 6. Juni 2013 (C-648/11, M. A. u.a.) der Staat zuständig, in dem sich der Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat.

Dies gilt nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch, wenn der Minderjährige nach Abschluss eines Asylverfahrens erneut in einem anderen Mitgliedstaat Asyl beantragt. In diesem Fall ist es dem Aufenthaltsmitgliedstaat allerdings nicht verwehrt, den Zweitantrag aus anderen Gründen als unzulässig zu behandeln, etwa weil es sich um einen identischen Antrag ohne neue Gründe handelt. Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, konnte offen bleiben. Denn das Bundesamt hat den Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit nach § 27a AsylG als unzulässig abgelehnt.

Diese Entscheidung kann im Gerichtsverfahren wegen der ungünstigeren Rechtsfolgen nicht in eine die Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens ablehnende Zweitantragsentscheidung nach § 71a AsylG umgedeutet werden. Denn eine Entscheidung nach § 27a AsylG führt zur Überstellung des Asylsuchenden in einen anderen - zur Prüfung seines Asylantrags zuständigen - „sicheren“ Dublin-Staat.
Mit einer negativen Entscheidung nach § 71a AsylG endet hingegen das Asylverfahren, und der Betroffene kann - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - grundsätzlich in jeden aufnahmebereiten Staat einschließlich seines Herkunftsstaats abgeschoben werden.
BVerwG 1 C 4.15 - Urteil vom 16. November 2015

Oktober 2015

 

27. Oktober, Bundesverwaltungsgericht Leipzig:
Fristen im Dublin-Verfahren nicht individualschützend
Stimmt ein von Deutschland ersuchter EU-Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylantragstellers im Rahmen des Dublin-Verfahrens zu, so kann sich der Asylbewerber gegen seine Überstellung in diesen Mitgliedstaat nicht mit dem Argument wehren, dass die in der Dublin II-Verordnung geregelte Frist für ein Aufnahmegesuch abgelaufen sei.
Diese Frist gilt nur für den Rechtsverkehr zwischen den am Dublin-Verfahren beteiligten Staa- ten, dient aber nicht dem Schutz des einzelnen Asylbewerbers. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Den Entscheidungen lag der Fall einer pakistanischen Staatsangehörigen mit ihren drei Kindern zugrunde, die im Januar 2013 in Deutschland Asylanträge stellten, weil sie in ihrer Heimat aus religiösen Gründen verfolgt würden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte die Asylanträge im Januar 2014 als unzulässig ab. Zugleich ordnete es die Abschiebung der Kläger nach Spanien an, weil sie bereits in Spanien Asylanträge gestellt hätten.
Die spanischen Behörden haben einer Wiederaufnahme der Kläger im Rahmen des Dublin-Verfahrens zugestimmt. Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide aufgehoben, weil die Bundesrepublik durch Fristablauf für die Behandlung der Asylanträge zuständig geworden sei.
Das Bundesamt hätte die spanischen Behörden spätestens innerhalb einer Frist von drei Monaten um Wiederaufnahme der Kläger ersuchen müssen; dies sei hier nicht geschehen. Der Verwaltungsgerichtshof ist dem nicht gefolgt und hat die Klagen abgewiesen. Die dagegen gerichteten Revisionen der Kläger blieben ohne Erfolg.

Der 1. Revisionssenat hat entschieden, dass sich die Kläger nicht auf eine Versäumung der Drei-Monats-Frist für die Stellung eines Aufnahmegesuchs nach Art. 17 Abs. 1 Dublin II-Verordnung berufen können. Denn diese Frist dient der organisatorischen Abwicklung des Dublin-Verfahrens zwischen den Mitgliedstaaten. Sie schützt jedoch nicht den einzel- nen Asylbewerber. Dieser kann in Fällen der vorliegenden Art einer Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat nur unter Hinweis auf systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller im ersuchten Staat entgegentreten.

Das gilt jedenfalls dann, wenn der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme zuge- stimmt hat. Hier hatte Spanien seine Zustimmung zur Wiederaufnahme der Kläger erklärt. Zum Prozessrecht hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart darstellt. Denn die Dublin-Verordnungen unterscheiden klar zwischen dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staats und der inhaltlichen Prüfung eines Asylantrags.

BVerwG 1 C 32.14 - Urteil vom 27. Oktober 2015
Vorinstanzen: VGH Kassel, 2 A 976/14.A - Beschluss vom 25. August 2014
- VG Wiesbaden, 2 K 197/14.WI.A - Urteil vom 22. April 2014 - BVerwG 1 C 33.14
- Urteil vom 27. Oktober 2015 Vorinstanzen: VGH Kassel, 2 A 975/14.A - Beschluss vom 25. August 2014
- VG Wiesbaden, 2 K 194/14.WI.A - Urteil vom 22. April 2014
- BVerwG 1 C 34.14 - Urteil vom 27. Oktober 2015
Vorinstanzen: VGH Kassel, 2 A 974/14.A - Beschluss vom 25. August 2014
- VG Wiesbaden, 2 K 192/14.WI.A - Urteil vom 22. April 2014 -

September 2015

 

09. September 2015 - Bundesverwaltungsgericht:

Bahnhöfe und Haltepunkte sind mit Einrichtungen zur Information über Verspätungen auszustatten

Das Eisenbahn-Bundesamt hat die DB Station & Service AG zu Recht verpflichtet, ihre Bahnhöfe und Haltepunkte mit Dynamischen Schriftanzeigern auszustatten. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden. Die Klägerin, die DB Station & Service AG, betreibt etwa 5500 Bahnhöfe und Haltepunkte in Deutschland.
Das beklagte Eisenbahn-Bundesamt stellte im Jahr 2010 fest, dass nicht alle Bahnhöfe und Haltepunkte mit Einrichtungen versehen waren, durch welche Fahrgäste über Verspätungen oder Ausfälle von Zügen informiert werden können. Es ver- pflichtete die Klägerin, alle Bahnhöfe und Haltepunkte mit Dynamischen Schriftanzeigern auszustatten, und zwar zeitlich gestaffelt nach der Größe der Stationen gemessen an der Zahl der Reisenden.
Dynamische Schriftanzeiger werden über einen Großrechner gesteuert und zeigen Informationen über Abweichungen vom Fahrplan, insbesondere Zugverspätungen und Zugausfälle, an. Die Verpflichtung gilt nicht, wenn die Klägerin durch andere gleich geeignete technische Mittel, beispielsweise eine funktionstüchtige Lautsprecheranlage, oder andere organisatorische Maßnahmen, beispielsweise örtliches Personal, sicherstellt, dass Reisende aktiv über Verspätungen oder den Ausfall von Zügen unterrichtet werden können, sobald diese Informationen zur Verfügung stehen.
Die gegen diese Verpflichtung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Köln abge- wiesen; das Oberverwaltungsgericht Münster hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Nach der Verordnung der Europäischen Union über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (Fahrgastrechte-Verordnung) sind die Fahrgäste bei einer Verspätung bei der Abfahrt oder der Ankunft durch das Eisenbahnunternehmen oder durch den Bahnhofsbetreiber über die Situation und die geschätzte Abfahrts- und Ankunftszeit zu unterrichten, sobald diese Informationen zur Verfügung stehen. Die Fahrgastrechte-Verordnung verlangt eine „aktive“ Unterrichtung der Fahrgäste durch den Betreiber. 

 

 

02. September 2015 - Bundesverwaltungsgericht:
Gemeinden dürfen Pferdesteuer erheben
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass die Gemeinden grundsätzlich berechtigt sind, auf das Halten und das entgeltliche Benutzen von Pferden für den persönlichen Lebensbedarf eine örtliche Aufwandsteuer (Pferdesteuer) zu erheben.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (Kassel) hatte die Pferdesteuersatzung der beklagten Stadt Bad Sooden-Allendorf im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens überprüft und für rechtmäßig gehalten. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht hatte es nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger - eines Reitervereins und mehrerer Einzelkläger - hat das Bundesverwaltungsgericht nun zurückgewiesen.
Um die Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Pferdesteuer zu beantworten, bedurfte es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Schon nach den bisher entwickelten Maßstäben steht fest, dass eine örtliche Aufwandsteuer auf das Halten und entgeltliche Benutzen von Pferden erhoben werden darf, soweit es sich um eine Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf handelt.
Die Befugnis zur Erhebung örtlicher Aufwandsteuern steht nach Art. 105 Abs. 2a Grundgesetz den Ländern zu und ist auf die Gemeinden übertragen. Eine Aufwandsteuer soll die in der Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners treffen. Örtlich ist eine Aufwandsteuer dann, wenn sie an einen Vorgang im Gemeindegebiet anknüpft.
Das Halten bzw. die entgeltliche Benutzung eines Pferdes geht - vergleichbar der Hundehaltung oder dem Innehaben einer Zweitwohnung - über die Befriedigung des allgemeinen Lebensbedarfs hinaus und erfordert einen zusätzlichen Vermögensaufwand. Im Hinblick darauf, dass nur die Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf besteuert werden darf, beschränkt die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Satzung den Steuergrund auf das Halten und Benutzen von Pferden „zur Freizeitgestaltung“ und nimmt Pferde, die nachweislich zum Haupterwerb im Rahmen der Berufsausübung eingesetzt werden, von der Steuerpflicht aus.
Für den erforderlichen örtlichen Bezug kommt es nicht auf den Wohnort des Pferdehalters, sondern auf die Unterbringung des Pferdes in der steuererhebenden Gemeinde an. Ob die Gemeinde über den Zweck der Einnahmeerzielung hinaus noch weitere Zwecke verfolgt, insbesondere den, das besteuerte Verhalten - hier die Pferdehaltung - mittelbar zu beeinflussen, ist für die Rechtmäßigkeit der Steuererhebung unerheblich.

August 2015

 

28. August 2015, Bundesverfassungsgericht:
Durchsuchung bei Medienorganen darf nicht vorrangig der Aufklärung möglicher Straftaten von Informanten dienen

Die Durchsuchung in Redaktionsräumen oder Wohnungen von Journalisten darf nicht vorrangig dem Zweck dienen, den Verdacht von Straftaten durch Informanten aufzuklären.
Erforderlich sind vielmehr zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat der konkret betroffenen Presseangehörigen, die den Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 5 Satz 1 Strafprozessordnung entfallen lässt. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit zwei heute veröffentlichten Beschlüssen entschieden und Verfassungsbeschwerden eines Journalisten sowie eines Zeitungsverlags gegen Durchsuchungsmaßnahmen stattgegeben.


5. August 2015: Bundesverwaltungsgericht
Genehmigung der Briefporti der Deutschen Post in den Jahren 2003, 2004 und 2005 rechtswidrig
Die Bundesnetzagentur hat der Deutschen Post in den Jahren 2003, 2004 und 2005 zu hohe Entgelte für die Postdienstleistungen „Standardbrief“ national, „Kompaktbrief“ national, „Großbrief“ national und „Postkarte“ national genehmigt. Dies hat das Bundes- verwaltungsgericht in Leipzig auf die Klage eines Kunden der Deutschen Post in drei Urteilen entschieden.
Auf der Grundlage der Bestimmungen des Postgesetzes und der Post-Entgelt- regulierungsverordnung fasste die Bundesnetzagentur durch einen Beschluss aus dem Jahr 2002 die der Entgeltgenehmigung unterliegenden Postdienstleistungen der beigeladenen Deutschen Post in drei Körben zusammen, darunter einem Korb mit den Formaten Postkarte, Standardbrief, Kompaktbrief und Großbrief.

Der Beschluss stellte ferner das Ausgangsentgeltniveau für die Dienstleistungen der drei Körbe entsprechend dem nach den Absatzmengen des Jahres 2001 gewichteten Durchschnitt der Entgelte fest und legte die gesamtwirtschaftliche Preissteigerungsrate sowie eine zu erwartende Produktivitätsfortschrittsrate fest. Diese Maßgrößen sollten für den Geltungszeitraum des Beschlusses bis Ende 2007 die dann jeweils für ein Jahr zu erteilenden Genehmigungen konkreter Entgelte bestimmen.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder Postdienstleistungen erbrin- gen. Er wendet sich als Postkunde unter anderem gegen die Genehmigungen der Entgelte, welche die Bundesnetzagentur auf der Grundlage der festgelegten Maßgrößen für die Jahre 2003, 2004 und 2005 für die Postdienstleistungen Postkarte, Standardbrief, Kompaktbrief und Großbrief erteilt hat.
Das Verwaltungsgericht Köln hat die Klagen abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat die Berufungen des Klägers zurückgewiesen und dies in erster Linie damit begründet, der Kläger werde durch die an die Beigeladene gerichteten Entgeltgenehmigungen nicht in eigenen Rechten verletzt. Er schulde zwar - wie wohl fast jeder in Deutschland - im Falle eines geschlossenen Beförderungsvertrages das genehmigte Entgelt; dies rechtfertige aber nicht die Annahme, durch eine rechtswidrige Genehmigung könnten eigene Rechte des Klägers verletzt sein.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die Revisionen des Klägers die drei Entgeltgenehmigungen mit Bezug auf das Rechtsverhältnis zwischen der beigeladenen Deutschen Post und dem Kläger für die Jahre 2003, 2004 und 2005 aufgehoben: Soweit der Kläger als Kunde der beigeladenen Deutschen Post mit ihr - etwa durch Einwurf eines frankierten Briefes in den Postkasten - Beförderungsverträge schließt, kann er gegen die Genehmigung des dafür geschuldeten Entgelts Klage erheben.
Er kann geltend machen, die Genehmigung verstoße gegen die insoweit einschlägigen Bestimmungen des Postgesetzes und der Post-Entgeltregulierungsverordnung über die Höhe zulässiger Entgelte. Durch eine deshalb rechtswidrige Genehmigung wird er in eigenen Rechten verletzt. In der Sache hat die Bundesnetzagentur bei der Genehmigung der Entgelte gegen die gesetzlichen Vorgaben verstoßen.
Sie hat insbesondere die Produktivitätsfortschrittsrate so festzulegen, dass die auf dieser Grundlage genehmigten Entgelte im Durchschnitt die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung der in dem Korb zusammengefassten Postdienstleistungen nicht übersteigen. Hiervon ist die Bundesnetzagentur abgewichen. Sie hat ausdrücklich von einer vollständigen Annäherung der Entgelte an diese Kosten abgesehen, weil dies im Interesse finanzschwächerer Wettbewerber der beigeladenen Deutschen Post liege und so der Herbeiführung eines funktionierenden Wettbewerbs auf den Postmärkten diene. Dieses Vorgehen ist von den gesetzlichen Vorgaben nicht gedeckt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Genehmigungen nur aufgehoben, soweit sie mit Bezug auf das Rechtsverhältnis zwischen der beigeladenen Deutschen Post und dem Kläger Entgelte genehmigen.
Der Kläger kann als Folge nachgewiesenermaßen gezahlte Entgelte zurückverlangen. Auf andere Kunden wirken die Entscheidungen sich nicht aus.
BVerwG 6 C 8.14 - Urteil vom 05. August 2015
Vorinstanzen: OVG Münster, 13 A 478/08 - Urteil vom 09. Dezember 2013
- VG Köln, 22 K 9007/04 - Urteil vom 27. November 2007
- BVerwG 6 C 9.14 Vorinstanzen: OVG Münster, 13 A 476/08 - Urteil vom 09. Dezember 2013 - VG Köln, 22 K 3808/03 - Urteil vom 27. November 2007 - BVerwG 6 C 10.14 - 3
- Vorinstanzen: OVG Münster, 13 A 477/08 - Urteil vom 09. Dezember 2013
- VG Köln, 22 K 8715/03 - Urteil vom 27. November 2007 

Juli 2015

 

Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen nach Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. IV ZR 384/14 - Urteil vom 29. Juli 2015 und IV ZR 448/14 - Urteil vom 29. Juli 2015

Bundesgerichtshof, 28. Juli 2015 - Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erstmals mit Einzelheiten der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen zu befassen, in denen die Versicherungsnehmer nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages erklärt hatten. Die Kläger hatten bei dem beklagten Versicherer im Jahr 1999 bzw. im Jahr 2003 fondsgebundene Renten- bzw. Lebensversicherungsverträge nach dem in § 5a VVG a.F. geregelten sogenannten Policenmodell abgeschlossen. Jahre später kündigten sie die Verträge und erklärten schließlich den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.

Der Versicherer zahlte auf die Kündigungen hin den jeweiligen Rückkaufswert an die Kläger aus. Diese verlangen nun mit ihren Klagen Rückzahlung aller von ihnen geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der Rückkaufswerte, da die Verträge infolge der Widersprüche nicht wirksam zustande gekommen seien.
Das Landgericht hat die Klagen abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihnen teilweise stattgegeben. Es hat angenommen, die Versicherungsnehmer hätten die Widersprüche wirksam erklärt und könnten dem Grunde nach Rückzahlung aller Prämien verlangen, müssten sich dabei aber den während der Dauer der Prämienzahlung genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen (vgl. Pressemitteilung Nr. 99/2015). Die Revisionen des beklagten Versicherers, der den Abzug weiterer Positionen von den Klageforderungen erstrebt, hatten im Wesentlichen keinen Erfolg.

Der IV. Zivilsenat hat bereits mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101, Pressemitteilung Nr. 78/2014) entschieden, dass Versicherungsnehmer bei der nach einem wirksamen Widerspruch durchzuführenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung ihrer Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien zurückverlangen können; vielmehr müssen sie sich den jedenfalls bis zur Kündigung des jeweiligen Vertrags genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen.
Ausgehend hiervon hat das Berufungsgericht in den Streitfällen den geschuldeten Wertersatz auf der Grundlage der Prämienkalkulation des beklagten Versicherers in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geschätzt und die auf die gezahlten Prämien entfallenden Risikoanteile in Abzug gebracht. Lediglich in einem Punkt hat der Bundesgerichtshof einen weiteren Abzug für geboten gehalten.

Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, muss sich der Versicherungsnehmer zusätzlich zu dem Rückkaufswert, den er bereits vom Versicherer erhalten hat, die Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag, die der Versicherer bei Auszahlung des Rückkaufswertes für den Versicherungsnehmer an das Finanzamt abgeführt hat, als Vermögensvorteil anrechnen lassen. Weitere Positionen, die der Versicherer in Abzug bringen wollte, hat das Berufungsgericht hingegen zu Recht nicht berücksichtigt.
Dies gilt insbesondere für die vom Versicherer geltend gemachten Abschluss- und Verwaltungskosten. Insoweit kann sich der Versicherer nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Die Verwaltungskosten sind bereits deshalb nicht bereicherungsmindernd zu berücksichtigen, weil sie unabhängig von den streitgegenständlichen Versicherungsverträgen angefallen und beglichen worden sind.
Hinsichtlich der Abschlusskosten gebietet es der mit der richtlinienkonformen Auslegung des § 5a VVG a.F. bezweckte Schutz des Versicherungsnehmers, dass der Versicherer in Fällen des wirksamen Widerspruchs das Entreicherungsrisiko trägt.
Auch die Ratenzahlungszuschläge führen zu keinem teilweisen Wegfall der Bereicherung der Beklagten. Die Bereicherungsansprüche der Kläger umfassen gemäß § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB auch die durch die Beklagte gezogenen Nutzungen.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nur die Nutzungen herauszugeben sind, die vom Bereicherungsschuldner tatsächlich gezogen wurden. Es hat zu Recht die Darlegungs- und Beweislast beim Versicherungsnehmer gesehen und ihm einen entsprechenden Tatsachenvortrag abverlangt, der nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe, etwa in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, gestützt werden kann. Über weitere Einzelfragen des Nutzungsersatzes hatte der Bundesgerichtshof in diesen Revisionsverfahren nicht zu entscheiden, da keine der Parteien Einwendungen gegen die Schätzung des Berufungsgerichts erhoben hat.

IV ZR 384/14 - Urteil vom 29. Juli 2015
OLG Köln - Urteil vom 5. September 2014 – 20 U 77/14
LG Aachen - Urteil vom 11. April 2014 – 9 O 419/13 und
IV ZR 448/14 - Urteil vom 29. Juli 2015
OLG Köln -Urteil vom 17. Oktober 2014 – 20 U 110/14
LG Aachen - Urteil vom 6. Juni 2014 – 9 O 77/14

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:
Versicherungsvertragsgesetz in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Juli 1994 (Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum VAG) § 5a (1) Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen, so gilt der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von vierzehn Tagen nach Überlassung der Unterlagen schriftlich widerspricht. …
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 812 (1)
Wer durch Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. …
§ 818 (1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen …
… (3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

 

Bundesgerichtshof:
Keine Geschäftsführung ohne Auftrag beim Transport von Kindern zu Sportveranstaltungen - Urteil vom 23. Juli 2015 – III ZR 346/14

Karlsruhe, 23. Juli 2015 - Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass es sich, wenn minderjährige Mitglieder eines Amateursportvereins von ihren Familienangehörigen oder Angehörigen anderer Vereinsmitglieder zu Sportveranstaltungen gefahren werden, grundsätzlich - auch im Verhältnis zum Sportverein - um eine reine Gefälligkeit handelt, die sich im außerrechtlichen Bereich abspielt, sodass Aufwendungsersatzansprüche gegen den Verein ausscheiden.
Die Parteien streiten um den Ersatz von Schäden, die die Klägerin bei einem Verkehrsunfall erlitten hat. Die Enkelin der Klägerin spielt in der Mädchen-Fußballmannschaft des beklagten Vereins. Die Mannschaft nahm am 9. Januar 2011 in B. an der Hallenkreismeisterschaft teil. Die Klägerin, die ihre Enkelin zu dieser Veranstaltung bringen wollte, verunfallte mit ihrem PKW auf der Fahrt nach B. und zog sich dabei erhebliche Verletzungen zu.
Die A. Versicherungs-AG, bei der der Beklagte eine Sportversicherung unterhält, lehnte die bei ihr angemeldeten Ansprüche der Klägerin ab. Nach den Versicherungsbedingungen würden nur Vereinsmitglieder und zur Durchführung versicherter Veranstaltungen "offiziell eingesetzte" Helfer Versicherungsschutz genießen; zu diesem Personenkreis gehöre die Klägerin jedoch nicht. Die Klägerin hat daraufhin den Beklagten auf Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten - unter Zurückweisung der Berufung bezüglich des begehrten Schmerzensgeldes - zur Zahlung von 2.811,63 € nebst Zinsen verurteilt. Der Bundesgerichtshof hat auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten das Urteil des Oberlandesgerichts, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, aufgehoben und das klagabweisende landgerichtliche Urteil bestätigt.

Nach der Senatsrechtsprechung ist im Bereich der rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisse zwischen einem Auftrags- und einem Gefälligkeitsverhältnis zu unterscheiden. Ob jemand für einen anderen ein Geschäft im Sinne des § 662 BGB besorgt oder jemandem nur eine (außerrechtliche) Gefälligkeit erweist, hängt vom Rechtsbindungswillen ab. Maßgeblich ist insoweit, wie sich dem objektiven Beobachter - nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte - das Handeln des Leistenden darstellt.
Eine vertragliche Bindung wird insbesondere dann zu bejahen sein, wenn erkennbar ist, dass für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Leistungszusage verlässt oder wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat. Ist dies hingegen nicht der Fall, kann dem Handeln der Beteiligten nur unter besonderen Umständen ein rechtlicher Bindungswillen zugrunde gelegt werden.
Ein Bindungswille wird deshalb in der Regel beim sogenannten Gefälligkeitshandeln des täglichen Lebens, bei Zusagen im gesellschaftlichen Bereich oder bei Vorgängen, die diesen ähnlich sind, zu verneinen sein. Genauso muss, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, im Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse zwischen der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff BGB und der (außerrechtlichen) Gefälligkeit ohne Auftrag unterschieden werden. Maßgeblich ist insoweit ebenfalls, wie sich dem objektiven Beobachter - nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte - das Handeln des Leistenden darstellt.
Die Abgrenzung erfolgt unter Berücksichtigung unter anderem der Art der Tätigkeit, ihrem Grund und Zweck, ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung für den Geschäftsherrn, der Umstände, unter denen sie erbracht wird, und der dabei entstehenden Interessenlage der Parteien. Gefälligkeiten des täglichen Lebens oder vergleichbare Vorgänge können insoweit regelmäßig den Tatbestand der §§ 677 ff BGB nicht erfüllen.

Die Klägerin hat im vorliegenden Fall ihre Enkelin nach B. fahren wollen, um dieser die Teilnahme an der Kreismeisterschaft zu ermöglichen. Dies geschah aus Gefälligkeit gegenüber ihrer Enkelin beziehungsweise deren sorgeberechtigten Eltern. An dem Charakter der Fahrt als Gefälligkeit ändert sich nichts dadurch, dass der Transport nicht ausschließlich im alleinigen Interesse der Enkelin und ihrer Eltern, sondern auch im Interesse der Mannschaft und damit des beklagten Sportvereins lag.
Der "Bringdienst" der minderjährigen Spielerinnen zu auswärtigen Spielen war nach den tatrichterlichen Feststellungen Sache der Eltern beziehungsweise anderer Angehöriger oder Freunde. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörungen vor den Instanzgerichten angegeben, die Kinder seien immer privat gefahren worden. Sie selbst habe viele Fahrten durchgeführt und dafür nie etwas bekommen. Wenn sie nicht gefahren wäre, hätte man den Transport innerhalb der Familie oder der übrigen Vereinsmitglieder so umorganisiert, dass eine andere Person ihre Enkelin gefahren hätte.
Dieser übliche Ablauf spricht entscheidend dagegen, den auf freiwilliger Grundlage erfolgten Transport der Kinder zu Auswärtsspielen durch Personen aus ihrem persönlichen Umfeld als auf der Grundlage eines mit wechselseitigen Rechten und Pflichten ausgestalteten Schuldverhältnisses erbracht anzusehen. Vielmehr handelt es sich, wenn minderjährige Mitglieder eines Amateursportvereins von ihren Familienangehörigen oder Angehörigen anderer Vereinsmitglieder zu Sportveranstaltungen gefahren werden, grundsätzlich - auch im Verhältnis zum Sportverein - um eine reine Gefälligkeit, die sich im außerrechtlichen Bereich abspielt. Solange keine gegenteiligen Absprachen getroffen werden, scheiden damit Aufwendungsersatzansprüche aus.
LG Stade - Urteil vom 11. Dezember 2013 - 2 O 304/12
Oberlandesgericht Celle - Urteil vom 16. Oktober 2014 - 5 U 16/14
Karlsruhe, den 23. Juli 2015

 

Bundesverfassungsgericht: Keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Betreuungsgeld
21. Juli 2015 - Dem Bundesgesetzgeber fehlt die Gesetzgebungskompetenz für das Betreuungsgeld. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden. Die §§ 4a bis 4d des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, die einen Anspruch auf Betreuungsgeld begründen, sind daher nichtig. Sie können zwar der öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zugeordnet werden, auf die sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes erstreckt. Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für die Ausübung dieser Kompetenz durch den Bund liegen jedoch nicht vor. Das Urteil ist einstimmig ergangen.

Bundesgerichtshof zur urheberrechtlichen Zulässigkeit des "Framing" Urteil vom 9. Juli 2015 - I ZR 46/12 - Die Realität II

Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass der Betreiber einer Internetseite keine Urheberrechtsverletzung begeht, wenn er urheberrechtlich geschützte Inhalte, die auf einer anderen Internetseite mit Zustimmung des Rechtsinhabers für alle Internetnutzer zugänglich sind, im Wege des "Framing" in seine eigene Internetseite einbindet.
Die Klägerin, die Wasserfiltersysteme herstellt und vertreibt, ließ zu Werbezwecken einen etwa zwei Minuten langen Film mit dem Titel "Die Realität" herstellen, der sich mit der Wasserverschmutzung befasst. Sie ist Inhaberin der ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an diesem Film. Der Film war – nach dem Vorbringen der Klägerin ohne ihre Zustimmung – auf der Videoplattform "YouTube" abrufbar.
Die beiden Beklagten sind als selbständige Handelsvertreter für ein mit der Klägerin im Wettbewerb stehendes Unternehmen tätig. Sie unterhalten jeweils eigene Internetseiten, auf denen sie für die von ihnen vertriebenen Produkte werben.
Im Sommer 2010 ermöglichten sie den Besuchern ihrer Internetseiten, das von der Klägerin in Auftrag gegebene Video im Wege des "Framing" abzurufen. Bei einem Klick auf einen Link wurde der Film vom Server der Videoplattform "YouTube" abgerufen und in einem auf den Webseiten der Beklagten erscheinenden Rahmen ("Frame") abgespielt.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagten hätten das Video damit unberechtigt öffentlich zugänglich gemacht. Sie hat die Beklagten daher auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von je 1.000 € an die Klägerin verurteilt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Berufungsgericht hat, so der BGH, mit Recht angenommen, dass die bloße Verknüpfung eines auf einer fremden Internetseite bereitgehaltenen Werkes mit der eigenen Internetseite im Wege des "Framing" kein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne des § 19a UrhG darstellt, weil allein der Inhaber der fremden Internetseite darüber entscheidet, ob das auf seiner Internetseite bereitgehaltene Werk der Öffentlichkeit zugänglich bleibt.
Eine solche Verknüpfung verletzt auch bei einer im Blick auf Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des § 15 Abs. 2 UrhG* grundsätzlich kein unbenanntes Verwertungsrecht der öffentlichen Wiedergabe.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das im vorliegenden Rechtsstreit eingereichte Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs ausgeführt, es liege keine öffentliche Wiedergabe vor, wenn auf einer Internetseite anklickbare Links zu Werken bereitgestellt würden, die auf einer anderen Internetseite mit Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber für alle Internetnutzer frei zugänglich seien.
Das gelte auch dann, wenn das Werk bei Anklicken des bereitgestellten Links in einer Art und Weise erscheine, die den Eindruck vermittele, dass es auf der Seite erscheine, auf der sich dieser Link befinde, obwohl es in Wirklichkeit einer anderen Seite entstamme.
Den Ausführungen des EuGH ist nach Ansicht des BGH allerdings zu entnehmen, dass in solchen Fällen eine öffentliche Wiedergabe erfolgt, wenn keine Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers vorliegt. Danach hätten die Beklagten das Urheberrecht am Film verletzt, wenn dieser ohne Zustimmung des Rechtsinhabers bei "YouTube" eingestellt war. Dazu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Der BGH hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Der Bundesgerichtshof hat erwogen, das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs in dem vom Hoge Raad der Niederlande am 7. April 2015 eingereichten Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C-160/15 - GS Media BV/Sanoma Media Netherlands BV u.a. auszusetzen.
Der Hoge Raad hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob von einer öffentlichen Wiedergabe auszugehen ist, wenn das Werk auf der anderen Internetseite ohne Zustimmung des Rechtsinhabers zugänglich gemacht worden ist. Der BGH hat gleichwohl von einer Aussetzung des Verfahrens abgesehen. Mit einer Entscheidung des EuGH in dem ihm vom Hoge Raad vorgelegten Verfahren ist frühestens in einem Jahr zu rechnen.

EuGH - Beschluss vom 21. Oktober 2014 - C-348/13, GRUR 2014, 1196 = WRP 2014, 1441 - BestWater International/Mebes und Potsch
BGH - Beschluss vom 16. Mai 2013 - I ZR 46/12, GRUR 2013, 818 = WRP 2013, 1047 -
Die Realität I, OLG München - Urteil vom 16. Februar 2012 - 6 U 1092/11, ZUM-RD 2013, 398 LG München I - Urteil vom 2. Februar 2011 - 37 O 15777/10 Karlsruhe, den 9. Juli 2015
§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2 UrhG
Der Urheber hat ferner das ausschließliche Recht, sein Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben (Recht der öffentlichen Wiedergabe). Das Recht der öffentlichen Wiedergabe umfasst insbesondere […] das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a).
§ 19a UrhG Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.
 

 

Bundesverfassungsgericht am 1. Juli 2015:

Drei Verfassungsbeschwerden gegen das Mindestlohngesetz unzulässig
Mit den  heute veröffentlichten Beschlüssen hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts drei Verfassungsbeschwerden gegen das Mindestlohngesetz nicht zur Entscheidung angenommen, da sie sich als unzulässig erwiesen haben. Eine Verfassungsbeschwerde von 14 ausländischen, auch im Inland tätigen Transportunternehmen genügt nicht dem Grundsatz der Subsidiarität, denn die Unternehmen sind gehalten, sich zunächst an die Fachgerichte zu wenden (1 BvR 555/15).
Gleiches gilt für einen 17-jährigen Arbeitnehmer in der Systemgastronomie, der eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG rügt, weil Volljährige für dieselbe Tätigkeit den gesetzlichen Mindestlohn erhalten (1 BvR 37/15); auch darüber müssen zunächst die Fachgerichte entscheiden. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die zeitlich verzögerte Einführung des Mindestlohnes für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller ist mangels hinreichender Angaben zur tatsächlichen Situation nicht hinreichend substantiiert und deswegen ebenfalls unzulässig (1 BvR 20/15).

Mai 2015

Bundesverfassungsgericht lehnt Einstweilige Anordnung gegen das Inkrafttreten des „Bestellerprinzips“ bei Maklerprovisionen für Wohnraummietverträge ab
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das zum 1. Juni 2015 vorgesehene Inkrafttreten des „Bestellerprinzips“ bei Maklerprovisionen für Wohnraummietverträge abgelehnt.
Der Beschluss beruht auf einer Folgenabwägung. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung müssten die Nachteile, die durch das vorübergehende Inkrafttreten eines - nach abschließender Prüfung - verfassungswidrigen Gesetzes entstünden, die Nachteile deutlich überwiegen, die mit der vorläufigen Verhinderung eines verfassungsmäßigen Gesetzes verbunden wären. Den Antragstellern ist die Darlegung eines hinreichend schwerwiegenden Nachteils jedoch weder für die Gesamtheit der Wohnungsvermittler noch im Hinblick auf ihre eigene Situation gelungen.

19. Mai 2015: Verfassungsgerichtshof bestätigt Stärkungspakt für finanzschwache Kommunen
Der Verfassungsgerichtshof NRW in Münster hat die Verteilung der gewährten Konsolidierungshilfen an Kommunen auf Grundlage des Stärkungspaktgesetzes in besonders schwieriger Haushaltslage bestätigt. Innenminister Ralf Jäger begrüßte diese Entscheidung in Düsseldorf: „Sie bringt allen Beteiligten die notwendige Planungssicherheit über die Höhe der Konsolidierungshilfen. Die finanzschwachen Stärkungspaktkommunen haben die schwierige Aufgabe, ihre Etats wieder ins Gleichgewicht zu bringen.“
„Der Stärkungspakt Stadtfinanzen bleibt ein wichtiges Instrument zur Unterstützung finanzschwacher Kommunen in NRW“, erklärte Ralf Jäger. Das Land zahlt mit rund vier Milliarden Euro mehr als zwei Drittel aller Stärkungspaktleistungen. „Es trägt damit den Löwenanteil und geht bis an die Grenze seiner Belastbarkeit. Hierzu stehen wir auch in Zukunft und bleiben verlässlicher Partner der Kommunen“, betonte der Innenminister. „Mit dem Stärkungspakt Stadtfinanzen hat das Land Neuland betreten. Durch zügiges und beherztes Handeln ist es uns gelungen, den finanzschwachen Kommunen Handlungsspielraum zurück zu geben.“

April 2015


Duisburgs Abfallentsorgungsgebührensatzung für 2012 nichtig erklärt!
Die Wirtschaftsbetriebe Duisburg zum Urteil

E-Zigaretten und E-Shishas - Novellierung des Jugendschutzgesetzes
Berlin/Duisburg,23. April 2015 - Gemeinsam für den Jugendschutz Die Bundesregierung will die Abgabe und den Konsum von elektronischen Zigaretten und Shishas an Kinder und Jugendliche verbieten. "Mit den E-Shishas und E-Zigaretten sind Produkte auf dem Markt, die keinesfalls in die Hände von Minderjährigen gelangen sollten", betonten Bundesjugendministerin Manuela Schwesig und Bundesernährungsminister Christian Schmidt heute (Donnerstag) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin.
Neueste Studien belegen: Die so genannten "Liquids" schaden der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen - unabhängig davon, ob sie Nikotin enthalten oder nicht. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat deshalb einen Referentenentwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes erarbeitet:
"Wir müssen die bestehende Gesetzeslücke schließen. Dass Kinder und Jugendliche diese Produkte einfach kaufen und konsumieren können, ist für mich eine unhaltbare Situation", so Manuela Schwesig. Auch die Gefahr durch die nikotin-freien Liquids dürfe nicht unterschätzt werden: "Sie schmecken nach Mango, Schokolade oder Kaugummi - aber was da inhaliert wird, ist alles andere als harmlos." Für Bundesminister Christian Schmidt, neben Ernährung und Landwirtschaft auch für den gesundheitlichen Verbraucherschutz zuständig, ist ein Abgabeverbot ein Meilenstein für den gesundheitlichen Verbraucherschutz: "E-Zigaretten, egal ob mit oder ohne Nikotin, sind keine harmlosen Erzeugnisse. Indem wir den Verkauf unterbinden, schützen wir Kinder und Jugendliche präventiv vor den Gefahren des Rauchens.
Der Jugendschutz geht hier Hand in Hand mit dem gesundheitlichen Verbraucherschutz. Diesen müssen wir auch bei nikotinfreien E-Zigaretten verbessern." Er strebe die Gleichstellung von nikotinhaltigen und nikotinfreien E-Zigaretten an, soweit dies für den gesundheitlichen Verbraucherschutz erforderlich ist. Bei nikotinhaltigen E-Zigaretten und E-Shishas liegt die Gefährdungslage für Kinder und Jugendliche auf der Hand.

Die gesundheitlichen Folgen von Nikotinkonsum sind relativ gut erforscht. Bei den nikotinfreien E-Zigaretten und E-Shishas liegen nunmehr entsprechende Bewertungen vor, u.a. vom Bundesinstitut für Risikobewertung, vom Deutschen Krebsforschungszentrum und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Demnach entstehen beim Dampfen sowohl von nikotinhaltigen als auch nikotinfreien E-Zigaretten Carbonylverbindungen, darunter Formaldehyd, Acrolein und Acetaldehyd, die Krebs auslösen können. Außerdem enthalten die Aerosole von E-Zigaretten und E-Shishas feine und ultrafeine Partikel. Eine chronische Schädigung durch diese Partikel wirkt sich besonders in der Wachstumsphase aus und beeinträchtigt bei Kindern die Lungenentwicklung.

Das Wachstum der Lunge endet erst im jungen Erwachsenenalter. Nicht zuletzt könnte der anfängliche Gebrauch von vermeintlich harmlosen nikotinfreien E-Zigaretten dazu verleiten, neue Reize zu suchen und auf nikotinhaltige E-Zigaretten oder herkömmliche Tabakzigaretten umzusteigen. Zum Hintergrund: Um Kinder und Jugendliche wirksam vor Tabakkonsum zu schützen, sieht das Jugendschutzgesetz (JuSchG) klare Regelungen zu Tabakwaren vor:

Nach § 10 JuSchG dürfen in Gaststätten, Verkaufsstellen oder sonst in der Öffentlichkeit Tabakwaren an Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren nicht abgegeben werden. Zudem bestimmt § 10 JuSchG, dass in Gaststätten, Verkaufsstellen oder sonst in der Öffentlichkeit Kindern oder Jugendlichen unter 18 Jahren das Rauchen nicht gestattet werden darf. Allerdings handelt es sich bei E-Zigaretten und E-Shishas, bei denen sogenannte Liquids verdampfen, nicht um "Tabakwaren" im Sinne des § 10 JuSchG. Insofern greifen die strikten Abgabe- und Rauchverbote des Jugendschutzgesetzes bislang nicht.


Freiheit im Schrebergarten? Rechte und Pflichten von Kleingärtnern

Besonders in Großstädten sind Schrebergärten für viele Menschen idyllische und ruhige Rückzugsorte. Allerdings sind Schrebergärtner nicht alleine. Meistens sind die Häuschen Teil einer Gartenkolonie und damit eines Vereins. Um ein harmonisches Zusammenleben zu gewährleisten, sind daher Regeln unerlässlich. Worauf Schrebergartenbesitzer achten sollten, weiß die D.A.S. Rechtsexpertin Michaela Zientek.


Was sollten Naturfreunde beachten, die einen Schrebergarten bewirtschaften wollen?
Wer mit einem Schrebergarten liebäugelt, sollte sich zunächst darüber informieren, ob die eigenen Vorstellungen mit den Vorgaben des Bundeskleingartengesetzes und des ortsansässigen Kleingartenvereins vereinbar sind. Befinden sich die Kleingärten auf Gemeindeland, erlässt die jeweilige Stadt als Verpächter zudem oft eine eigene Gartenordnung. All diese Regelungen geben den Rahmen für die Gestaltung der Gärten vor.
So informieren die Vorschriften beispielsweise über die erlaubte Höhe der Bäume, wie groß der Anteil an Obst und Gemüse an der Gesamtfläche sein sollte oder welche Pflanzen nicht angepflanzt werden dürfen.
Tierfreunde sollten zudem berücksichtigen, dass Kleintiere in den meisten Schrebergartensiedlungen keine gern gesehenen Gäste sind: In vielen Fällen ist die Haltung von Tieren nur mit schriftlicher Zustimmung des Vereinsvorstands zulässig – oftmals ist sie stark eingeschränkt oder sogar vollständig verboten.

Grundsätzlich gilt: Was das Bundeskleingartengesetz oder die jeweiligen Satzungen des ortsansässigen Kleingartenvereins vorschreiben, müssen alle Gärtner einhalten. Alle Punkte, die nicht explizit geregelt sind, sind dagegen dem Selbstverwirklichungsrecht der Schrebergartenbesitzer überlassen. Das bedeutet: In diesem Fall können die Laubenpieper ihren Kleingarten nach ihren individuellen Vorstellungen gestalten – sofern sie dadurch die Besitzer umliegender Parzellen nicht beeinträchtigen.

Bäume und Sträucher wachsen mit der Zeit, und irgendwann wird auch der Kleingarten nebenan beschattet oder im Herbst mit unerwünschtem Laub eingedeckt. Müssen Betroffene das hinnehmen?
Um einen Streit zu vermeiden, empfiehlt es sich in jedem Fall, mit dem Nachbarn eine einvernehmliche Lösung zu suchen. So lässt sich sicher klären, wann Bäume zurückgeschnitten werden sollen oder welchen Abstand zum Zaun sie einhalten sollten. Was viele nicht wissen: Gesetzliche Vorschriften, die Grenz- und Pflanzabstände zu Nachbargrundstücken regeln, gelten nicht für Schrebergärten! Denn der Gesetzgeber sieht die einzelnen Kleingärten lediglich als Teilstücke des Grundstückes an, das die gesamte Schrebergartensiedlung umfasst.

Aber: Die Satzung des Kleingartenvereins oder die Gartenordnung der jeweiligen Gemeinde enthalten meist besondere Vorschriften zu den Abständen, die sowohl zwischen bestimmten Pflanzen als auch zur Parzellengrenze hin einzuhalten sind. Und oft dürfen nur Bäume gepflanzt werden, die eine bestimmte Größe, etwa drei Meter, nicht überschreiten. An diese Vorgaben müssen sich die Vereinsmitglieder halten.

Dürfen Kleingartenbesitzer in ihrer Gartenlaube auch wohnen?
Grundsätzlich spricht nichts dagegen, wenn der Besitzer einer Gartenlaube dort die Nacht verbringen möchte – zum Beispiel nach einem sommerlichen Grillabend. Rechtlich bedenklich wird es erst, wenn es nicht bei einer Übernachtung bleibt. Denn eine vorschriftsmäßige Gartenlaube darf einschließlich Terrasse höchstens 24 Quadratmeter Grundfläche haben und nicht so ausgestattet sein, dass sie sich als dauerhafter Wohnsitz eignet. Dies schreibt § 3 des Bundeskleingartengesetzes vor. Auch der Bebauungsplan der jeweiligen Gemeinde unterscheidet zwischen einem Kleingartengebiet und einem Wohngebiet.
Ausdrücklich verboten ist das Wohnen in der Laube in der Regel schon durch die Satzung des Kleingartenvereins. Aus dieser strikten Unterscheidung zwischen Wohnsitz und Gartenlaube ergeben sich für Kleingärtner aber auch Vorteile: So sind die Besitzer von Schrebergärten seit dem 1. Januar 2013 von der Rundfunkgebührenpflicht ausgenommen. Zwar sieht der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag die Ausnahme nur für Lauben vor, die den Vorgaben des Bundeskleingartengesetzes entsprechen. Und viele größere Lauben aus früheren Zeiten genießen Bestandsschutz. Aber: Die Landesrundfunkanstalten („Beitragsservice”) gehen davon aus, dass alle Lauben in Kleingartenanlagen unabhängig von ihrer Größe nicht zum Wohnen geeignet sind und damit keine Gebühr anfällt. Sonderregeln gibt es für Lauben außerhalb von Kleingartenanlagen: Dürfen diese nicht ganzjährig bewohnt werden, ist auf Antrag eine halbjährige Befreiung vom Beitrag möglich.

5 Fakten rund um Schrebergärten
Das Bundeskleingartengesetz, Regelungen des ortsansässigen Kleingartenvereins und die Gartenordnungen der Gemeinde geben einen verbindlichen Rahmen für die Gestaltung von Schrebergärten vor.
Alle Punkte, die dort nicht explizit geregelt sind, sind dem Selbstverwirklichungsrecht der Kleingartenbesitzer überlassen.
Gesetzliche Vorschriften, die Grenz- und Pflanzabstände zu Nachbargrundstücken regeln, gelten nicht für Schrebergärten.
Für die Gartenlaube gilt: Ihre Grundfläche darf einschließlich der Terrasse höchstens 24 Quadratmeter betragen. Außerdem darf ihre Ausstattung kein dauerhaftes Bewohnen zulassen.
Besitzer von Schrebergärten sind seit dem 1. Januar 2013 von der Rundfunkgebührenpflicht ausgenommen. Bei Gartenlauben, die sich außerhalb von Kleingartenanlagen befinden und nicht ganzjährig bewohnt werden dürfen, ist auf Antrag eine halbjährige Befreiung vom Beitrag möglich. 

Recht auf dem Rad: Was dürfen Radfahrer und was nicht?
13. April 2015 - Mit Frühlingsbeginn holen viele wieder ihr Fahrrad aus dem Keller. Aber kaum treten sie in die Pedale, hupt sie auch schon der erste Autofahrer an. Außerdem ist immer wieder zu hören, es gelte jetzt die Helmpflicht. Stimmt das? Was Radfahrer im Straßenverkehr dürfen und was nicht, erklärt Michaela Zientek, Rechtsexpertin der D.A.S. Rechtsschutzversicherung.

Wo dürfen Radfahrer unterwegs sein?
Radfahrer, die die Straße benutzen, sind Autofahrern häufig ein Dorn im Auge. Doch anders als viele annehmen, müssen Radler nicht automatisch auf Seitenwege ausweichen: „Oftmals sind sie auf der Straße sicherer unterwegs, weil sie dort für andere Verkehrsteilnehmer schneller und besser zu sehen sind. Dies gilt besonders an Einmündungen und Zufahrten – hier kommt es zu besonders vielen Unfällen, weil Autofahrer die Radfahrer auf dem Radweg schlicht übersehen”, erklärt Michaela Zientek, Rechtsexpertin der D.A.S. Rechtsschutzversicherung.
„Sind Radwege jedoch mit einem weißen Fahrrad auf blauem Grund gekennzeichnet, müssen Radfahrer diese benutzen – es sei denn, der Weg ist beispielsweise wegen Scherben oder parkenden Autos nicht befahrbar.“ Ein grundsätzliches Radfahrverbot gilt nicht nur in Fußgängerzonen, sondern auch auf Gehwegen. Ausgenommen von dieser Regelung sind nur Kinder unter zehn Jahren.
„Sie sind die schwächsten Verkehrsteilnehmer und bedürfen eines besonderen Schutzes. Kinder bis acht Jahren müssen daher auf dem Gehweg fahren. Kinder bis 10 Jahren haben die Wahl zwischen Gehweg und Straße”, so die D.A.S. Rechtsexpertin. Übrigens: Das Rechtsfahrgebot gilt auch für Radfahrer! Wer sich nicht daran hält, riskiert ein Bußgeld von 15 Euro sowie eine Mitschuld im Falle eines Unfalls.

Richtiges Verhalten an Ampeln
Hohes Konfliktpotenzial zwischen Auto- und Radfahrern lauert auch an Ampeln. Es gilt: Wenn die Ampel rot zeigt, müssen Radler sich nicht hinten anstellen! „Auch ohne einen ausdrücklich gekennzeichneten Radfahrstreifen dürfen Radfahrer bei stehendem Verkehr rechts an den Autos vorbeifahren. Wichtig ist allerdings, dass sie dabei langsam fahren und äußerst umsichtig vorgehen”, betont Michaela Zientek.
Auf Radfahrstreifen oder Radwegen finden sich häufig eigene Ampeln für Radfahrer – andernfalls gelten für sie dieselben Signale wie für Autos. „An Kreuzungen ohne besondere Radwegampel müssen Radfahrer so lange warten, bis der Fahrverkehr grünes Licht erhält. Abbiegende Autofahrer sollten sich deshalb bewusst machen, dass Radler die Straße auch dann noch kreuzen können, wenn die Fußgängerampel bereits ,rot‘ zeigt”, verdeutlicht Michaela Zientek.
Aber: Dies ist die neue Regelung seit der letzten Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO). Bisher gilt hier noch eine Übergangsregelung für Radwege ohne Radwegampel, bei denen die Übergänge für Fußgänger und Radler nebeneinander liegen: Hier müssen Radfahrer bis 31. Dezember 2016 die Fußgängerampel beachten. Dadurch sollen die Gemeinden genügend Zeit bekommen, ihre Ampelanlagen der neuen Rechtslage anzupassen.
Ein Haltesignal ist auch für Radler verpflichtend: Wer eine rote Ampel auf dem Drahtesel überfährt, zahlt bis zu 100 Euro, mit Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bis zu 160 Euro und erhält einen Punkt im Flensburger Verkehrsregister.

Sicher mit dem Rad unterwegs
Radfahrer haben keine Knautschzone und tragen bei Unfällen deshalb häufig schwere Verletzungen davon. Entgegen gängiger Erwartungen besteht für sie trotzdem keine Helmpflicht. Der Nutzen einer solchen Regelung gilt nach mehreren Untersuchungen von Fahrradunfällen als umstritten. Eine Helmpflicht könnte außerdem dazu führen, dass sich weniger Menschen für das Radfahren entscheiden. Musik auf dem Ohr ist prinzipiell erlaubt:
Die StVO lässt das Tragen von Kopfhörern zu, solange der Radfahrer noch den Verkehr um sich herum akustisch wahrnehmen kann. Zur Rechenschaft gezogen werden hingegen Radler, die sich mit einem Handy am Ohr erwischen lassen: Hierfür ist ein Bußgeld von 25 Euro fällig. Auch Radfahrer mit zu viel Alkohol im Blut kommen nicht straffrei davon:
„Im Falle eines Unfalls oder bei Ausfallerscheinungen können bereits 0,3 Promille zu einer Geldstrafe führen.” Radfahrer mit mehr als 1,6 Promille Alkohol im Blut gelten als absolut fahruntüchtig. Sie begehen aus rechtlicher Sicht eine Straftat und müssen mit der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung, dem sogenannten Idiotentest, rechnen. „Verweigert der Betroffene die Teilnahme oder besteht den Test nicht, verliert er seinen Führerschein”, erklärt Michaela Zientek. Und: Um die Gefahr von Stürzen zu verringern, ist freihändiges Fahren verboten. Wer es riskiert, dem droht ein Bußgeld.

Radfahrer im Straßenverkehr: Was ist erlaubt?  Raum für Radfahrer
 
Sind Radwege mit einem weißen Fahrrad auf blauem Grund gekennzeichnet, müssen Radfahrer sie benutzen
-  In Fußgängerzonen müssen Radfahrer absteigen
- Gehwege sind für Rad fahrende Kinder bis acht Jahren Pflicht
-  Acht- bis Zehnjährige können auf dem Gehweg oder auf der Straße fahren
-  Ab dem 10. Geburtstag müssen Radfahrer die Straße benutzen

Vorsicht, Bußgeld!
- Ein Missachten des Ampelsignals kostet bis zu 160 Euro und kann mit einem Punkt im Flensburger Verkehrsregister zu Buche schlagen
- Wer sich nicht an das Rechtsfahrgebot hält, riskiert ein Bußgeld von 15 Euro sowie eine Mitschuld im Falle eines Unfalls
- Wer mit dem Handy am Ohr erwischt wird, zahlt 25 Euro
-  Bei einer Fahrradfahrt unter Alkoholeinfluss drohen neben einer Geldstrafe auch eine medizinisch-psychologische Untersuchung und der Führerscheinentzug
-  Auch freihändiges Fahren wird mit einem Bußgeld bestraft
- Erlaubt ist es dagegen, ohne Helm unterwegs zu sein oder in einer angemessenen Lautstärke Musik zu hören

Wohnungseigentumsrecht:  Trittschallschutz in der Wohnanlage 
Parkettboden verursacht meist mehr Geräusche durch „Trittschall“ als Teppichboden. Aber: Wohnungseigentümer dürfen trotzdem Parkett verlegen, solange die Schallschutznormen aus der Bauzeit des Hauses eingehalten werden und die Gemeinschaftsordnung nichts Abweichendes regelt. Dies entschied nach Mitteilung der D.A.S. der Bundesgerichtshof. BGH, Az. V ZR 73/14   Hintergrundinformation: Trittschall sorgt immer wieder für Streit in Mehrfamilienhäusern.
Während früher Teppichboden als der letzte Schrei galt, muss es heute Parkett oder zumindest Laminatboden sein. Die Bewohner der darunter liegenden Wohnungen sind davon meist weniger begeistert, weil sie nun von oben jeden Schritt hören. Denn die gesamte Deckenkonstruktion bestehender Häuser ist nicht so schallschluckend ausgelegt, wie dies heute bei Neubauten üblich ist. Der Fall: Die Eigentümer einer Wohnung in einem Hochhaus aus den siebziger Jahren hatten ihren Teppichboden gegen Parkett ausgetauscht. Die Eigentümer der Wohnung darunter beschwerten sich nun über gestiegene Trittschallbelastung. Sie verklagten die Nachbarn auf einen Rücktausch des Bodenbelages.

Das Amtsgericht gab ihnen in erster Instanz sogar Recht: Es müsse wieder Teppichboden verlegt werden, um die Nachbarn nicht zu stören. Das Urteil: Nach Angaben der D.A.S. Rechtsschutzversicherung entschied der Bundesgerichtshof anders und wies die Klage ab. § 14 des Wohnungseigentumsgesetzes verpflichte die Eigentümer zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Sie würden durch den zusätzlichen Trittschall hier aber nicht über das unvermeidliche Maß hinaus benachteiligt. Maßgeblich für den Schallschutz seien die Grenzwerte, die bei Erbauung des Hauses gegolten hätten – also die damalige Version der DIN 4109. Diese würden trotz Parkettboden eingehalten.
Nur die Gemeinschaftsordnung könne ein höheres Schallschutzniveau festlegen – in dieser sei aber nichts dazu geregelt. Es sei nicht entscheidend, welcher Bodenbelag bei der Errichtung des Gebäudes vorgesehen gewesen sei oder in den siebziger Jahren in den Verkaufsprospekten angepriesen worden sei. Denn die Geschmäcker hinsichtlich der Wohnungsgestaltung würden sich im Laufe der Zeit nun einmal ändern. Die Eigentümer der oberen Wohnung durften damit ihr Parkett behalten.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.02.2015, Az. V ZR 73/14
 

März 2015

 

18. März 2015: Bundesgerichtshof stärkt Mieterrechte bei Schönheitsreparaturen

Änderung der Rechtsprechung zu Formularklauseln bei Schönheitsreparaturen:
- formularmäßige Quotenabgeltungsklauseln unwirksam
- formularmäßige Übertragung der Schönheitsreparaturen auf den Mieter bei unrenoviert übergebener Wohnung unwirksam
- formularmäßige Quotenabgeltungsklauseln unwirksam
- formularmäßige Übertragung der Schönheitsreparaturen auf den Mieter bei unrenoviert übergebener Wohnung unwirksam

Der u.a. für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich heute in drei Entscheidungen mit der Wirksamkeit formularmäßiger Renovierungs- und Abgeltungsklauseln beschäftigt. Durch Renovierungsklauseln (auch Vornahme- oder Abwälzungsklauseln genannt) wird die (als Teil der Instandhaltungspflicht nach § 535 BGB grundsätzlich dem Vermieter obliegende) Pflicht zur Vornahme der Schönheitsreparaturen auf den Mieter abgewälzt. (Quoten-)Abgeltungsklauseln erlegen dem Mieter die Pflicht zur anteiligen Tragung von Kosten der Schönheitsreparaturen für den Fall auf, dass die Wohnung am Ende des Mietverhältnisses Abnutzungs- oder Gebrauchsspuren aufweist, die Schönheitsreparaturen aber nach dem in der Renovierungsklausel festgelegten Fristenplan noch nicht fällig sind.

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat nunmehr – wie bereits im Hinweisbeschluss vom 22. Januar 2014 (VIII ZR 352/12, WuM 2014, 135) erwogen - seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, dass die Schönheitsreparaturen auch bei einer zu Mietbeginn dem Mieter unrenoviert überlassenen Wohnung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen auf den Mieter übertragen werden können (dazu grundlegend BGH, Rechtsentscheid vom 1. Juli 1987 – VIII ARZ 9/86, BGHZ 101, 253, 264 ff.). Auch an seiner weiteren (früheren) Rechtsprechung zur Wirksamkeit formularmäßiger Quotenabgeltungsklauseln (dazu grundlegend BGH, Rechtsentscheid vom 6. Juli 1988 – VIII ARZ 1/88, BGHZ 105, 71, 84 ff.; Urteil vom 26. September 2007 – VIII ZR 143/06, NJW 2007, 3632 Rn. 20) hält der Senat nach den heutigen Entscheidungen nicht mehr fest.
Weiterhin maßgeblich ist allerdings der Ausgangspunkt auch der früheren Rechtsprechung des Senats, dass der Mieter nur zu den auf seine eigene Vertragszeit entfallenden Renovierungsleistungen verpflichtet werden darf. Er darf zur Vermeidung einer unangemessenen Benachteiligung - jedenfalls nicht ohne Gewährung eines angemessenen Ausgleichs durch den Vermieter - formularmäßig nicht mit der Beseitigung von Gebrauchsspuren der Wohnung belastet werden, die bereits in einem vorvertraglichen Abnutzungszeitraum entstanden sind. Bei Erlass der oben genannten Rechtsentscheide aus den Jahren 1987 und 1988 entsprach es noch der Praxis des Bundesgerichtshofs, den Anwendungsbereich Allgemeiner Geschäftsbedingungen unter Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in einer Weise einzuschränken, die nach heutiger Sichtweise als unzulässige geltungserhaltende Reduktion einer Klausel auf den gerade noch zulässigen Inhalt eingestuft würde (vgl. Rechtsentscheid vom 6. Juli 1988 - VIII ARZ 1/88, aaO S. 87 f.).
Dem damaligen Verständnis lag die Vorstellung zugrunde, dass der Mieter nur mit Renovierungsarbeiten für seine eigene Vertragslaufzeit belastet würde, wenn die "üblichen" Renovierungsfristen im Falle der Überlassung einer unrenovierten Wohnung an den Mietbeginn anknüpften. Hieran hält der Senat angesichts der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Maßstäben der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht fest. Insbesondere durch die ab 2004 einsetzende Rechtsprechung des Senats zum Erfordernis eines flexiblen Fristenplans (grundlegend Senatsurteil vom 23. Juni 2004 – VIII ZR 361/03, NJW 2004, 2586 unter II 2) und durch die Anwendung der kundenfeindlichsten Auslegung auch im Individualprozess (dazu Senatsurteil vom 29. Mai 2013 – VIII ZR 285/12, NJW 2013, 2505 Rn. 20 mwN) sind die Maßstäbe der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen erheblich verschärft worden.
Gemessen daran ist eine Formularklausel, die dem Mieter einer unrenoviert übergebenen Wohnung die Schönheitsreparaturen ohne angemessenen Ausgleich auferlegt, unwirksam (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Denn eine solche Klausel verpflichtet den Mieter zur Beseitigung sämtlicher Gebrauchsspuren des Vormieters und führt – jedenfalls bei kundenfeindlichster Auslegung – dazu, dass der Mieter die Wohnung vorzeitig renovieren oder gegebenenfalls in einem besseren Zustand zurückgeben müsste als er sie selbst vom Vermieter erhalten hat. In dem Verfahren VIII ZR 185/14, in dem die Vorinstanzen der auf Schadensersatz wegen unterlassener Schönheitsreparaturen gerichteten Klage überwiegend stattgegeben hatten, hat der Bundesgerichtshof unter Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts abschließend entschieden, dass die Klage wegen unterlassener Schönheitsreparaturen (insgesamt) abgewiesen wird.

Die formularmäßige Abwälzung der Schönheitsreparaturen auf die beklagten Mieter ist unwirksam, denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren bei Mietbeginn in drei Zimmern Streicharbeiten erforderlich, so dass die Mieter bei Nutzungsbeginn eine unrenovierte Wohnung übernommen hatten. Der ihnen zu Mietbeginn gewährte Nachlass von lediglich einer halben Monatsmiete stellt in diesem Fall keinen angemessenen Ausgleich dar. Im Verfahren VIII ZR 242/13, in dem das Berufungsgericht dem Vermieter den begehrten Schadensersatz wegen nicht ausgeführter Schönheitsreparaturen zugesprochen hatte, hat der Bundesgerichtshof die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit die – vom Mieter zu beweisende Frage - geklärt werden kann, ob die Wohnung zu Vertragsbeginn unrenoviert übergeben worden und die Abwälzung der Schönheitsreparaturen deshalb unwirksam ist.
Dabei kommt es (wie in dem Verfahren VIII ZR 185/14 näher ausgeführt wird) für die Abgrenzung renoviert/unrenoviert letztlich darauf an, ob etwa vorhandene Gebrauchsspuren so unerheblich sind, dass die Mieträume im Zeitpunkt der Überlassung den Gesamteindruck einer renovierten Wohnung vermitteln; dies hat der Tatrichter unter umfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. In dem Verfahren VIII ZR 242/13 hat der Senat zusätzlich entschieden, dass ein – von der klagenden Vermieterin hilfsweise geltend gemachter - Anspruch auf anteilige Kostentragung nach einer Quotenabgeltungsklausel nicht besteht.
Auch bei der Quotenabgeltungsklausel hatte der Senat ursprünglich eine Bemessung des vom Mieter zu tragenden Anteils nach "starren" Fristen für zulässig erachtet (Rechtsentscheid vom 6. Juli 1988 aaO) und dies später (Urteil vom 26. September 2007, aaO Rn.17 f., 29) dahin modifiziert, dass derartige Klauseln (nur dann) der Inhaltskontrolle standhielten, wenn sie den vom Mieter zu zahlenden Anteil nach dem Verhältnis zwischen der Mietdauer seit Durchführung der letzten Schönheitsreparaturen und dem Zeitraum bemessen würden, nach dem bei einer hypothetischen Fortsetzung aufgrund des Wohnverhaltens des Mieters voraussichtlich Renovierungsbedarf bestünde.

Im Hinweisbeschluss vom 22. Januar 2014 (VIII ZR 352/12, aaO) hatte der Senat bereits Bedenken angedeutet, ob eine Berechnung des vom Mieter zu tragenden Anteils an den Renovierungskosten anhand einer hypothetischen Fortsetzung seines bisherigen Wohnverhaltens der Inhaltskontrolle standhält. Diese Bedenken hat der Senat nunmehr für durchgreifend erachtet und unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass eine - zur Unwirksamkeit der Abgeltungsklausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB führende - unangemessene Benachteiligung des Mieters darin liegt, dass der auf ihn entfallende Kostenanteil nicht verlässlich ermittelt werden kann und für ihn bei Abschluss des Mietvertrags nicht klar und verständlich ist, welche Belastung gegebenenfalls auf ihn zukommt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Wohnung dem Mieter zu Beginn des Mietverhältnisses renoviert oder unrenoviert überlassen wurde.

In dem Verfahren VIII ZR 21/13 hat der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Berufungsgerichts bestätigt, das eine Schadensersatzpflicht des Mieters wegen unterlassener Schönheitsreparaturen schon deshalb verneint hatte, weil die verwendete Formularklausel zum Teil auf "starre" Fristen abstellt und deshalb insgesamt unwirksam ist. Auf die Frage, ob die Wohnung bei Vertragsbeginn renoviert übergeben worden war, kam es aus diesem Grund in diesem Verfahren nicht mehr an.

Urteile vom 18. März 2015 – VIII ZR 185/14; VIII ZR 242/13; VIII ZR 21/13 VIII ZR 185/14 LG Berlin
- Urteil vom 25. Juni 2014 - 65 S 388/13 AG Tempelhof,
- Urteil vom 9. August 2013 – 22 C 57/12 VIII ZR 242/13 LG Hannover
- Urteil vom 10. Juli 2013 – 12 S 9/13 AG Hannover
- Urteil vom 3. Januar 2013 – 51
0 C 12173/11 VIII ZR 21/13 LG Berlin
-  Urteil vom 14. Dezember 2012 – 63 S 179/12 AG Mitte
-  Urteil vom 10. Januar 2012 – 14 C 64/11

 

13. März 2015: Verwaltungsgericht: "Gastro-Kontrollbarometer": Bewertungsergebnisse aus Kontrolluntersuchungen von Gastronomiebetrieben dürfen nicht an die Verbraucherzentrale weitergegeben werden

Die Weitergabe von Kontrollergebnissen aus der Lebensmittelüberwachung von Gaststätten an die Verbraucherzentrale NRW ist rechtswidrig. Das hat die 26. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf heute mit in öffentlicher Sitzung verkündeten Urteilen entschieden.
Geklagt hatten vier Duisburger Gastronomiebetriebe gegen die Stadt Duisburg, die die im Rahmen einer Risikobeurteilung ermittelten Punktebewertungen der Gaststätten an die Verbraucherzentrale weitergeben wollte. Die Verbraucherzentrale, die zu den Verfahren beigeladen war, möchte diese Informationen im Rahmen des Pilotprojekts "Gastro-Kontrollbarometer" im Internet veröffentlichen.
Dabei werden die Punktebewertungen drei Ergebnisstufen und nach Art einer Ampel den Farben grün, gelb und rot zugeordnet. Die Weitergabe der Punktwerte findet im Verbraucherinformationsgesetz keine Rechtsgrundlage. Dieses erlaubt nur die Weitergabe konkreter Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Bestimmungen oder allgemeiner Erkenntnisse aus der Lebensmittelüberwachung, die beispielsweise in Statistiken enthalten sind.
Die Kammer hat jeweils die Berufung zum Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der zu klärenden Rechtsfragen zugelassen. Aktenzeichen: 26 K 4876/13, 26 K 5494/13, 26 K 5722/13, 26 K 8686/13

 

13. März 2015: Bundesverfassungsgericht - Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen ist mit der Verfassung nicht vereinbar
Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht. Hierzu lautet der Kurztext: Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar ist.
§ 57 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes sind daher verfassungskonform dahingehend einzuschränken, dass von einer äußeren religiösen Bekundung nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgehen muss, um ein Verbot zu rechtfertigen.
§ 57 Abs. 4 Satz 3 des Schulgesetzes, der als Privilegierung zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen konzipiert ist, verstößt gegen das Verbot der Benachteiligung aus religiösen Gründen (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 3 GG) und ist daher nichtig.
Die Entscheidungen der Arbeitsgerichte in den Ausgangsverfahren genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht; der Senat hat sie aufgehoben und die Verfahren an die Landesarbeitsgerichte zurückverwiesen.
Die Entscheidung ist mit 6:2 Stimmen ergangen; Richter Schluckebier und Richterin Hermanns haben ein Sondervotum abgegeben. Vizepräsident Kirchhof hat an dem Verfahren nicht mitgewirkt. Richterin Hermanns ist durch Los als Vertreterin bestimmt worden. Den Vorsitz hat Richter Gaier als dienstältester Richter geführt.

6. März 2015: Mobiltelefon im Auto - auch Nutzung als Navigationshilfe oder zur Internetrecherche verboten 

Der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm bestätigt die obergerichtliche Rechtsprechung, nach der § 23 Abs. 1a der Straßenverkehrsordnung (StVO) auch die Nutzung der Navigationshilfe oder eines anderen Hilfsdienstes eines Mobiltelefons regelt. Nach § 23 Abs. 1a darf ein Fahrzeugführer ein Mobiltelefon nicht benutzen, wenn er hierfür das Mobiltelefon aufnehmen oder halten muss. Das ist nur dann erlaubt, wenn das Fahrzeug steht und wenn bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist.

Der 1986 geborene Betroffene aus Marl befuhr im Dezember 2013 die BAB 2 in Castrop-Rauxel. Dabei hielt er sein Mobiltelefon, ein sog. "Smartphone", für mehrere Sekunden in der Hand und nutzte dessen Funktionen. Gegenüber den ihn kontrollierenden Polizeibeamten gab er an, nicht telefoniert, sondern nur auf das Gerät "geguckt" zu haben. Er habe eine Werkstatt gesucht, nachdem die Motorkontrollleuchte aufleuchtete.
Wegen dieser Tat verurteilte ihn das Amtsgericht Castrop-Rauxel am 01.10.2014 wegen vorsätzlicher verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer zu einer Geldbuße von 40 Euro. Den Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts zuzulassen, hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 15.01.2015 verworfen. Der Senat folge der obergerichtlichen Rechtsprechung, nach der auch die Nutzung der Navigationsfunktion des Mobiltelefons unter § 23 Abs. 1a StVO falle.
So habe bereits der 5. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 18.02.2013 (5 RBs 11/13) zutreffend ausgeführt, dass eine gemäß § 23 Abs. 1a StVO verbotene "Benutzung" in jeder bestimmungsgemäßen Bedienung des Geräts liege, also neben dem Telefonieren auch den Abruf von Navigationsdaten erfasse. § 23 Abs. 1a StVO solle gewährleisten, dass der Fahrzeugführer auch dann, wenn er ein Mobiltelefon benutze, beide Hände frei habe, um die "Fahraufgabe" zu bewältigen. Dementsprechend falle auch der Einsatz des Mobiltelefons für Abfragen über das Internet o.ä. unter § 23 Abs. 1a StVO.
Rechtskräftiger Beschluss des 1. Senats für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 15.01.2015 (1 RBs 232/14)