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 • Neues Buch: Schweres Erbe? Wissenschaftliche Bilanz nach 5 Jahren Corona

A59: Berliner Brücke bis auf Weiteres für Schwertransporte ab 48 Tonnen gesperrt


- Schließung von HKM hätte schwerwiegende Folgen für Duisburg und NRW
- IHK bietet Online-Lehrgang zum Betrieblichen Klimamanager
- Stephanie Eses IHK: „Innenstädte als Treffpunkt sehen“

IHK beunruhigt: Schließung von HKM hätte schwerwiegende Folgen für Duisburg und NRW
Duisburg, 21. Februar 2025 - Gescheiterter Verkauf nährt Sorgen um Fortbestand des Traditionsunternehmens.   Thyssenkrupp bemüht sich als Miteigentümer um den Verkauf des Stahlwerkes HKM. Nun wurde bekannt, dass der Hamburger Investor CE Capital aus den Verhandlungen ausgestiegen ist. Wenn sich kein neuer Eigentümer findet, droht die Schließung von Kokerei und Hochöfen. Das bedeutet auch das Aus für 3000 Jobs in Duisburg.


Dazu Matthias Wulfert (Foto: Niederrheinische IHK/Jacqueline Wardeski), stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK:  „Wir bedauern, dass die Gespräche zum Verkauf von HKM gescheitert sind. Stahl ist die Basis für viele Produkte ,Made in Germany‘. Er ist auch für unsere Unabhängigkeit und die Verteidigung wichtig. Wir hoffen sehr, dass für HKM noch eine Lösung gefunden wird. Neben 3000 Beschäftigten sind rund 1500 Arbeitsplätze bei Stahl-Verarbeitern unmittelbar bedroht. Doch die indirekten Effekte dürften weitaus gravierender sein: Von sinkenden Steuereinnahmen, über fehlende Investitionen in unseren Standort bis zu den mittelbar betroffenen Dienstleistern rund um das Werk.  

Bund und Land müssen mit den betroffenen Akteuren und uns ein Zukunftskonzept für unseren Stahlstandort entwickeln. Deshalb brauchen wir nach der Bundestagswahl sehr schnell Klarheit. Und eine Wirtschaftspolitik, die verlässliche Rahmenbedingungen für die Transformation der Stahlindustrie schafft. Wir dürfen die Stahlunternehmen und die Menschen nicht im Stich lassen.“  


„Innenstädte als Treffpunkt sehen“ Stephanie Eses neu in der IHK-Vollversammlung
Die Niederrheinische Wirtschaft hat eine neue IHK-Vollversammlung. Dieses „Parlament der Unternehmer“ gestaltet die Arbeit der IHK für die nächsten fünf Jahre. Fast die Hälfte der Mitglieder ist neu dabei. Unter ihnen ist Stephanie Eses, Inhaberin von Korrekt Mode in der Duisburger Innenstadt. Sie vertritt den Einzelhandel.  

Foto: Niederrheinische IHK/Jacqueline Wardeski  

Warum engagieren Sie sich in der IHK-Vollversammlung? Stephanie Eses: Für mich ist es die Chance, Dinge zu verändern. Als Inhaberin eines Modegeschäfts will ich die Sichtweise von kleinen Unternehmen und dem Einzelhandel einbringen. Vor allem als Teil der Streetwear-Branche möchte ich neue Impulse setzen. Die Themen und Probleme des Einzelhandels dürfen nicht übersehen werden.  


Was ist Ihnen besonders wichtig für unsere Wirtschaft? Stephanie Eses: Die Innenstädte müssen wieder lebendig werden. Junge Menschen sind unsere Zukunft, und wir müssen ihnen etwas bieten. Kreativität und Individualität sind mir wichtig. Jugendliche sollen schon in der Ausbildung merken, dass sie etwas bewirken können. Ich setze mich dafür ein, dass der Beruf der Einzelhandelskaufleute wieder attraktiver wird.

Die Politik sollte außerdem mehr für inhabergeführte Geschäfte tun. Diese Läden machen unsere Städte besonders. Sie sind nicht nur Orte zum Einkaufen, sondern ein Treffpunkt. Ich kenne meine Kunden. Sie kommen zu uns, weil wir sie gut beraten und Persönlichkeit zeigen. Ich wünsche mir, dass unsere Innenstädte wieder zu Orten werden, an denen Menschen gerne zusammenkommen. Dafür möchte ich mich einsetzen.   


IHK bietet Online-Lehrgang zum Betrieblichen Klimamanager
Immer mehr Unternehmen setzten auf Klimaneutralität. Um das komplexe Feld zu überblicken, bildet die Niederrheinische IHK Betriebliche Klimamanager aus. Fach- und Führungskräfte erhalten Infos zur Klimaentwicklung und zum Emissionsverhalten. Darauf aufbauend lernen die Teilnehmenden, wie sie eine CO2-Bilanz erstellen.


Ziel ist es, ein leistungsfähiges Klimamanagement für ihren Betrieb zu konzipieren, umzusetzen und weiterzuentwickeln. Mit diesen Kompetenzen beraten sie zu den Chancen und Risiken der gewählten Klimastrategie.  
Der Online-Lehrgang findet vom 24. März bis 16 Juni statt, immer montags und mittwochs von 14 bis 18 Uhr. IHK-Ansprechpartnerin ist Sabrina Giersemehl, 0203 2821-382, giersemehl@niederrhein.ihk.de. Anmeldung und weitere Informationen gibt es unter www.ihk.de/niederrhein/veranstaltungen.


Inflation für 5 von 9 Haushaltstypen bei oder unter 2 Prozent, auch staatlich beeinflusste Preise verhinderten noch stärkeren Rückgang

Düseldorf/Duisburg, 21. Februar 2025 - Die Inflationsrate in Deutschland ist im Januar 2025 gegenüber Dezember 2024 von 2,6 auf 2,3 Prozent gesunken und liegt damit nahe beim Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent.

Ähnlich ist das Muster, wenn man auf die Inflationsraten verschiedener Haushaltstypen blickt, die sich nach Einkommen und Personenzahl unterscheiden: Vier von neun Haushaltstypen hatten im Januar Inflationsraten etwas oberhalb des EZB-Ziels, während sie bei fünf Haushaltstypen unter oder bei zwei Prozent lagen, zeigt der neue Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.*


Insgesamt reichte die Bandbreite der haushaltsspezifischen Inflationsraten im Januar von 1,7 bis 2,4 Prozent. Das ist ein relativ geringer Unterschied. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Inflationswelle im Herbst 2022 waren es 3,1 Prozentpunkte. Während Haushalte mit niedrigen Einkommen während des akuten Teuerungsschubs der Jahre 2022 und 2023 eine deutlich höhere Inflation schultern mussten als Haushalte mit mehr Einkommen, war ihre Inflationsrate im Januar 2025 wie in den Vormonaten unterdurchschnittlich: Der Warenkorb von Paaren mit Kindern sowie der von Alleinlebenden mit jeweils niedrigen Einkommen verteuerte sich um je 1,7 Prozent.


Dabei wirkte sich aus, dass sowohl aktuelle Preisrückgänge bei Energie als auch der moderate Anstieg bei Nahrungsmitteln im Warenkorb dieser Haushalte ein relativ hohes Gewicht haben, weil beides Güter des Grundbedarfs sind. Auch die Kernrate, also die Inflation ohne die schwankungsanfälligen Posten Nahrungsmittel (im weiten Sinne) und Energie, sank zwischen Dezember und Januar spürbar von 3,1 auf 2,8 Prozent.


Im Jahresverlauf 2025 dürfte sich die Inflationsrate weiter normalisieren und bei gesamtwirtschaftlich zwei Prozent einpendeln, so die Prognose des IMK. Gleichzeitig schwächelt die Wirtschaft im Euroraum, in Deutschland stagniert sie sogar. Daher hält Dr. Silke Tober, IMK-Expertin für Geldpolitik und Autorin des Inflationsmonitors, weitere Zinsschritte für erforderlich.


„Da die Leitzinsen trotz der fünf Zinssenkungen seit Juni 2024 noch auf einem Niveau sind, das die Wirtschaft dämpft, sollte die EZB die geldpolitischen Zügel zügig weiter lockern“, schreibt sie. In der Pflicht sieht die Ökonomin aber auch die künftige Bundesregierung. Diese müsse für eine wirtschaftliche Belebung „die Investitionen ankurbeln und die Energiepreise senken“.


Letzteres sei auch noch aus einem anderen Grund sehr sinnvoll, analysiert die Geldpolitik-Expertin. Denn vor allem staatlich beeinflusste Preise haben verhindert, dass die Inflation zum Jahresbeginn 2025 noch stärker zurückging – und sie waren mit verantwortlich dafür, dass der etwas anders berechnete europäische Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) sogar stabil blieb.


Zu diesen „staatlich bedingten Preiserhöhungen“ gehörten laut Tober unter anderem die Preisanhebung beim Deutschlandticket, bei den Netzentgelten und beim CO2-Preis. Um „in der aktuell noch angespannten Phase der Desinflation keine staatlich induzierten Erhöhungen des Preisniveaus zu bewirken und die Verteilungswirkung zu Lasten einkommensschwacher Haushalte zu kompensieren“ sollten Erhöhungen „einer Lenkungssteuer wie der CO2-Preis“ an anderer Stelle von gezielten Entlastungen begleitet sein: „Hier bietet sich eine Verringerung des Strompreises an“, so Tober.   


Das IMK berechnet seit Anfang 2022 monatlich spezifische Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen, die sich nach Zahl und Alter der Mitglieder sowie nach dem Einkommen unterscheiden.

Die längerfristige Betrachtung illustriert, dass Haushalte mit niedrigem bis mittlerem Einkommen von der starken Teuerung nach dem russischen Überfall auf die Ukraine besonders stark betroffen waren, weil Güter des Grundbedarfs wie Nahrungsmittel und Energie in ihrem Budget eine größere Rolle spielen als bei Haushalten mit hohen Einkommen. Diese wirkten lange als die stärksten Preistreiber, zeigt ein längerfristiger Vergleich, den Tober in ihrem neuen Bericht ebenfalls anstellt: Insgesamt lagen die Verbraucherpreise im Januar 2025 um 20,5 Prozent höher als fünf Jahre zuvor.


Damit war die Teuerung fast doppelt so stark wie mit der EZB-Zielinflation von kumuliert 10,4 Prozent in diesem Zeitraum vereinbar. Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke verteuerten sich sogar um 34,6 Prozent, Energie war trotz der Preisrückgänge in letzter Zeit um 37,1 Prozent teurer als im Januar 2020. Deutlich weniger stark, um 16,7 Prozent, haben sich Dienstleistungen verteuert.


Auf dem Höhepunkt der Inflationswelle im Oktober 2022 betrug die Teuerungsrate für Familien mit niedrigen Einkommen 11 Prozent, die für ärmere Alleinlebende 10,5 Prozent. Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen hatten damals mit 7,9 Prozent die mit Abstand niedrigste Inflationsrate. Erschwerend kommt hinzu, dass Haushalte mit niedrigeren Einkommen wenig finanzielle Polster besitzen und sich die Güter des Grundbedarfs, die sie vor allem nachfragen, kaum ersetzen oder einsparen lassen.


Im Januar 2025 verteuerten sich die spezifischen Warenkörbe von Haushalten mit niedrigen bis mittleren Einkommen hingegen etwas weniger stark als der Durchschnitt, weil zuletzt vor allem die Preise für Dienstleistungen anzogen, die mit steigendem Einkommen stärker nachgefragt werden. Daher folgten im Vergleich der neun Haushaltstypen auf die Familien und Alleinlebenden mit niedrigen Einkommen (je 1,7 Prozent Inflation) die Inflationsraten von Alleinlebenden und Alleinerziehenden mit jeweils mittleren Einkommen (je 1,9 Prozent) sowie die von Paarfamilien mit Kindern und mittleren Einkommen (2,0 Prozent).




Am oberen Rand des Vergleichs lagen Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen (2,4 Prozent) und Familien mit hohen Einkommen (2,2 Prozent), bei denen sich beispielsweise höhere Preise für Gaststätten- und Hotelbesuche stärker auswirkten. Dazwischen liegen Alleinlebende mit höheren Einkommen und Paare ohne Kinder mit mittleren Einkommen.


Internationaler Mindestlohnbericht des WSI

Mindestlohn: Deutliche Zuwächse für Beschäftigte in den meisten EU-Ländern Deutschland fällt mit Mini-Anhebung zurück
Düsseldorf/Duisburg, 21. Februar 2025 - Fast überall in der Europäischen Union sind die Mindestlöhne zum Jahresanfang gestiegen. Für Mindestlohnbeziehende kamen dabei zwei günstige Entwicklungen zusammen: Zum einen fielen die Erhöhungen meist kräftig aus. Im Mittel (Median) betrug die nominale Steigerung gegenüber dem Vorjahr 6,2 Prozent. Zum anderen ist die Inflation gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) im Verlauf des Jahres 2024 europaweit zurückgegangen.

Anders als in den vergangenen Jahren bleibt damit auch nach Berücksichtigung der gestiegenen Lebenshaltungskosten mit 3,8 Prozent im Median ein deutliches reales Plus. Wermutstropfen bei der Entwicklung ist, dass die Zuwächse geographisch sehr ungleich verteilt sind. So stammen die neun Länder mit den größten realen Zuwächsen – jeweils oberhalb von 5 Prozent – allesamt aus Osteuropa.


Im Rest der EU verzeichnen Irland (+4,9 %), Portugal (+3,3 %), Griechenland (+3,3 %) und die Niederlande (+2,7 %) vergleichsweise hohe reale Steigerungen. In Deutschland übertraf die Anpassung des Mindestlohns auf 12,82 Euro zum Jahresanfang die HVPI-Inflationsrate des Vorjahres nur geringfügig, sodass für Menschen, die hierzulande zum Mindestlohn arbeiten, lediglich ein reales Wachstum von 0,8 Prozent übrigbleibt. Das ergibt der neue internationale Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.*

Als einen Grund für die Erhöhungen macht der Bericht den Einfluss der Europäischen Mindestlohnrichtlinie aus. „Durch Referenzwerte für angemessene Mindestlöhne, die im Zuge der Umsetzung der Europäischen Mindestlohnrichtlinie in den nationalen Mindestlohngesetzen verankert wurden, entsteht in viele Ländern ein Sog hin zu strukturellen Mindestlohnerhöhungen, die über die normalen regelmäßigen Anpassungen hinausreichen“, bilanzieren die Studienautoren Dr. Malte Lübker und Prof. Dr. Thorsten Schulten.


Um die Angemessenheit von Mindestlöhnen zu beurteilen, ist in der Richtlinie unter anderem der Referenzwert von 60 Prozent des Medianlohns verankert – also des Lohnes, der die Lohnverteilung in zwei gleichgroße Hälften teilt. Nach den aktuellsten verfügbaren Daten der OECD, die sich auf das Jahr 2023 beziehen, erreichten zuletzt nur Portugal (68,2 %), Slowenien (63,0 %) und Frankreich (62,2 %) diese Zielvorgabe. Deutschland verfehlte das Ziel mit 51,7 Prozent des Medianlohns der Vollzeitbeschäftigten deutlich. Bereits im laufenden Jahr wäre ein Mindestlohn von rund 15 Euro notwendig, um das 60-Prozent-Ziel zu erreichen, so die WSI-Forscher.

Viele Länder haben eine langfristige Zielgröße für den Mindestlohn gesetzlich verankert oder auf andere Weise festgelegt (siehe Übersicht 1 im Bericht). Die Bilanz der vergangenen zehn Jahre zeigt, dass dies dem Mindestlohn einen deutlichen Schub gibt: In Westeuropa verzeichnen Spanien (+48,9 %), Portugal (+40,3 %) und Irland (+30,7 %) gegenüber dem Jahr 2015 ein deutliches Realwachstum, in Großbritannien stieg der Mindestlohn preisbereinigt in den letzten zehn Jahren sogar um 76,0 Prozent.







Das Ex-EU-Mitglied Großbritannien verfolgt inzwischen das ambitionierte Ziel, ein Living Wage in Höhe 66 Prozent des Medianlohns zu erreichen. Auch Irland will sein derzeitiges Ziel von 60 Prozent des Medians überprüfen, um perspektivisch ein Living Wage von 66 Prozent des Medians einzuführen.

Verhaltene Zehn-Jahres-Bilanz für Deutschland
Demgegenüber fällt die Zehn-Jahres-Blanz in Deutschland deutlich bescheidener aus: Hierzulande stieg der Mindestlohn real um 16 Prozent gegenüber dem Einführungsniveau aus dem Jahr 2015. Dies entspricht in etwa der Erhöhung des Mindestlohns durch den Deutschen Bundestag von 10,45 Euro auf 12 Euro zum 1. Oktober 2022.

„Per Saldo haben die Anpassungen unter der Ägide der Mindestlohnkommission über die vergangenen zehn Jahre zu keiner nennenswerten realen Erhöhung geführt, sondern lediglich inflationsbedingte Kaufkraftverluste ausgeglichen – ähnlich wie dies in Frankreich und Belgien durch eine Indizierung des Mindestlohns erreicht wird“, so das Fazit der Studienautoren Lübker und Schulten.


 „Wenn der Mindestlohn auch in diesem Jahr wieder Thema im Wahlkampf ist, hat sich die Mindestlohnkommission das ein Stück weit selbst zuzuschreiben“, ergänzt Lübker. „Insbesondere die letzte Anpassungsentscheidung, die gegen die Stimmen der Gewerkschaftsvertreter*innen gefällt wurde, hat den Ruf der Kommission in den Augen Vieler beschädigt.“


Inzwischen deute sich jedoch Grund zur Hoffnung auf eine Kurskorrektur der Kommission an: In ihrer neuen Geschäftsordnung hat sich diese darauf festgelegt, sich künftig unter anderem am Wert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns der Vollzeitbeschäftigten zu orientieren und wieder im Konsens zu entscheiden. Die nächste Entscheidung steht zum 30. Juni dieses Jahres an. „Um den Referenzwert von 60 Prozent des Medianlohns dauerhaft als Zielgröße zu etablieren, wäre auch in Deutschland eine Aufnahme in das Mindestlohngesetz sinnvoll“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI.


Deutschland fällt in der Europäischen Union auf den 5. Platz zurück
Mit dem aktuellen Mindestlohnniveau lag Deutschland unter den 22 EU-Ländern mit gesetzlichem Mindestlohn zum Stichtag 1. Januar 2025 hinter Luxemburg (15,25 €), den Niederlanden (14,06 €) und Irland (13,50 €) auf dem 4. Platz. Da Belgien seinen Mindestlohn am 1. Februar von 12,57 Euro auf 12,83 Euro erhöht hat, ist diese Rangfolge allerdings inzwischen obsolet und Deutschland (12,82 €) ist mittlerweile auf den 5. Platz vor Frankreich (11,88 €) abgerutscht. Auch in Großbritannien liegt der Mindestlohn mit umgerechnet 13,51 € oberhalb des deutschen Niveaus und steigt dort zum 1. April 2025 auf umgerechnet 14,42 €.


In Süd- und Osteuropa gelten niedrigere Mindestlöhne, wie beispielsweise in Spanien (8,37 €), Slowenien (7,39 €) und Polen (7,08 €). Am Ende der Tabelle finden sich Lettland (4,38 €), Ungarn (4,23 €) sowie Bulgarien (3,32 €; siehe Abbildung 1 in der pdf-Version). Durch das kräftige Mindestlohnwachstum in den osteuropäischen Ländern hat sich das Gefälle innerhalb der EU in den letzten Jahren allerdings deutlich verringert. In Österreich, Italien und den nordischen Ländern existiert kein gesetzlicher Mindestlohn. In diesen Staaten besteht aber eine sehr hohe Tarifbindung, die auch vom Staat stark gestützt wird. Faktisch ziehen dort also Tarifverträge eine allgemeine Lohnuntergrenze.


Deutscher Mindestlohn kaufkraftbereinigt auf Position 6 in der EU
Die Unterschiede im Mindestlohnniveau werden durch unterschiedliche Lebenshaltungskosten innerhalb der EU teilweise relativiert. Der WSI-Mindestlohnbericht weist deswegen auf Basis von Daten des Internationalen Währungsfonds (IMF) auch kaufkraftbereinigte Mindestlöhne aus.


Durch das vergleichsweise hohe Preisniveau in Westeuropa fallen hier die Mindestlöhne in Kaufkraftstandards auf Euro-Basis (KKS €) niedriger aus: Luxemburg (12,29 KKS €), die Niederlande (12,26 KKS €) und Irland (12,16 KKS €) liegen nach dieser Betrachtungsweise fast gleichauf, gefolgt von Frankreich und Belgien (beide 11,92 KKS €). Deutschland (11,81 KKS €) liegt mit geringem Abstand auf dem 6. Rang (Abbildung 2 im Bericht). In Ost- und Südeuropa kommt aufgrund von tendenziell niedrigeren Lebenshaltungskosten ein gegenläufiger Effekt zum Tragen: So schließen Polen (10,36 KKS €), Spanien (9,32 KKS €) und Slowenien (8,64 KKS €) zu Westeuropa auf und auch beim Schlusslicht Bulgarien (5,48 KKS €) fällt der Mindestlohn nach Berücksichtigung der geringeren Lebenshaltungskosten deutlich höher aus.

Mindestlöhne außerhalb der EU
Auch außerhalb der EU sind Mindestlöhne weit verbreitet. Exemplarisch betrachtet das WSI die Mindestlöhne in 16 Nicht-EU-Ländern mit ganz unterschiedlichen Mindestlohnhöhen. Sie reichen von, jeweils umgerechnet, 14,70 Euro in Australien, 12,95 Euro in Neuseeland oder 11,08 Euro in Kanada über 6,80 Euro in Korea oder 6,44 im japanischen Landesdurchschnitt bis zu 3,75 Euro in der Türkei, 1,45 Euro in Argentinien, 1,18 Euro in Brasilien und 1,10 Euro in der Ukraine. Auch außerhalb Europas fallen die Unterschiede in KKS häufig etwas weniger groß aus.

„Weitgehend obsolet“ ist der landesweite Mindestlohn nach Einschätzung der WSI-Experten in den USA, weil er seit 2009 nicht mehr erhöht wurde und mit umgerechnet 6,70 Euro oder gerade einmal 4,85 Euro in KKS nicht zum Überleben reicht. Daher gibt es daneben in rund 30 US Bundesstaaten und Washington DC höhere regionale Untergrenzen. Dazu gehören die Bundesstaaten Washington (15,39 €), Kalifornien (15,24 €), New York (14,32 €), New Jersey (14,31 €) sowie Illinois (13,86 €).


Sozialer Ausgleich durch Sozialstaat und Steuersystem wird schwächer – für 60 Prozent der Erwerbspersonen passiert zu wenig

Neue Studie

Düsseldorf/Duisburg, 11. Februar 2025 - Deutschland hat bei der Bekämpfung von Einkommensungleichheit und Armut nachgelassen. Zwar wirken sowohl das Steuersystem als auch der Sozialstaat in Richtung sozialer Ausgleich, doch im Zeitverlauf weniger stark als in früheren Jahren.

Dabei ist der Wunsch nach staatlicher Umverteilung in der Bevölkerung weit verbreitet: Rund 60 Prozent der Erwerbspersonen finden, dass der Staat zu wenig gegen soziale Ungleichheit tut, nur rund 15 Prozent sehen das dezidiert anders. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.*


Die 2010er Jahre hätten eigentlich gute Voraussetzungen geboten, weniger Ungleichheit zu erreichen und Armut zu verringern – doch trotz des jahrelangen Wirtschaftswachstums und relativ geringer Arbeitslosigkeit haben Einkommenskonzentration und Armut in dieser Zeit zugenommen, konstatieren die Studienautor*innen Dr. Dorothee Spannagel und Dr. Jan Brülle (Daten unten). Daher müsse dieser Zeitraum, in dem zunächst Union und FDP die Regierung stellten, dann die Union und die SPD als kleinere Koalitionspartnerin, insgesamt als „verlorenes Jahrzehnt“ im Kampf gegen Armut und Ungleichheit betrachtet werden.

In ihrer Untersuchung zeigen Spannagel und Brülle anhand aktueller Daten der WSI-Erwerbspersonenbefragung zum einen, wie die Menschen in Deutschland den Sozialstaat bewerten und welche Einstellungen sie zu Ungleichheit haben. Dazu wurden im Dezember 2024 mehr als 7000 Erwerbspersonen in Deutschland befragt – also Erwerbstätige und Arbeitsuchende. Durch den Fokus auf Erwerbspersonen bilden die Daten vor allem die Einstellungen derjenigen ab, die den Sozialstaat durch ihre Steuern und Abgaben maßgeblich finanzieren.


Zum anderen greifen die Forschenden auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ab 2010 zurück, um das tatsächliche Ausmaß der Umverteilung zu ermitteln. Dabei handelt es sich um eine jährliche Wiederholungsbefragung, die unter anderem detaillierte Informationen über die Haushaltseinkommen enthält. Wegen der aufwendigen Datenaufbereitung im SOEP reichen die aktuellsten verfügbaren Daten bis 2021.

„Auch wenn für die Zeit der Ampelkoalition noch keine repräsentativen Panel-Daten vorliegen, ist es höchst unwahrscheinlich, dass der Trend seit 2021 gedreht wurde. Einige Verbesserungen, etwa durch Einführung und Erhöhung des Bürgergelds, dürften nicht kompensiert haben, dass der soziale Ausgleich von Ungleichheit unter dem Strich seit etlichen Jahren tendenziell abnimmt“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI.

„Umso irritierender ist es, dass Forderungen nach Sozialabbau im Bundestagswahlkampf eine erhebliche Rolle spielen. Unsere und die Forschung anderer Institutionen zeigt, dass Zukunftssorgen und Angst, künftig im Lebensstandard abzurutschen, in den vergangenen Jahren zugenommen haben und dass solche Sorgen oft mit Entfremdung von demokratischen Institutionen einhergehen“, warnt die Soziologin. „Eine solide funktionierende soziale Absicherung“ sei ein zentraler Baustein für sozialen Frieden und demokratisches Miteinander, betonen auch die Studienautor*innen Spannagel und Brülle.


  Welche Erwartungen haben die Menschen an staatliche Umverteilung?
Knapp 50 Prozent der in der aktuellen Erwerbspersonenerhebung Befragten sind der Meinung, dass Menschen mit geringem Einkommen besser als bisher unterstützt werden sollten. Nur eine Minderheit von rund 20 Prozent stimmte Ende 2024 dieser Aussage ausdrücklich nicht zu. Rund 60 Prozent finden, dass der Staat zu wenig gegen Ungleichheit unternimmt, hier sehen das sogar nur rund 15 Prozent dezidiert anders.



„Menschen in Deutschland wünschen sich also eine starke Rolle des Staates in der Einkommensverteilung“, schreiben Spannagel und Brülle. Die Meinung, der Staat solle Ungleichheit stärker bekämpfen, ist besonders bei Personen mit niedrigem Einkommen ausgeprägt und nimmt mit steigendem Einkommen tendenziell ab, wobei die Zustimmung bis in die obere Mitte der Einkommensverteilung überwiegt.

Bei der Frage nach möglichen Finanzierungsoptionen sprechen sich die Befragten grundsätzlich eher gegen eine Erhöhung von Steuern und Sozialabgaben aus. „Da ausschließlich Erwerbspersonen befragt wurden, überrascht es nicht, dass die Zustimmung hier niedriger ausfällt als in anderen Erhebungen, in denen die Stichprobe repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist“, sagt WSI-Direktorin Kohlrausch.

Sowohl einer stärkeren Besteuerung von Vermögen als auch einer Anhebung des Spitzensteuersatzes stimmt aber jeweils eine Mehrheit zu. Einschnitte in den Sozialstaat anstelle von Umverteilung hingegen befürworten nur wenige.

Wie hat sich die Umverteilung faktisch entwickelt?
Die Forschenden stellen zunächst fest, dass der Sozialstaat und das progressive Steuersystem in Deutschland grundsätzlich funktionieren. Ohne Sozialtransfers gäbe es in Deutschland viel mehr Armut. Aber: Früher hat der soziale Ausgleich besser geklappt. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 lagen rund 35 Prozent der Bevölkerung mit ihrem sogenannten Markteinkommen unter der Armutsgrenze, die bei 60 Prozent des mittleren Einkommens im Land liegt. Mit ihrem verfügbaren Einkommen, also nach Steuern und Transfers, waren es 2010 noch gut 14 Prozent.

Durch Umverteilung konnte die Armutsquote damit in jenem Jahr um 59 Prozent gesenkt werden. 2021 lag der Anteil derjenigen, die mit ihrem Markteinkommen unter der Armutsgrenze lagen, mit rund 34 Prozent ähnlich hoch wie 2010. Nach Steuern und Transfers war der Anteil der Armen mit knapp 18 Prozent jedoch deutlich höher als elf Jahre zuvor. Die Armutsquote wurde 2021 durch Umverteilung nur noch um 48 Prozent gesenkt, also ein spürbar geringerer Effekt, analysieren Spannagel und Brülle.

Eine ähnliche Entwicklung zeigt der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit der Einkommen misst: Während die Spreizung der Markteinkommen 2021 ähnlich hoch war, ist die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen höher als 2010. Auch hier zeigt sich, dass die staatliche Umverteilung nachgelassen hat.

Woran liegt das?
Ein genauerer Blick auf die Daten zeige, so Spannagel und Brülle, dass „vor allem wohlfahrtsstaatliche Leistungen in ihrer armutsschützenden und ungleichheitsreduzierenden Wirkung nachgelassen haben“. So blieb beispielsweise die Entwicklung der Regelsätze des ALG II im Untersuchungszeitraum bis 2021 deutlich hinter der Lohnentwicklung zurück und verharrte vielfach auf einem Niveau, das unterhalb der Armutsschwelle liegt.

Auch die staatliche Rente wirkt heute weniger stark gegen Ungleichheit und Armut als früher, was die Forschenden auf eine Kombination aus sinkendem Rentenniveau und fehlender Mindestsicherung im Alter zurückführen.


Aufgrund von brüchigen Erwerbsbiografien, Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt und Niedriglöhnen müssten mehr Menschen mit geringeren Rentenansprüchen auskommen. Für die zunehmende Anzahl der Menschen, die nicht auf ausreichende Leistungen der Sozialversicherungen zurückgreifen können, seien die bestehenden Grundsicherungsleistungen systematisch zu niedrig, um Armut zu verhindern, so das Fazit.


Unternehmer bleiben pessimistisch- IHK: Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik nötig

Duisburg, 10. Februar 2025 - Die Lage von Industrie und Handel am Niederrhein bleibt schlecht. Besonders die Industrie sieht schwarz. Das zeigt die Konjunkturumfrage der Niederrheinischen IHK.
Die Aussichten verdüstern sich weiter: Die Wirtschaft rutscht tiefer in die Rezession. Die Unzufriedenheit mit den politischen Rahmenbedingungen steigt.

Die Deutschen sind so sparsam wie seit den 90er Jahren nicht mehr. Das spürt auch die Industrie und rechnet mit weiteren Einbrüchen. Einzig Dienstleister sind verhalten optimistisch.

Grafiken/Tabellen IHK

„Dass die Werte so langanhaltend schlecht sind, ist beunruhigend. Tendenz ist sinkend.Einzelne Werte waren schon tiefer, ja, zur Finanzkrise zum Beispiel oder zur Corona-Krise. Da hat sich die Wirtschaft aber schnell berappelt. Jetzt zeigen sich grundlegende Probleme, die in den letzten Jahren stiefmütterlich behandelt wurden: Bürokratie, hohe Steuern, marode Infrastruktur treffen auf eine unsichere Weltlage“, erläutert Dr. Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK.



Krise bei Export, Investition und Beschäftigung
Die Unternehmen befürchten, dass sie ihre Waren nicht mehr so gut in die USA verkaufen können. Gleichzeitig werden Waren aus anderen Exportländern nach Europa schwappen, wenn auch sie sich neue Märkte suchen müssen. Die Sorge vor einem globalen Handelskrieg steigt. Das Ergebnis: Die Exporterwartung über alle Branchen hinweg bricht ein. Industrie und Handel fehlt die Luft zum Investieren. Zusätzlich plant die Industrie einen massiven Stellenabbau. Einzig die Dienstleister wollen mehr Geld in die Hand nehmen. Doch auch hier könnten viele Stellen wegfallen.



Krisenplan für Brückenausfälle
Zu den Risiken zählt auch die marode Infrastruktur. Die lässt sich nicht von heute auf morgen sanieren. Deswegen fordert die IHK Krisenpläne für drohende Brückenausfälle. „Wir haben es bei der Rahmede-Brücke gesehen, der Uerdinger-Brücke und vielen weiteren. Es ist eine Frage der Zeit, bis es bei der A59 so weit ist. Wir müssen vorbereitet sein“, warnt Dietzfelbinger. Laut IHK braucht es Pläne zur effektiven Umleitung des Verkehrs. Auch Pendler müssen mobil bleiben und Unternehmen erreichbar.


Überblick der Niederrheinnjunktur
Die Niederrheinische IHK befragt dreimal im Jahr ihre Mitgliedsunternehmen zur wirtschaftlichen Lage. Dazu gehören Themen wie Geschäftserwartungen, Geschäftsrisiken und die Fachkräftesituation. Der Konjunkturklimaindex fasst zusammen, wie die Unternehmen ihre aktuelle Situation beurteilen und was sie in den nächsten Monaten erwarten. Der langjährige Mittelwert beträgt 107 Punkte. Nun fällt der Index von 92 Punkten im vergangenen Herbst auf jetzt 91 Punkte.



- Städten und Kreisen droht erneuter Anstieg der Schulden
- IHK-Ruhrlagebericht: Wirtschaft im Stimmungstief / Unzufriedenheit mit politischen Rahmenbedingungen wächst

RVR legt Kommunalfinanzbericht Ruhrgebiet vor: Städten und Kreisen droht erneuter Anstieg der Schulden
Essen/Duisburg, 4. Februar 2025 - Die zahlreichen Bemühungen der Ruhrgebietskommunen, ihre Haushalte auszugleichen, sind ausgeschöpft. Wenn die neue Bundesregierung keine tragfähige Lösung der Altenschuldenproblematik finde und bei der strukturellen Unterfinanzierung nicht gegensteuere, drohe eine erneute und massive Krise der Kommunalfinanzen, warnen die Verfasser des Kommunalfinanzberichts Ruhrgebiet 2024.


Die Finanzanalyse im Auftrag des Regionalverbandes Ruhr (RVR) von Professor Dr. Martin Junkernheinrich und Gerhard Micosatt ist heute (4. Februar) im RVR-Wirtschaftsausschuss vorgestellt worden. Mit dem Kommunalfinanzbericht präsentiert der RVR jährlich eine regionale Bestandsaufnahme der kommunalen Finanzsituation. Im Berichtsjahr 2023 haben die Kommunen in der Region im Durchschnitt gerade noch einmal einen Haushaltsausgleich (+900.000 Euro) erzielt.


"Im haushalterischen Sinn waren also die Konsolidierungsanstrengungen des letzten Jahrzehnts erfolgreich", so Prof. Junkernheinrich. "Doch 2023 hat sich das Ergebnis für die Ruhrgebietskommunen schon deutlich verschlechtert. Für 2024 ist ein Defizit nicht mehr aufzuhalten, und der eingeschlagene Weg zu ausgeglichenen Haushalten steht auf tönernen Füßen."


Dies wird an den wieder steigenden Liquiditätskrediten deutlich: Sie haben sich im vergangenen Jahr bis zum Ende des dritten Quartals um drei Milliarden Euro erhöht. Der Weg zu schuldenfreien Haushalten aus eigener Kraft hat für die Finanzexperten Junkernheinrich und Micosatt drei entscheidende Makel: Die nach 2020/2021 notwendige Anschlussregelung für den Stärkungspakt Stadtfinanzen steht immer noch aus, so dass steigende Zinsen wieder zu einem erheblichen Problem werden.


Außerdem werden die negativen Folgen der langjährigen Haushaltskonsolidierung wie zum Beispiel Investitionsverzicht und hohe Abgabenlast immer stärker spürbar. Eine neue Krisenlage und die anhaltend schwache Konjunktur in Deutschland können alle Anstrengungen der letzten Jahre in kurzer Zeit zunichtemachen. Erforderlich sind grundsätzliche Anstrengungen, um das Gemeindefinanzsystem mit einer aufgabenangemessenen Finanzausstattung wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und mit einem Entschuldungsprogramm endlich einen Neustart zu ermöglichen, so das Resümee im aktuellen Kommunalfinanzbericht.


RVR-Regionaldirektor Garrelt Duin unterstützt daher die Forderungen der kommunalen Spitzenverbände, die Städte und Gemeinden stärker als bisher am Steueraufkommen zu beteiligen und die Altschuldenproblematik zu lösen. "Wenn diese beiden Maßnahmen beherzt umgesetzt werden, bekommen unsere Kommunen im Ruhrgebiet endlich wieder mehr Spielräume für die dringend erforderliche Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur, den Neu- und Ausbau von Schulen und Kindergärten, die Digitalisierung und die Wärmewende."


IHK-Ruhrlagebericht: Wirtschaft im Stimmungstief / Unzufriedenheit mit politischen Rahmenbedingungen wächst
Fachkräftemangel, schwache Inlandsnachfrage, hohe Energie- und Rohstoffpreise sowie schlechte wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen belasten zunehmend die Wirtschaft im Ruhrgebiet. Das ist das Fazit des 114. Ruhrlageberichts, den die Industrie- und Handelskammern im Ruhrgebiet heute vorgelegt haben. An der Umfrage haben rund 780 Unternehmen mit mehr als 92.000 Beschäftigten teilgenommen.


Im Vergleich zum Jahresbeginn 2024 ist der IHK-Konjunkturklimaindex von 94 auf 92,7 Punkte gesunken. Schlechter war der Wert bisher nur im Herbst 2022 mit 77 Punkten. Nur knapp 23 Prozent der Befragten bewerten ihre Wirtschaftslage als gut (Vorjahr: 26 Prozent). Gleichzeitig ist die Anzahl der Unternehmen, welche die Lage als schlecht einschätzen, um vier Punkte auf 24 Prozent gestiegen.


Schlechte Stimmung herrscht vor allem im Handel, wo nur 14 Prozent mit der aktuellen Geschäftslage zufrieden sind. Im Industriesektor bezeichnen 19 Prozent die Situation als gut; im vergangenen Jahr lag der Wert noch bei 29 Prozent. Gewachsen ist die Unzufriedenheit mit den politischen Rahmenbedingungen: 62 Prozent sehen darin den größten Unsicherheitsfaktor für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Dazu zählen fehlende Planbarkeit, politischer Stillstand, überbordende Bürokratie, mangelnde Stabilität sowie unklare Rahmenbedingungen. Eine zusätzliche Belastung stellt die Verkehrsinfrastruktur im Ruhrgebiet dar. idr


Ausbau der Stromnetze: Finanzierung durch Privatinvestoren kommt Stromkund*innen fast doppelt so teuer wie durch den Staat

Düsseldorf/Duisburg, 24. Januar 2025 - Der für die Energiewende unerlässliche massive Ausbau der deutschen Stromnetze wird für private Stromverbraucher*innen und Unternehmen finanziell relativ herausfordernd, aber insgesamt tragbar, wenn die öffentliche Hand bei der Finanzierung eine zentrale Rolle einnimmt.

Trotz des hohen Investitionsbedarfs von 651 Milliarden Euro bis 2045 würden die durchschnittlichen Netzentgelte im Falle einer öffentlichen Finanzierung nur moderat um 1,7 Cent pro Kilowattstunde (kWh) steigen, wobei die finanzielle Gesamtbelastung durch einen Verbrauch von 1.100 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2045 nicht zu unterschätzen ist. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie von Ökonomen der Universität Mannheim.*

Fast doppelt so stark, um 3 Cent pro Kilowattstunde, müssen hingegen die Netzentgelte angehoben werden, wenn private Investoren das nötige Kapital zur Verfügung stellen. Denn diese verlangen deutlich höhere Renditen für ihren Kapitaleinsatz, wie langjährige Erfahrungen mit privat finanzierten Infrastrukturprojekten zeigen.


Kurzfristig noch teurer wäre es für Privathaushalte und gewerbliche Verbraucher, wenn die Unternehmen, die die Übertragungs- sowie die lokalen Verteilungsnetze betreiben, den Ausbau aus ihren laufenden Einnahmen bezahlen müssten. Dann würden die durchschnittlichen Netzentgelte mit Beginn des Netzausbaus um 7,5 Cent pro Kilowattstunde steigen, haben die Studienautoren Prof. Dr. Tom Krebs und Dr. Patrick Kaczmarczyk berechnet.




Zum Vergleich: 2021 betrugen die Netzentgelte, über die Stromabnehmer*innen sowohl den Netzbetrieb als auch Investitionen refinanzieren, im Mittel etwa 5,1 Cent/kWh. 2024 waren es 7,7 Cent.

„Unsere Studie legt somit nahe, dass ein nachhaltiger und effizienter Ausbau der Stromnetze nur mit einer massiven Stärkung der Eigenkapitalbasis der Netzbetreiber möglich ist – und dies durch öffentliches Kapital erfolgen sollte, um die Kosten für Wirtschaft und Gesellschaft zu minimieren und die Energiewende sozialverträglich und wirtschaftlich tragfähig zu gestalten“, lautet das Fazit von Krebs und Kaczmarczyk. „Trotz der hohen Investitionssummen, die bis 2045 in den Netzausbau fließen müssen, wäre die Energiewende damit finanzier- und realisierbar, ohne für soziale oder wirtschaftliche Verwerfungen zu sorgen.“

Ganz anders sähe das aus, wenn die Kapitalbeschaffung im Wesentlichen über private Geldgeber wie Banken oder in- und ausländische Finanzinvestoren laufen würde, wie es beispielsweise der Ökonom Professor Lars Feld oder die Beratungsgesellschaft Deloitte in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vorgeschlagen haben.


Quelle: BNetzA. Hinweis: Alle Daten inklusive Messstellenbetrieb. Die Daten für die Haushaltskunden sind mengengewichtete Durchschnittswerte für 2500-5000 kWh Verbrauch. Die Nettonetzentgelte für die Gewerbe- und Industriekunden sind arithmetische Werte für eine

Durch die weitaus höheren Finanzierungskosten und die entsprechend stärkere Anhebung der Netzentgelte „bezahlen Wirtschaft und Gesellschaft jedes Jahr bis zu 14 Milliarden Euro zusätzlich für die Nutzung der Stromnetze, damit internationale Finanzinvestoren wie BlackRock hohe Renditen einfahren können“, warnen Krebs und Kaczmarczyk für dieses Szenario.



Die Selbstfinanzierung durch die Netzbetreiber sei wegen des schnellen, drastischen Anstiegs der Netzentgelte erst recht „keine ökonomisch sinnvolle Option.“ Die Studie zeigt, so Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, wie wichtig die Diskussion darüber ist, welche Rolle der Staat beim Ausbau von Infrastrukturen spielen soll, die für die Transformation essenziell sind.



Dies verdeutlicht eine Nordwest-Südost-Achse, entlang derer die Netzentgelte geringer ausfallen, während die mit Abstand höchsten Netzentgelte im Nordosten der Bundesrepublik anfallen. Die vergleichsweise höheren Nettonetzentgelte in Hessen für die Industrie (4,78 ct/kWh) fallen bei dieser grundsätzlichen Tendenz etwas aus dem Bild. Allerdings sind die Netzentgelte für diese Verbrauchergruppe durch eine insgesamt geringere Varianz geprägt, sodass das grundlegende Muster bestehen bleibt.


Die Gründe für die hohen Netzentgelte im Osten der Republik sind einerseits auf den hohen Zubau an Erneuerbaren und andererseits auf die geographischen Strukturen zurückzuführen. In Nord- und Ostdeutschland wird vor allem über die Windkraft deutlich mehr Strom produziert als verbraucht – und die Integration und der Transport der Erneuerbaren in den industriellen Süden erfordert teure Netzausbau- und Netzengpassmanagementmaßnahmen.


Aufgrund der geringeren Bevölkerungsdichte und Verbrauchsstruktur sowie den tendenziell größeren Netzflächen werden die Netzkosten auf weniger Verbraucher umgelegt, was die Netzentgelte in die Höhe treibt. Das Ungleichgewicht dabei ist offenkundig: die Regionen, die für das Gelingen der Energiewende die größten Anstrengungen unternehmen, tragen derzeit die höchsten Kosten.


Forscher durchleuchten drei aktuell diskutierte Szenarien
Den Investitionsbedarf von insgesamt 651 Milliarden Euro bis 2045 haben die Mannheimer Wirtschaftswissenschaftler kürzlich in einer ebenfalls von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Vorläuferstudie auf Basis der aktuellen Netzausbaupläne zum Erreichen der Klimaziele ermittelt.

In der neuen Untersuchung kommen sie nun zu dem Ergebnis, dass es für die Bezahlbarkeit der Energiewende einen entscheidenden Unterschied macht, wie genau der Netzausbau finanziert wird. Dazu haben sie drei Szenarien durchgerechnet, die aktuell diskutiert werden:

Im ersten Finanzierungsszenario erfolgt eine Ausweitung der Eigenkapitalbasis der Netzbetreiber mit öffentlichem Kapital und eine zusätzliche Aufnahme von Fremdkapital, um die notwendigen Neuinvestitionen zu finanzieren. Dafür könnte sich der Staat etwa über die staatliche Förderbank KfW oder eine neu gegründete Infrastrukturgesellschaft an großen Netzbetreibern beteiligen, bis hin zu einer vollständigen Übernahme, was deren Eigenkapital vergrößern würde.


Aktuell muss der Bund 2,5 Prozent Zinsen für dazu notwendige Kredite bezahlen. Krebs und Kaczmarczyk kalkulieren in ihren Berechnungen mit einem öffentlichen Fremdkapitalzins von 3 Prozent und einer moderaten öffentlichen Eigenkapitalrendite von ebenfalls 3 Prozent, weil die öffentliche Hand hauptsächlich gemeinwohlorientiert und nicht gewinnorientiert agieren sollte.

Dieser finanzielle Vorteil kann an die privaten und gewerblichen Stromkund*innen durchgereicht werden, was den Anstieg der Netzentgelte auf die bereits genannten 1,7 Cent/kWh begrenzen würde. Mit der Schuldenbremse ist das staatliche Engagement in dieser Konstellation laut den Ökonomen vereinbar.


Im zweiten Szenario wird ebenfalls die Eigenkapitalbasis der Netzbetreiber ausgeweitet und zusätzliches Fremdkapital aufgenommen, aber das Eigenkapital wird von privaten Finanzinvestoren bereitgestellt. Bei dieser Finanzierungsoption veranschlagen die Ökonomen in ihrer Berechnung eine Eigenkapitalverzinsung von 9 Prozent und Fremdkapitalkosten von 4 Prozent, wodurch sich ein gewichteter Kapitalzinssatz von 6 Prozent ergibt – in etwa ein Prozentpunkt über dem Niveau, das die Bundesnetzagentur derzeit veranschlagt.


Der in der Studie verwendete Eigenkapitalzins orientiert sich an den Renditen von privaten Investoren bei bereits realisierten Infrastrukturprojekten, die zuletzt zwischen 8 und 10 Prozent betrugen. Private Investoren begründen happige Aufschläge auf ihre eigenen Kreditkosten mit Ausfallrisiken, die ihnen bei Großprojekten entstünden. Allerdings forderten Finanz- und Energiewirtschaft gleichzeitig regelmäßig staatliche Absicherungen, kritisieren Kaczmarczyk und Krebs. Das sei widersprüchlich und ökonomisch nicht sinnvoll. Im konkreten Szenario belaste eine Privatfinanzierung völlig unnötig private und gewerbliche Stromverbraucher*innen, deren Netzentgelte um 3 Cent/kWh steigen.

Im dritten Szenario wird kein zusätzliches Eigenkapital und kein zusätzliches Fremdkapital aufgenommen, so dass die notwendigen Neuinvestitionen aus eigenen Mitteln der Netzbetreiber finanziert werden müssen (Selbstfinanzierung). Diese Option erfordert einen sofortigen Anstieg der Netzentgelte um 7,5 Cent/kWh, denn der Aufschlag muss zeitgleich mit den Investitionsausgaben erfolgen, während die ersten beiden Finanzierungsoptionen eine zeitliche Entkopplung der Einnahmen aus Netzentgelten und Ausgaben für Neuinvestitionen ermöglichen.


Zwar würde in Szenario drei der Aufschlag auf die Netzentgelte im Laufe der Zeit deutlich zurückgehen und nach 2045 wieder auf das Ausgangsniveau fallen, während er in Szenario eins und zwei dauerhaft nötig wäre. Allerdings „wären die drastischen, kurzfristigen Anstiege der Netzentgelte bis 2037 für Unternehmen und Haushalte kaum tragbar“, warnen die Ökonomen der Universität Mannheim. „Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen wären voraussichtlich verheerend.“


- IHK: Duisburg muss dranbleiben - Unternehmen zufriedener mit Standort
- Land sichert Vermittlung der Schlichtungsstelle Nahverkehr langfristig

IHK: Duisburg muss dranbleiben - Unternehmen zufriedener mit Standort   Duisburg, 23. Januar 2025 - Leistungsfähige IT-Netze, niedrige Steuern und gute Straßen und Brücken: Das sind die wichtigsten Standortfaktoren für die Duisburger Unternehmen. Der Weg bis dahin ist noch weit, aber die Stadt macht Fortschritte. Das zeigt das aktuelle Wirtschaftsbarometer der Niederrheinischen IHK.  


Die Unternehmen in Duisburg klagen über die schlechte wirtschaftliche Lage. Bürokratie, Fachkräftemangel und marode Brücken bleiben Problemkinder. Mit dem Standort sind sie jedoch zufriedener als vor einem Jahr. „Die Unternehmen erkennen an, dass die Stadt die Straßen verbessert und sie bei der Gewerbesteuer entlastet. Auch die Wirtschaftsförderung bewerten sie viel besser als noch vor einigen Jahren – ein toller Erfolg für die DBI“, so Dr. Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK. Ein Grund zum Ausruhen sei das aber nicht: Es gebe kaum noch freie Gewerbeflächen.  

Dr. Stefan Dietzfelbinger, Fotos IHK 


Seit 2022 steigt das Risiko einer Insolvenz bei den Betrieben. Auch das macht Sorgen, wundert Dietzfelbinger aber nicht: „In schlechten Zeiten halten alle ihr Geld zusammen. Der Duisburger Einzelhandel spürt das besonders. Hier muss sich die Stadt mehr ins Zeug legen, damit die Bürger vor Ort einkaufen. Niedrigere Steuern locken Unternehmen an und sorgen für eine attraktivere Innenstadt.“  


Hintergrund der Umfrage Das Wirtschaftsbarometer Duisburg nimmt seit 2021 regelmäßig die Wirtschaft der größten Stadt am Niederrhein unter die Lupe. Neben der Industrie blickt die Niederrheinische IHK auf die Konjunktur, den Arbeits- und Ausbildungsmarkt sowie die Gewerbeflächen. Die aktuellen Zahlen sind online abrufbar unter: www.ihk.de/niederrhein/wirtschaftsbarometer.


Land sichert Vermittlung der Schlichtungsstelle Nahverkehr langfristig
Verkehrsminister Oliver Krischer übergibt Förderbescheid über 2,5 Millionen Euro an die Verbraucherzentrale NRW Seit Jahren ist die Schlichtungsstelle Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen für Kundinnen und Kunden des ÖPNV eine Anlaufstelle, wenn es Probleme gibt, die sie mit dem Verkehrsunternehmen nicht lösen können: Womöglich zu Unrecht des Schwarzfahrens beschuldigt? Schwierigkeiten, Ansprüche nach Fahrtausfällen geltend zu machen?

Hier hilft die vom Land Nordrhein-Westfalen geförderte Schlichtungsstelle weiter. Am Dienstag, 21. Januar 2025, überreichte in Düsseldorf Verkehrsminister Oliver Krischer einen Förderbescheid in Höhe von rund 2,5 Millionen Euro an Melanie Schliebener, Leiterin der Schlichtungsstelle Nahverkehr.

Die Schlichtungsstelle Nahverkehr (SNV) ist eine unabhängige Einrichtung des Vereins Schlichtungsstelle Nahverkehr e. V. Dem Verein gehören die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VdV) sowie Verkehrsunternehmen aus Nordrhein-Westfalen an. Die Schlichtungsstelle Nahverkehr wird finanziert durch das Land Nordrhein-Westfalen und die beteiligten Verkehrsunternehmen.



Inflation im Jahr 2024 für 6 von 9 Haushaltstypen bei oder unter 2 Prozent, Anstieg zum Jahresende nicht überbewerten

Neue Werte des IMK Inflationsmonitors


Düsseldorf/Duisburg, 21. Januar 2025 - Die Inflationsrate in Deutschland ist im Dezember 2024 zwar erneut gestiegen auf 2,6 Prozent. Im Gesamtjahr 2024 lag sie mit 2,2 Prozent aber sehr nah am Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent. Ähnlich ist dieses Muster, wenn man auf die Inflationsraten verschiedener Haushaltstypen blickt, die sich nach Einkommen und Personenzahl unterscheiden: Im Dezember wiesen alle von ihnen Inflationsraten an oder etwas über dem Inflationsziel auf.


Im Gesamtjahr erlebten nur drei von neun Haushaltstypen Inflationsraten oberhalb des EZB-Ziels, während sechs unter oder bei zwei Prozent lagen, zeigt der neue IMK-Inflationsmonitor. Der Anstieg zum Jahresende sollte nicht überbewertet werden, so Dr. Silke Tober, Inflationsexpertin des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).


Während insbesondere ärmere Familien im Mittel der Jahre 2022 und 2023 eine deutlich höhere Teuerung schultern mussten als Haushalte mit mehr Einkommen, war ihre Inflationsrate im Dezember 2024 wie im Gesamtjahr 2024 unterdurchschnittlich: Der Warenkorb von Paaren mit Kindern und niedrigen Einkommen verteuerte sich im Dezember um 2,0 Prozent, im Gesamtjahr um 1,6 Prozent. Dabei wirkte sich aus, dass sowohl aktuelle Preisrückgänge bei Haushaltsenergie als auch bei Kraftstoffen im Warenkorb dieser Haushalte ein relativ hohes Gewicht haben und auch den zuletzt etwas stärkeren Anstieg der Lebensmittelpreise weitgehend kompensierten. Das gilt, etwas abgeschwächt, auch bei Alleinerziehenden sowie bei Paaren mit Kindern und jeweils mittleren Einkommen



2025 dürfte sich die Inflationsrate weiter normalisieren und bei gesamtwirtschaftlich zwei Prozent einpendeln, so die Prognose des IMK. Ein längerfristiger Vergleich, den IMK-Inflationsexpertin Tober in ihrem neuen Bericht anstellt, zeigt aber auch die Nachwirkungen der hohen Inflation in den vergangenen Jahren. Insgesamt lagen die Verbraucherpreise 2024 um 19,9 Prozent höher als fünf Jahre zuvor. Damit war die Teuerung fast doppelt so stark wie mit der EZB-Zielinflation von kumuliert 10,4 Prozent in diesem Zeitraum vereinbar.


Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke verteuerten sich sogar um 35,6 Prozent, Energie war trotz der Preisrückgänge in letzter Zeit um 40,2 Prozent teurer als 2019. Deutlich weniger stark, um 15,5 Prozent, haben sich Dienstleistungen verteuert. Paare mit Kindern und niedrigen und mit mittleren Einkommen hatten im Fünf-Jahres-Vergleich die höchsten Inflationsbelastungen zu schultern, Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen die niedrigste.




Für die Geldpolitik sind indes die mittlerweile wieder entspannte Preisentwicklung und die normalisierte mittelfristige Perspektive maßgeblich, betont Ökonomin Tober. Zumal die Wirtschaft im Euroraum schwächelt und in Deutschland stagniert. Daher hält die Autorin des IMK Inflationsmonitors weitere Zinsschritte für erforderlich. „Aktuell sind die Leitzinsen trotz der Zinssenkungen im vergangenen Jahr noch auf einem Niveau, das die Wirtschaft dämpft“, schreibt Tober.

Statt einer Nachfragedrosselung benötige die Wirtschaft im Euroraum und insbesondere in Deutschland einen positiven Nachfrageschub, der ein günstiges Umfeld für Investitionen schafft. „Die EZB kann dazu einen Beitrag leisten, indem sie den Leitzins zügig aus dem restriktiven Bereich herausnimmt.“


Familien mit niedrigen und mit mittleren Einkommen mussten in fünf Jahren knapp 21 Prozent Inflation schultern




Die längerfristige Betrachtung illustriert, dass Haushalte mit niedrigem bis mittlerem Einkommen von der starken Teuerung nach dem russischen Überfall auf die Ukraine besonders stark betroffen waren, weil Güter des Grundbedarfs wie Nahrungsmittel und Energie in ihrem Budget eine größere Rolle spielen.

Diese wirkten lange als die stärksten Preistreiber. So betrug auf dem Höhepunkt der Inflationswelle im Oktober 2022 die Teuerungsrate für Familien mit niedrigen Einkommen 11 Prozent, die für ärmere Alleinlebende 10,5 Prozent. Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen hatten damals mit 7,9 Prozent die mit Abstand niedrigste Inflationsrate.

In der Betrachtung über einen Fünf-Jahres-Zeitraum sind die Abstände weniger groß, weil sich zuletzt vor allem Dienstleistungen verteuert haben, die Haushalte mit höheren Einkommen stärker nachfragen als Ärmere. Allerdings zeigen sich nach wie vor auch über den gesamten Zeitraum merkliche Unterschiede bei der Belastung: Seit 2019 stiegen die Preise für den Warenkorb von Paaren mit Kindern und niedrigen Einkommen um 20,8 Prozent, bei Paaren mit Kindern und mittleren Einkommen um 20,4 Prozent.

Die niedrigste längerfristige Teuerungsrate hatten mit kumuliert 18,3 Prozent erneut Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen (siehe auch die Tabelle in der pdf-Version). Erschwerend kommt hinzu, dass Haushalte mit niedrigeren Einkommen wenig finanzielle Polster besitzen und sich die Güter des Grundbedarfs, die sie vor allem nachfragen, kaum ersetzen oder einsparen lassen.

Aktuell verteuern sich die spezifischen Warenkörbe von ärmeren Familien weniger stark als der Durchschnitt, weil sie wegen der Kinder häufiger ein Auto haben, weshalb sich bei ihnen nicht nur die gesunkenen Preise für Haushaltsenergie, sondern auch für Kraftstoffe spürbar auswirken. Alleinlebende mit niedrigen Einkommen besitzen dagegen selten ein Fahrzeug. Daher lag ihre Inflationsrate im Dezember 2024 mit 2,2 Prozent etwas höher und auf dem gleichen Niveau wie bei Alleinlebenden mit mittleren Einkommen.



Den gleichen Wert weisen Paarfamilien sowie Alleinerziehende mit jeweils mittleren Einkommen aus. Dass wiederum Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen mit 2,6 Prozent im Dezember – wie auch in den Monaten zuvor – eine höhere Inflationsrate hatten als die übrigen Haushalte im Vergleich, liegt daran, dass sie stärker als andere etwa Versicherungen, Reisen oder soziale Dienstleistungen nachfragen, die in den vergangenen Monaten eine überdurchschnittliche Teuerungsrate aufwiesen.


Das gilt, leicht abgeschwächt, auch für Paare mit Kindern und hohen Einkommen (2,4 Prozent) sowie für Paare ohne Kinder mit mittleren Einkommen und für Alleinlebende mit höheren Einkommen, deren Warenkörbe sich um jeweils 2,3 Prozent verteuerten (Abbildung 1).


Trump Präsident: Wirtschaft verunsichert IHK: Entwicklung beobachten

 Unternehmen am Niederrhein sehen der zweiten Amtszeit von Donald Trump mit Sorge entgegen. Der Handel mit den USA wird voraussichtlich schwieriger. Es drohen neue Handelsbarrieren. Die Unternehmen in der Region sollten sich vorbereiten.  


Laut Niederrheinischer IHK fürchten viele Unternehmen, dass sie ihre Produkte schlechter verkaufen können. Denn: Donald Trump setzt auf eine Politik, die die heimische Wirtschaft schützen soll. Dafür hat er Zölle von zehn bis 20 Prozent auf europäische Produkte angekündigt. Auch Zölle von 60 Prozent auf chinesische Waren könnten Europa indirekt treffen, wenn chinesische Produkte verstärkt auf den europäischen Markt gelangen.  


Bereits in seiner ersten Amtszeit hatte Trump 25 Prozent Zölle auf Stahlimporte eingeführt. Deutsche Stahlexporte in die USA halbierten sich daraufhin. Nun besteht die Gefahr erneut: US-Zölle auf chinesische oder mexikanische Waren könnten dann die deutsche Stahlindustrie zusätzlich unter Druck setzen. Mehr Stahl auf dem Markt drückt die Preise.  


„Trump steht für eine schwer kalkulierbare und konfrontative Politik. Deshalb müssen Unternehmen mit wirtschaftspolitischen Drohungen und Druck rechnen. Sie sollten die Entwicklung beobachten und verschiedene Szenarien durchspielen“, rät IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Stefan Dietzfelbinger. Betriebe vom Niederrhein, die in den USA produzieren, könnten von Trumps wirtschaftlichem Fokus profitieren. Alle, die in die USA exportieren, sollten sich auf Handelsbarrieren vorbereiten.

Dr. Stefan Dietzfelbinger, Fotos IHK 


Dietzfelbinger appelliert an die Politik: „Die Bundesregierung und die EU sollten sich für den Schutz wichtiger Industrien einsetzen. Gleichzeitig braucht es abgestimmte Lösungen, um den Auswirkungen einer einseitigen US-Handelspolitik entgegenzuwirken. Unsere IHK ist dazu im Austausch mit Politik und Verwaltung.“


"Wir sind wirtschaftspolitisch in einer neuen Welt“

IMK-Analyse zeigt drei zentrale Ansätze, um deutsches Wirtschaftsmodell fit zu machen

Düsseldorf/Duisburg, 9. Januar 2025 - Die anhaltende Stagnation der deutschen Wirtschaft der vergangenen Jahre ist nicht auf überhöhte Lohnkosten oder hohe Sozialausgaben zurückzuführen, sondern sie ist vor allem Konsequenz von sich verändernden weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die stark geprägt sind durch einen sich zuspitzenden Machtkampf zwischen den beiden wichtigen Handelspartnern China und USA. Hinzu kommen die Folgen des Energiepreisschocks durch den Wegfall russischen Erdgases als verlässliche Energiequelle.


Wirtschaftspolitische Maßnahmen der neuen Bundesregierung müssen das berücksichtigen, wenn sie zu einem erfolgreichen Turnaround der deutschen Wirtschaft führen sollen. Zu diesen Ergebnissen kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung in seiner wirtschaftspolitischen Untersuchung zum Jahresauftakt.*

Ihre Analyse machen die Ökonom*innen daran fest, dass sich über die beiden Jahrzehnte bis zur Covid-Pandemie Deutschlands Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ähnlich jenem der USA und deutlich besser als bei den europäischen Partnern entwickelt hat. Seitdem hat es keine massiven Veränderungen in der Lohnposition, der Bürokratie oder der Sozialausgaben Deutschlands gegeben. Wohl aber haben die USA und China ihre industrie- und handelspolitischen Aktivitäten massiv verstärkt, was speziell Deutschland mit seiner speziellen Exportstruktur trifft. Zudem wirkt der Energiepreisschock nach, der durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelöst wurde.

Die Ökonom*innen, die in ihrer aktuellen Konjunkturprognose für dieses Jahr nur ein minimales Wirtschaftswachstum um 0,1 Prozent, prognostizieren, warnen daher vor „verkürzten Analysen“, die von den wahren Problemen ablenkten: „Herausforderungen durch aggressive Industriepolitik in China und den USA sowie das Risiko eines globalen Handelskrieges wird mit Debatten über vermeintlich überhöhte Sozialausgaben oder falsche Anreize für Bürgergeldempfänger*innen begegnet“, nennen sie als Beispiel.


Dadurch gehe nicht nur Zeit verloren, ein wirtschaftspolitisch falscher Druck auf Löhne und soziale Sicherung könnte auch die Binnennachfrage als wichtigen Stabilitätsanker weiter schwächen. Ein weiteres Beispiel für eine falsche Schwerpunktsetzung sei der zu zögerliche Zinssenkungskurs der Europäischen Zentralbank „in einer Phase, in der die Inflationsgefahren gebannt sind“ und insbesondere die deutsche Wirtschaft durch zu hohe Zinsen ausgebremst werde.

Das aktuelle Problemknäuel lasse sich nur durch entschlossenes Handeln der nächsten Bundesregierung auflösen, das drei Schwerpunkte setzt: Erstens eine Investitionsoffensive, um die Infrastruktur zu modernisieren „von Schienen, Straßen, Netzwerkkabeln, Stromnetzen bis zu Schulen“, so das IMK. Zweitens: Eine Lösung für das Problem hoher und volatiler Energiepreise – kurzfristig durch einen Brückenstrompreis, längerfristig beispielsweise durch eine Finanzierung des Netzausbaus über öffentliche Kredite.

Moderne Industriepolitik lässt sich innovations- und wettbewerbsorientiert gestalten

Drittens raten die Forschenden zu einer neuen, in der EU koordinierten, Industriepolitik, die zentrale Zukunfts- und Schlüsselbranchen bei der Transformation hin zu klimafreundlichen Prozessen unterstützt. Dazu zählen sie unter anderem eine dauerhafte Weiterführung des bislang bis 2026 begrenzten „NextGenerationEU“-Investitionsprogramms, aber auch nationale Investitionshilfen sowie den Schutz vor Dumping-Importen, etwa bei Batterien, Elektrofahrzeugen oder Stahl.


Die EU-Handelspolitik müsse „offen, aber wehrhaft“ reagieren, wenn insbesondere China und die USA in einem ökonomischen Ringen „um die globale Vorherrschaft“ zunehmend Regeln der Welthandelsorganisation ignorierten. Die Wirtschaftspolitik sollte insbesondere in Deutschland „darauf ausgerichtet sein, neben der notwendigen Förderung des Dienstleistungssektors dem verarbeitenden Gewerbe zu helfen, Technologieführerschaft zu verteidigen oder zurückzugewinnen, die Absatzmärkte zu diversifizieren, neue Wachstumsmärkte zu erschließen und die Voraussetzungen für eine strategische Autonomie in Europa zu schaffen.“


Die Forschung zeige, dass sich moderne Industriepolitik innovations- und wettbewerbsorientiert gestalten lasse und Mitnahmeeffekten vorgebeugt werden könne.

„In der Debatte über die aktuelle Wirtschaftslage heißt es oft, es dürfe in Deutschland kein `Weiter so wie bisher´ geben. Das stimmt, tatsächlich haben sich innerhalb weniger Jahre ganz neue Rahmenbedingungen ergeben, wir sind wirtschaftspolitisch in einer neuen Welt. Gerade deshalb brauchen wir auch neue Lösungen auf der Höhe der Herausforderungen“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK.


„Eine Art Agenda 2010 in neuer Verpackung, wie sie von konservativer und wirtschaftsliberaler Seite vorgeschlagen wird, würde mehr schaden als nutzen. Das gleiche gilt für das Festhalten an der Schuldenbremse, die in ihrer aktuellen Form dringend notwendige Investitionen, Wachstum und Modernisierung verhindert, obwohl Deutschland mit Abstand die niedrigste Staatsverschuldung unter den Ländern der G7 hat.“

Die größte Herausforderung für das neue Jahr und für die nächste Bundesregierung bestehe „darin zu verhindern, dass strategisch wichtige Industriebereiche wegbrechen, und Anreize für Investitionen zu schaffen, die eine zukunftsfähige Produktion von innovativen Gütern und Dienstleistungen ermöglichen“, betont Ökonom Dullien.

„Das ist kein Freifahrtschein für Unternehmen und entlässt keinen Vorstand aus der Verantwortung, auf dem Markt erfolgreiche Strategien und Produkte zu entwickeln. Und natürlich gibt es weitere drängende Themen, die wir ebenfalls analysieren: einen konstruktiven Einsatz von KI zur Produktivitätsverbesserung beispielsweise, eine Strategie zur Arbeitskräfteeinwanderung, eine Stärkung der Tarifbindung und bessere Bildung.

Aber es erkennt die aktuell zentrale Priorität an, dass auch in Deutschland und Europa die Stunde der Wirtschafts- und Industriepolitik geschlagen hat, wenn die wichtigsten Länder der Welt darauf setzen. Und es eröffnet die Chance auf eine strategische Modernisierung, die Wohlstand sichert und gleichzeitig einen Weg aus der Klimakrise eröffnet.“

Fundament der deutschen Wirtschaft deutlich solider, innovativer und erfolgsversprechender als es häufig wahrgenommen wird

Ihre Empfehlungen stützen die Expert*innen des IMK einerseits auf eine Analyse der aktuellen geostrategischen Veränderungen, inklusive der sich abzeichnenden Wirtschaftspolitik des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Andererseits zeichnen sie detailliert die Entwicklung des deutschen Wirtschaftsmodells seit der Jahrtausendwende nach. Dabei zeigt die Analyse von Daten und Forschungsliteratur, dass „die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb mitnichten einen permanenten graduellen Rückgang des Wachstums erlebt hat, wie man es bei einem allmählichen Anstieg von Regulierungsdichte und Sozialausgaben als Ursache einer Wachstumsschwäche erwarten würde.“

Im Gegenteil: Von der Jahrtausendwende bis 2019, unmittelbar vor der Corona-Pandemie, wuchs das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Deutschland um rund 25 Prozent. Das war so viel wie in den USA und spürbar mehr als in anderen westeuropäischen Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder den Niederlanden.


Die Forschenden grenzen dabei zwei Perioden voneinander ab: Zwischen 2000 und 2009 legte vor allem der Export deutscher Waren stark zu. Die deutschen Exporteure profitierten vom dynamischen Welthandel und insbesondere vom wirtschaftlichen Aufholprozess in China. Die Inlandsnachfrage leistete hingegen nach der IMK-Analyse kaum einen Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum – vor allem, weil die Einkommen der Privathaushalte in Zeiten von Lohnzurückhaltung und Hartz-Reformen unter Druck standen und der Lebensstandard vieler Menschen stagnierte.
 



Die deutsche Wirtschaftsleistung legte zwar zu, mit der ziemlich einseitigen Wachstumsstrategie trug Deutschland jedoch auch zu den Leistungsbilanzungleichgewichten bei, die wiederholt als ein Grund für die Euro-Krise ab 2010 identifiziert wurden.

Weitaus besser balanciert lief die Wirtschaftsentwicklung von 2010 bis 2019: In dieser zweiten Phase stiegen die Löhne wieder stärker, allerdings nicht so stark, dass die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährdet worden wäre. Die Exporte wuchsen kräftig weiter. Zugleich aber trug die Inlandsnachfrage stärker zum Wachstum bei. Privatkonsum, Investitionen und Staatsausgaben legten nun ebenfalls wieder zu.


Mit anziehender Inlandsnachfrage stiegen dann auch die Importe wieder stärker, und in dieser Periode weitete sich der Leistungsbilanzsaldo relativ zum Bruttoinlandsprodukt in der Summe nicht weiter aus. Das kumulierte Wachstum in Deutschland überholte das in den USA, erst unmittelbar vor der Corona-Krise zog Amerika wieder gleich. „Insgesamt kann die Wachstumsphase in den 2010ern als wesentlich erfolgreicher betrachtet werden als jene in den 2000ern“, lautet das Fazit des IMK.


Zwar sei unumstritten, dass man das Wirtschaftswachstum der ersten beiden Jahrzehnte des aktuellen Jahrtausends nicht eins zu eins replizieren könne. Der vertiefte Blick auf die allerjüngste Vergangenheit zeige aber, „dass das Fundament der deutschen Wirtschaft deutlich solider, innovativer und erfolgsversprechender ist, als es häufig wahrgenommen wird.“


Ungeachtet berechtigter Klagen über Bürokratie und sich verschlechternde Infrastruktur wird das auch bei aktuellen internationalen Vergleichen deutlich, die das IMK zitiert: Einem neuen US-Ranking zufolge liegt Deutschland auf dem ersten Platz unter 89 Ländern für Unternehmertum und auf dem siebten Platz nach den skandinavischen Ländern, Kanada und der Schweiz für allgemeine Lebensqualität. Zudem hatte die Bundesrepublik nach einer aktuellen Untersuchung des Wiener Wipo-Instituts im Jahr 2024 nach China und den Vereinigten Staaten die höchste Anzahl an Wissenschafts- und Technologieclustern.


Krankenstände: Strukturelle Ursachen angehen statt riskanter Scheinlösungen

Düsseldorf/Duisburg, 9. Januar 2025 - Der Krankenstand in Deutschland befindet sich auf einem Hoch. Das liege, so ein gängiges Vorurteil, auch an Beschäftigten, die die Regelungen zur Lohnfortzahlung ausnutzen. Nach Analyse von Dr. Eike Windscheid-Profeta, Sozialexperte der Hans-Böckler-Stiftung, ist diese These nicht plausibel.* Denn beispielweise schwanken die Krankenstände über die Jahre, ohne dass sich an den gesetzlichen Regelungen etwas geändert hat. Und Kürzungen bei der Lohnfortzahlung dürften das Problem verschärfen, dass Arbeitnehmer*innen krank zur Arbeit gehen – mit den damit verbundenen Ansteckungs-, Fehler- und Rückfallgefahren.


Statt kranke Beschäftigte zu Sündenböcken zu machen, empfiehlt er, für bessere Arbeitsbedingungen und mehr betriebliche Prävention zu sorgen und so strukturelle Ursachen anzugehen. „Aktuell kursierende Vorschläge wie die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder gar kein Lohn am ersten Krankheitstag zielen komplett an den wissenschaftlichen Befunden vorbei“, sagt dazu Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.

Für den Anstieg der Fehlzeiten in den vergangenen Jahren sind laut Windscheid-Profeta unter anderem psychische Erkrankungen verantwortlich, die im Schnitt mit besonders langen Ausfallzeiten verbunden sind. Solche Erkrankungen würden einerseits heutzutage besser erkannt und schon deshalb häufiger diagnostiziert. Andererseits dürfte der zunehmende Stress in vielen Betrieben durch Personalmangel und Digitalisierung eine Rolle spielen. Aktuell komme zu dieser Entwicklung noch die ungewöhnlich hohe Zahl an Atemwegsinfekten hinzu, die bis 2022 durch die Corona-Schutzmaßnahmen eingedämmt worden waren und nun umso heftiger grassieren.

Zugleich ist der Anstieg beim Krankenstand auch schlicht Ausdruck einer besseren Erfassung, wie jüngst auch eine Untersuchung der Krankenkasse DAK und weiterer Forschender ergeben hat. Während früher Krankschreibungen auf Papier nicht immer an die Krankenkassen weitergeleitet wurden, geschieht das bei der digitalen Version automatisch, sodass die Statistik präziser ausfällt.

Auch ob Deutschland im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz bei den Fehlzeiten einnimmt, erweist sich bei genauerer Hinsicht als fraglich, betont Böckler-Experte Windscheid-Profeta. Laut der Industrieländerorganisation OECD, die Befragungsdaten ausgewertet hat, sind die hiesigen Fallzahlen weder im Zeitverlauf noch im Vergleich zu anderen EU-Ländern auffällig.
Auch OECD-Experten erklären das höhere Niveau daher mit der besseren statistischen Erfassung. In anderen Untersuchungen liegt Deutschland zwar momentan vorn, das war aber auch schon ganz anders. Die Position schwankt über die Jahre – während sich an der Lohnfortzahlung seit vielen Jahren nichts geändert hat.

Diese Institution infrage zu stellen, erscheine auch ökonomisch wenig sinnvoll, so der Fachmann. Denn Lohnfortzahlung stelle sicher, dass Beschäftigte Krankheiten auskurieren können, und diene damit dem langfristigen Erhalt der Arbeitskraft. Tatsächlich stelle „Präsentismus“ ein Problem dar, das in der öffentlichen Debatte viel zu kurz kommt.
Vor der Corona-Pandemie waren rund 70 Prozent der Beschäftigten mindestens einmal pro Jahr krank bei der Arbeit, im Schnitt fast neun Arbeitstage. Seitdem dürften die Zahlen angesichts der neuen Homeoffice-Kultur eher noch gestiegen sein. Das sei auch deshalb alarmierend, weil Präsentismus die Gefahr von Unfällen oder Fehlern erhöht und dazu führt, dass Infekte die Runde machen.

Dazu geeignet, Fehlzeiten zu senken und die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten, sind nach Windscheid-Profetas Analyse Präventionsmaßnahmen wie Gefährdungsbeurteilungen oder betriebliche Gesundheitsförderung. Allerdings setzen viele Betriebe ihre gesetzlichen Verpflichtungen nicht vollständig oder nur halbherzig um – und schaden damit ihrer Belegschaft und letztlich sich selbst.