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52 Prozent aller Beschäftigten bekommen Weihnachtsgeld, deutlich mehr mit Tarifvertrag

Tarifliche Weihnachtsgeldzahlungen zwischen 250 und mehr als 4.000 Euro
Düsseldorf/Duisburg, 19. November 2024 - Für viele Beschäftigte gibt es in diesen Wochen beim Blick auf den Kontoauszug einen Grund zur Freude: Das Weihnachtsgeld wird ausgezahlt. Dessen Höhe kann zwischen 250 und mehr als 4.000 Euro variieren, wie eine neue Analyse des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt. Allerdings profitieren längst nicht alle Arbeitnehmer*innen von der Sonderzahlung, denn nur gut die Hälfte (52 Prozent) bekommt Weihnachtsgeld.


Den größten Unterschied macht, ob der Arbeitgeber an einen Tarifvertrag gebunden ist oder nicht: Von den Beschäftigten mit Tarif bekommen 77 Prozent Weihnachtsgeld – fast doppelt so viele wie in Betrieben ohne Tarifvertrag, wo lediglich 41 Prozent der Beschäftigten eine solche Zahlung erhalten. Das ist das Ergebnis einer neuen Auswertung des Internetportals Lohnspiegel.de, das vom WSI betreut wird. Sie beruht auf einer Online-Befragung, an der sich zwischen Anfang November 2023 und Ende Oktober 2024 mehr als 62.000 Beschäftigte beteiligt haben.



Die Zahlung von Weihnachtsgeld wird entweder durch Tarifverträge geregelt oder beruht auf „freiwilligen“ Leistungen des Arbeitgebers, die bei mehrjährigen Wiederholungen auch zum Gewohnheitsrecht werden können und damit verpflichtend sind. In der Praxis wird jedoch in Unternehmen ohne Tarifvertrag deutlich seltener Weihnachtsgeld ausgezahlt, denn den festen tariflichen Anspruch auf Weihnachtsgeld haben Gewerkschaften und ihre Mitglieder über Jahrzehnte durchgesetzt.


„Beschäftigte in Unternehmen mit Tarifvertrag sind demnach gleich doppelt im Vorteil,“ sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten. „Zum einen erhalten tarifgebundene Beschäftigte in der Regel ein höheres Grundgehalt, zum anderen bekommen sie deutlich häufiger Zusatzleistungen wie das Weihnachtsgeld“, so Schulten. „Auch wenn sich die Inflationsraten wieder normalisiert haben, ist das Preisniveau höher als vor dem Teuerungsschub. Eine Bezahlung nach Tarif, die unter anderem Weihnachtsgeld garantiert, ist da besonders wichtig“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI.


„Tarifbindung wirksam zu stärken, bleibt deshalb eine Aufgabe auch der Politik.“ Weihnachtsgeld für verschiedene Beschäftigtengruppen Neben der Tarifbindung lassen sich eine Reihe weiterer Merkmale identifizieren, die die Chancen auf Weihnachtsgeld beeinflussen (siehe auch die Abbildung 1 in der pdf-Version dieser Pressemitteilung; Link unten): - West/Ost: Nach wie vor gibt es bedeutsame Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. In Westdeutschland bekommen 53 Prozent, in Ostdeutschland nur 41 Prozent der Befragten Weihnachtsgeld.


Dies hängt auch damit zusammen, dass die Tarifbindung in Ostdeutschland deutlich niedriger ist als im Westen. - Vollzeit/Teilzeit: Unterschiede existieren auch hinsichtlich des Beschäftigtenstatus: Unter Vollzeitbeschäftigten ist Weihnachtsgeld mit 53 Prozent etwas verbreiteter als bei Teilzeitbeschäftigten, von denen 47 Prozent eine entsprechende Sonderzahlung bekommen.

- Befristet/unbefristet: Ähnlich ausgeprägt sind die Unterschiede zwischen Beschäftigten mit einem befristeten oder einem unbefristeten Arbeitsvertrag. Während lediglich 47 Prozent der Befragten mit Befristung Weihnachtsgeld erhalten, sind es bei den Unbefristeten 52 Prozent.
- Männer/Frauen: Männer erhalten mit 54 Prozent immer noch etwas häufiger Weihnachtsgeld als Frauen, von denen 48 Prozent diese Sonderzahlung bekommen.

Große Unterschiede bei der Höhe des tarifvertraglichen Weihnachtsgeldes
In den meisten großen Tarifbranchen existieren gültige tarifvertragliche Bestimmungen zum Weihnachtsgeld oder einer ähnlichen Sonderzahlung, die zum Jahresende fällig wird. Dies zeigt eine aktuelle Auswertung des WSI-Tarifarchivs von 23 ausgewählten größeren Branchen (siehe die ausführliche Tabelle in der pdf-Version dieser Pressemitteilung).

Die Höhe der tarifvertraglich vereinbarten Sonderzahlung unterscheidet sich dabei erheblich: Bei den mittleren Entgeltgruppen reicht sie von 250 Euro in der Landwirtschaft bis zu 4.039 Euro in der Chemischen Industrie. Nur wenige Branchen haben beim Weihnachtsgeld einen Pauschalbetrag festgelegt. In den meisten Fällen wird das Weihnachtsgeld als fester Prozentsatz vom Monatsentgelt berechnet. In Branchen, in denen für 2024 höhere Tarifentgelte vereinbart wurden, hat sich auch das Weihnachtsgeld entsprechend erhöht.

Am stärksten stieg das Weihnachtsgeld 2024 gegenüber dem Vorjahr mit 14,1 Prozent im Brandenburgischen Einzelhandel, um 13,8 Prozent bei der Deutschen Bahn AG und um 12,1 Prozent im Öffentlichen Dienst (Gemeinden). Ein klassisches 13. Monatsentgelt im Sinne einer Sonderzahlung von 100 Prozent eines Monatsentgeltes erhalten die Beschäftigten in der Chemischen Industrie, Teilen der Energiewirtschaft, in der Süßwarenindustrie, bei der Deutschen Bahn AG, im Privaten Bankgewerbe sowie in einzelnen westdeutschen Tarifregionen der Textilindustrie und dem privaten Transport- und Verkehrsgewerbe.

In der Eisen- und Stahlindustrie werden sogar 110 Prozent eines Monatsentgeltes gezahlt, wobei hier Weihnachts- und Urlaubsgeld zu einer Jahressonderzahlung zusammengelegt wurden. Mit 95 Prozent eines Monatsentgeltes liegt das Weihnachtsgeld in der Druckindustrie und in der Papier und Pappe verarbeitenden Industrie leicht unterhalb eines vollen 13. Monatsentgeltes.
Im Versicherungsgewerbe werden 80 Prozent eines Monatsgehalts gezahlt, im Einzelhandel in den westdeutschen Tarifbereichen vorwiegend 62,5 Prozent, in den Tarifgebieten der westdeutschen Metallindustrie überwiegend zwischen 25 und 55 Prozent und im Hotel- und Gaststättengewerbe in Bayern 50 Prozent.


Im Öffentlichen Dienst (Gemeinden) beträgt die Jahressonderzahlung, die an die Stelle des früher üblichen Weihnachts- und Urlaubsgeldes getreten ist, je nach Vergütungsgruppe zwischen 52 und 85 Prozent des Monatsentgeltes. Zwischen den ost- und westdeutschen Tarifgebieten bestehen in einigen Branchen nach wie vor erhebliche Unterschiede. Ein (annähernd) gleich hohes Weihnachtsgeld wird im Bank- und Versicherungsgewerbe, in der Eisen- und Stahlindustrie, bei der Deutschen Bahn AG, in der Papier und Pappe verarbeitenden Industrie (Arbeiter), dem Kfz-Gewerbe, im Öffentlichen Dienst (Gemeinden) und der Landwirtschaft gezahlt.

In anderen Branchen können die Unterschiede mehrere hundert Euro, in Einzelfällen wie im Bauhauptgewerbe auch noch über tausend Euro ausmachen. Unter den großen Wirtschaftszweigen sind Tarifbranchen ohne Weihnachtsgeld oder eine vergleichbare Sonderzahlung die Ausnahme. Nach wie vor kein Weihnachtsgeld gibt es im Gebäudereinigungshandwerk. Dasselbe trifft auf das ostdeutsche Bewachungsgewerbe zu, während in einigen Regionen Westdeutschlands das Weihnachtsgeld erst nach einer bestimmten Anzahl von Berufsjahren gewährt wird.


Grundsteuerreform: Rat entscheidet über einheitlichen oder differenzierenden Hebesatz

Duisburg, 14. November 2024 - Ab 2025 wird die Grundsteuer neu berechnet. Diese Neuberechnung ist erforderlich geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 10.04.2018 entschieden hat, dass die bisherigen Regelungen zur Bewertung der Grundstücke aufgrund veralteter Werte mit dem Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Grundgesetz unvereinbar sind. Daher erfolgte ab 2022 eine Neubewertung sämtlicher Grundstücke durch die örtlichen Finanzämter.


Für sämtliche Grundstücke wurden aktuelle Grundsteuermessbeträge ermittelt und mit Messbescheiden festgesetzt, die für die Gemeinden verbindlich sind. Die letztlich von den Bürgerinnen und Bürgern ab 2025 zu zahlende Grundsteuer errechnet sich - wie bisher auch - aus der Multiplikation des Messbetrages mit dem von der Gemeinde festzulegenden Hebesatz. Die Reform der Grundsteuer soll aufkommensneutral erfolgen, d.h. die Gesamtheit der Steuerzahler soll nicht mehr Grundsteuer zahlen als bisher (Gesamtbelastung).


„Es wird jedoch Bürgerinnen und Bürger geben, die ab dem Jahr 2025 mehr Grundsteuer als bisher zahlen müssen, aber auch viele, die weniger zu zahlen haben. Das ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die zwangsläufige Folge der Reform“, führt Stadtkämmerer und Stadtdirektor Martin Murrack aus. „Da die Reform auf eine Beseitigung der Ungleichbehandlung abzielte, waren und sind Verschiebungen bei der Steuerlast des jeweiligen Grundsteuereigentümers zwangsläufig und unvermeidbar.“


Folge des in NRW angewandten Bundesmodells ist eine systematische Belastungsverschiebung zu Lasten der Wohngrundstücke und zu Gunsten der Geschäftsgrundstücke. Die kommunalen Spitzenverbände haben bereits frühzeitig auf diese Problematik hingewiesen. Das Land hätte die Möglichkeit gehabt, dieser Belastungsverschiebung - wie es andere Bundesländer getan haben - durch Anpassung der Messzahlen auf Landesebene entgegenzuwirken.


Stattdessen hat das Land im Juli 2024 die Be- und Entlastungsfrage auf jede einzelne der 396 Kommunen durch die Einführung der Option eines sogenannten differenzierenden Hebesatzes abgewälzt. Differenzierender Hebesatz bedeutet, dass für Wohn- und Nichtwohngrundstücke getrennte Hebesätze festgelegt werden. Bezüglich der Frage der Rechtmäßigkeit der Anwendung differenzierender Hebesätze bestehen unterschiedliche Auffassungen.


Während das Land - gestützt auf ein von dort in Auftrag gegebenes Gutachten - keinerlei rechtliche Bedenken hat, kommt ein vom Städtetag in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Schluss, dass eine rechtssichere Anwendung der differenzierenden Hebesätze nicht möglich sei. Bis zu einer endgültigen Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung besteht das Risiko für einen Steuerausfall, der je nach Dauer der gerichtlichen Auseinandersetzung mehrere Haushaltsjahre betreffen könnte.


Der Rat der Stadt Duisburg muss nunmehr die ab 2025 gültigen Hebesätze festlegen. Bevor dies geschieht, steht der Rat noch vor der Entscheidung, ob er - wie bisher - einen einheitlichen Hebesatz für die Grundsteuer B (alle Grundstücke, die nicht land- und forstwirtschaftlich genutzt sind) festlegt oder von der vom Landesgesetzgeber eingeräumten Möglichkeit eines differenzierenden Hebesatzes für Wohn- und Nichtwohngrundstücke Gebrauch macht.


Die Grundsatzentscheidung, ob 2025 ein einheitlicher oder ein differenzierender Hebesatz zur Anwendung kommt, wird der Rat in seiner Sitzung am 25. November treffen. In der darauffolgenden Woche wird dann der Hebesatz in der nächsten Ratssitzung am 2. Dezember förmlich beschlossen. Das Land NRW hat am 17.09.2024 eine aktualisierte Liste der aufkommensneutralen Hebesätze aller Städte/Gemeinden in NordrheinWestfalen veröffentlicht.


Die Stadt Duisburg beabsichtigt, die Hebesätze entsprechend der Empfehlung des Landes festzusetzen. Bei der einheitlichen Variante würde der Hebesatz für die Grundsteuer B 1.068 v.H. betragen. Bei der Differenzierung ist für die Grundsteuer B für Wohngrundstücke (Ein- und Zweifamilienhäuser, Eigentumswohnungen und Mietwohngrundstücke) ein Hebesatz von 886 v.H. und für Nichtwohngrundstücke (Geschäftsgrundstücke, gemischt genutzte Grundstücke, Teileigentum, sonstige bebaute Grundstücke und unbebaute Grundstücke) von 1.469 v.H. vorgesehen.


Die Hebesatzempfehlung für die Grundsteuer A (für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft) beträgt 329 v.H. Für die Kommunen ist die Grundsteuer eine der wichtigsten Einnahmequellen. Mit ihr werden wichtige Investitionen in öffentliche Leistungen getätigt: so fließen die Gelder unter anderem in die Infrastruktur, in Soziales sowie in Bildungs- und Kultureinrichtungen.




Duisburg erwägt Anpassung der Grundsteuer  

IHK warnt: höherer Steuersatz trifft Mittelstand
Duisburg, 14. November 2024 - Die Stadt Duisburg überlegt, die Grundsteuer für gewerbliche Immobilien zu erhöhen. Privatimmobilien will sie hingegen entlasten. Der Vorschlag kommt vom Land NRW. Am 18. November will die Duisburger Politik darüber entscheiden. Die Niederrheinische IHK warnt: Für Unternehmen kann der Hebesatz bis zu 80 Prozent steigen. Das trifft besonders den Mittelstand: Friseure, Einzelhandel oder auch Eventhallen. Dabei steckt die Wirtschaft immer noch tief in der Rezession.   

Dr. Stefan Dietzfelbinger, Foto IHK

Erst kürzlich entschied Duisburg, die Grund- und Gewerbesteuern zu senken. Ein wichtiges Signal für Unternehmen, dass die Politik ihnen in wirtschaftlich schweren Zeiten zur Seite steht. Nun gibt es Überlegungen, die Grundsteuer für gewerbliche Immobilien zu erhöhen. Dafür sollen Wohngegenden geschont werden. Alternativ bleibt der Steuersatz für alle gleich.   


„Die Wirtschaft leidet schon jetzt unter zu hohen Abgaben, zu viel Bürokratie und schwacher Nachfrage. Mehr geht nicht“, kritisiert Dr. Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK. „Unternehmen sollten nicht die Steuerlast schultern müssen. Das ist falsch. Gerade kleine und mittelständische Betriebe kratzen oft an der Existenzgrenze. Wenn die Grundsteuer steigt, will keiner mehr investieren. Wir brauchen aber dringend Wachstum. Die Wirtschaft setzt darauf, dass Duisburg den Erfolgs-Weg fortsetzt.“

Rezessionsrisiko gesunken

IMK-Konjunkturindikator



Düsseldorf/Duisburg, 13. November 2024 - Die Aussichten für die Konjunktur in Deutschland haben sich in den vergangenen Wochen etwas aufgehellt. Das signalisiert der monatliche Konjunkturindikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Für den Zeitraum von November 2024 bis Ende Januar 2025 weist der Indikator, der die neuesten verfügbaren Daten zu den wichtigsten wirtschaftlichen Kenngrößen bündelt, eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 46,7 Prozent aus. Anfang Oktober betrug sie für die folgenden drei Monate noch 52,1 Prozent. Die statistische Streuung des Indikators, in der sich die Verunsicherung der Wirtschaftsakteure ausdrückt, ist ebenfalls leicht zurückgegangen von 15,2 auf 12,9 Prozent.



Die Verbesserung ist aber bislang nicht stark genug, um den nach dem Ampelsystem arbeitenden Indikator zu einem Umschalten in eine andere Signalphase zu bewegen. Der Indikator zeigt, wie in den Vormonaten „gelb-rot“, was eine erhöhte konjunkturelle Unsicherheit signalisiert, aber keine akute Rezessionsgefahr. Zwischen Juni 2023 und März 2024 hatte die Konjunkturampel noch durchgängig auf „rot“ gestanden. Die aktuelle Abnahme des Rezessionsrisikos beruhe „erstmals seit mehreren Monaten auf einer Mehrzahl von Frühindikatoren“, die eine leicht aufsteigende Tendenz zeigen, analysiert IMK-Konjunkturexperte Dr. Thomas Theobald die aktuelle Entwicklung.


Dazu zählt das Konsumklima, gestützt auf Zuwächse der Realeinkommen. Positive Impulse kommen auch von den zuletzt gestiegenen Auftragseingängen für das Verarbeitende Gewerbe sowie von Stimmungsindikatoren wie dem ifo-Index und von einer Reihe von Finanzmarktdaten. So sind die Geldmarktzinsen und der Zinsaufschlag von Unternehmens- gegenüber Staatsanleihen zurückgegangen, was die Finanzierung für Unternehmen erleichtert.


Der „Finanzmarktstressindex“, in dem das IMK einen breiten Kranz von Finanzmarktdaten verdichtet, ist ebenfalls rückläufig. Positive Einflüsse wirken sich dort bislang stärker aus als der Anstieg der Unternehmensinsolvenzen. Die neuen Indikatorwerte bestätigten die aktuelle Konjunkturprognose des IMK, erklärt Theobald. Das Düsseldorfer Institut rechnet mit einer leichten Belebung des privaten Verbrauchs und somit des Wirtschaftswachstums im kommenden Jahr.* Trotz der erfreulichen Aufhellung des Indikators spreche die Datenlage aber bislang nicht für „eine durchgreifende konjunkturelle Aufwärtsbewegung“, so der Forscher.


Dazu bleibe die Entwicklung des Exports und der Produktion in der Industrie zu schwach. Und ob die zuletzt kräftige Zunahme bei den Auftragseingängen mehr sei als eine Momentaufnahme, erscheine ungewiss – gerade angesichts der vom nächsten US-Präsidenten Donald Trump angekündigten massiven Einfuhrzölle. Dullien: Gemeinsame Verantwortung von Regierung und Opposition, Konjunkturerholung nicht zu gefährden Es stehe nun in der gemeinsamen Verantwortung von Regierung und Opposition, die sich abzeichnende Konjunkturerholung nicht zu gefährden, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK.


„Jenseits vom einsetzenden Wahlkampf sollten die Fraktionen im Bundestag jetzt prüfen, welche Maßnahmen man noch vor der Jahreswende verabschieden sollte, damit die vorläufige Haushaltsführung Anfang 2025 nicht die Konjunktur ausbremst.“ So wäre es etwa sinnvoll, den anstehenden Ausgleich der kalten Progression zum Jahresbeginn noch zu verabschieden, damit die Privathaushalte pünktlich entlastet würden. Gleichzeitig sei wichtig, jetzt schon die Voraussetzungen zu schaffen, damit die neue Bundesregierung nach den Wahlen schnell die zentralen Probleme der deutschen Wirtschaft angehen könne.


„Es ist seit Jahren klar, dass wir mehr öffentliche Infrastrukturinvestitionen brauchen und dass die Schuldenbremse diese blockiert. Idealerweise würden Regierung und Union noch vor den Wahlen mehr Investitionsspielräume in der Schuldenbremse schaffen. Dann könnte eine Regierung gleich durchstarten“, so Dullien. „Ohne eine solche Reform droht die neue Regierung am gleichen Hindernis zu scheitern wie die alte – an der für die heutige Zeit nicht angemessenen Schuldenbremse.“


Einkommensungleichheit und Armut haben seit 2010 deutlich zugenommen – Sorgen um Lebensstandard strahlen bis in Mittelschicht aus

Düsseldorf/Duisburg, 8.November 2024 - Seit 2010 ist die Ungleichheit der Einkommen in Deutschland deutlich gestiegen und in den letzten Jahren haben sich Ängste, den eigenen Lebensstandard nicht mehr halten zu können, in der Bevölkerung stark ausgebreitet. Die Quote der Menschen, die in Armut leben, hat nach den neuesten verfügbaren Daten ebenfalls erheblich zugenommen und liegt auf einem Höchststand (detaillierte Daten unten).

Hinzu kommt, dass Arme während der 2010er Jahre gegenüber anderen Einkommensgruppen wirtschaftlich noch weiter zurückgefallen sind, denn von der insgesamt positiven Wirtschafts- und Einkommensentwicklung im vergangenen Jahrzehnt haben sie nur vergleichsweise wenig abbekommen.


Das prägt den Alltag und schränkt soziale Kontakte von Menschen mit niedrigem Einkommen ein: Schon 2021, also vor dem Beginn der Inflationswelle, hatten mehr als 40 Prozent der Armen und über 20 Prozent der Menschen in der Gruppe mit „prekären“ Einkommen etwas oberhalb der Armutsgrenze keinerlei finanzielle Rücklagen, um kurzfristige finanzielle Notlagen zu überbrücken. Rund zehn Prozent der Armen waren zudem finanziell nicht in der Lage, abgetragene Kleidung zu ersetzen.


Über die Coronakrise und den Inflationsschub zwischen 2020 und 2023 haben sich Sorgen um die eigene wirtschaftliche Lage bei vielen Menschen noch einmal deutlich verschärft, und zwar unter Ärmeren sowie bis weit in die Mittelschicht hinein: Deutlich mehr als die Hälfte der Menschen in der unteren Einkommenshälfte, aber auch knapp 47 Prozent in der oberen Mittelschicht fürchteten im vergangenen Jahr, ihren Lebensstandard zukünftig nicht mehr halten zu können. Zu diesen Ergebnissen kommt der neue Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.*

Mit materiellen Einschränkungen und Zukunftssorgen geht vor allem bei ärmeren Menschen eine erhebliche Distanz zu wichtigen staatlichen und politischen Institutionen einher, zeigt die Studie zudem: Weniger als die Hälfte der Armen und der Menschen mit prekären Einkommen findet, dass die Demokratie in Deutschland im Großen und Ganzen gut funktioniert. Sie sehen für sich auch nicht die Möglichkeit, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Rund ein Fünftel vertraut dem Rechtssystem allenfalls in geringem Maße.



„Wir sehen in den Daten, dass Deutschland in einer Teilhabekrise steckt, die sich in den vergangenen Jahren verschärft hat. Diese Krise hat eine materielle Seite und eine stärker emotional-subjektive“, erklären die Studienautor*innen Dr. Dorothee Spannagel und Dr. Jan Brülle. „Die materielle Seite zeigt sich am stärksten bei den Menschen in Armut. Für sie stehen unmittelbare materielle Mangellagen im Vordergrund, und ein Teil von ihnen wendet sich relativ deutlich vom politischen System ab. Die Gruppe der Armen ist nicht nur seit 2010 größer geworden, sie ist zudem im Verhältnis zur gesellschaftlichen Mitte noch ärmer geworden.“ Der Verteilungsbericht zeige zugleich deutlich, dass auch oberhalb der Einkommensgruppen in Armut „und sogar in der Mittelschicht, insbesondere der unteren, Zukunftsängste zunehmen und die politische Teilhabe teilweise brüchig ist“, analysieren Spannagel und Brülle.

„Es ist entscheidend, das Teilhabeversprechen glaubhaft zu erneuern, das konstitutiv ist für eine demokratische, soziale Marktwirtschaft“, ordnet Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI, die Studienergebnisse ein. „Dabei muss die Politik das Rad nicht neu erfinden. Sie sollte vielmehr über Jahrzehnte bewährte Institutionen wieder stärken, die leider erodiert sind. Dazu zählen Tarifverträge, eine auskömmliche gesetzliche Rente und eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur, von funktionierenden Verkehrswegen und modernen Energienetzen bis zum Bildungs- und dem Gesundheitssystem.“



Zur Finanzierung dringend notwendiger Investitionen beitragen würde neben einer Reform der Schuldenbremse auch eine wirksamere Besteuerung sehr großer Vermögen, die zudem der gewachsenen wirtschaftlichen Ungleichheit entgegenwirken könne, so Kohlrausch.



Im Verteilungsbericht werten die WSI-Fachleute Spannagel und Brülle die aktuellsten vorliegenden Daten aus zwei repräsentativen Befragungen aus: Erstens aus dem sozio-oekonomischen-Panel (SOEP), für das rund 13.000 Haushalte jedes Jahr interviewt werden, und das aktuell bis 2022 reicht, wobei sich die Einkommensdaten auf das Jahr 2021 beziehen. Diese Zahlen stammen aus der neuesten SOEP-Welle, deren Ergebnisse unmittelbar vor Fertigstellung des Verteilungsberichts veröffentlicht wurden.



 Diese ganz neuen Daten sind die Grundlage für die von den WSI-Forschenden berechneten Ungleichheitsindikatoren (Gini-Koeffizient, Armuts- und Reichtumsquoten), für die Angaben zu den Größen der Einkommensgruppen sowie für die Entwicklung der Realeinkommen. Die übrigen verwendeten SOEP-Zahlen beziehen sich auf die vorherige SOEP-Welle (Einkommensdaten bis 2020). Zweitens stützen sich die Forschenden auf die Lebenslagenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung. Dafür wurden in zwei Wellen 2020 und 2023 jeweils mehr als 4.000 Personen repräsentativ anhand einer Zufallsstichprobe befragt.

In den Mittelpunkt des Verteilungsberichts 2024 stellt das WSI die Haushalte, deren verfügbare Nettoeinkommen maximal den Mittelwert (Median) aller Haushalte in Deutschland erreichen. Dabei sind mögliche Sozialtransfers bereits einbezogen. Innerhalb dieser „unteren Hälfte der Einkommensverteilung“ orientieren sich Spannagel und Brülle an in der Wissenschaft etablierten Maßstäben, um drei Gruppen voneinander abzugrenzen:
Haushalte in Armut mit Einkommen unterhalb von 60 Prozent des Medians, was beispielsweise einem monatlichen Netto von weniger als 1.350 Euro für einen Single entspricht; Haushalte mit prekären Einkommen (60 bis unter 80 Prozent des Medians bzw. weniger als 1.800 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt) und Haushalte, die zur unteren Mitte der Einkommensverteilung zählen (80 Prozent bis unter 100 Prozent des Medians bzw. weniger als 2240 Euro). Zum weiteren Vergleich ziehen sie die Haushalte der oberen Mitte heran, die über Einkommen von 100 bis unter 150 Prozent des Medians verfügen.

Die Ergebnisse im Einzelnen: Ungleichheit der Einkommen auf Höchststand
Wie gleich oder ungleich die Einkommen verteilt sind, lässt sich über ein statistisches Maß ermitteln, das in der Wissenschaft häufig verwendet wird: den so genannten Gini-Koeffizienten.

Der „Gini“ reicht theoretisch von null bis eins: Beim Wert null hätten alle Menschen in Deutschland das gleiche Einkommen, bei eins würde das gesamte Einkommen im Land auf eine einzige Person entfallen. Diese Bandbreite macht deutlich, dass auch vermeintlich kleine Änderungen des Koeffizienten erhebliche Bedeutung haben. In den späten 1990er und frühen 2000er Jahren gab es bereits einen deutlichen Zuwachs der Einkommensungleichheit in Deutschland – auch im internationalen Vergleich. Danach verharrte er einige Zeit auf dem erhöhten Niveau.

Die Auswertung der neuesten verfügbaren SOEP-Daten im Verteilungsbericht zeigt, dass sich der Anstieg der Ungleichheit ab 2010 weiter fortgesetzt hat – in leichten Wellenbewegungen, aber insgesamt mit eindeutiger Tendenz: 2010 lag der Gini-Wert noch bei 0,282. Bis 2021 kletterte er auf einen neuen Höchststand von 0,310 (siehe auch Tabelle 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten).

Armut gewachsen, besonders die schwere
Noch deutlicher zugenommen hat die Einkommensarmut, also die Quote der Haushalte deren bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland beträgt. Sehr arm (Fachbegriff: „strenge Armut“) sind Personen, die nicht einmal 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Für einen Singlehaushalt entspricht das maximal 1.350 (Armut) bzw. 1.120 Euro (strenge Armut) im Monat.

Schon in den 2010er Jahren stieg die Armutsquote mit gelegentlichen jährlichen Schwankungen im Trend spürbar an, und die Entwicklung hat sich beinahe kontinuierlich fortgesetzt, zeigt der Verteilungsbericht: Im Jahr 2021 lebten nach den Daten des SOEP 17,8 Prozent der Menschen in Deutschland in Armut, 11,3 Prozent sogar in strenger Armut. 2010 lagen die beiden Quoten noch bei 14,2 bzw. 7,8 Prozent. Damit ist der „Anteil der Menschen in strenger Armut – relativ – noch stärker gestiegen als die Armutsquote“, schreiben Spannagel und Brülle.

Parallel zur deutlichen Zunahme der Armut ging der Anteil der Menschen in einer „prekären“ Einkommenssituation von 17,7 auf 15,1 Prozent der Gesamtbevölkerung zurück, die untere Mittelschicht wurde geringfügig kleiner. Die Forschenden nennen das „eine Art Polarisierung“ innerhalb der unteren Hälfte der Einkommensverteilung. Diese wurde noch dadurch akzentuiert, dass die verfügbaren realen Jahreseinkommen in der Gruppe der Armen über die 2010er Jahre im Mittel deutlich weniger stark zunahmen als in der Gruppe mit „prekären“ Einkommen sowie der unteren und der oberen Mittelschicht.

Frauen sind in allen drei Gruppen der unteren Einkommensverteilung etwas überrepräsentiert, ebenso wie Kinder und junge Erwachsene sowie Ostdeutsche. Menschen mit Migrationshintergrund sind spürbar überrepräsentiert. Weit überdurchschnittlich von Armut betroffen sind Arbeitslose sowie Menschen, die maximal einen Hauptschulabschluss oder keinen beruflichen Bildungsabschluss haben. Hingegen gehören Erwerbstätige in unbefristeter Vollzeittätigkeit am häufigsten zur Einkommensmitte.

Schon vor Teuerungswelle konnten sich knapp 10 Prozent der Armen keine neue Kleidung leisten
Die SOEP-Daten, die die Forschenden analysieren, machen anschaulich, dass Armut auch in einem reichen Land wie der Bundesrepublik nicht selten mit deutlichen alltäglichen Entbehrungen verbunden ist. So konnten es sich bereits 2021, also vor der großen Teuerungswelle, 9,9 Prozent der Menschen in Armut nicht leisten, abgetragene Kleidung durch neue zu ersetzen. 42,8 Prozent der Menschen in Armut und 21,3 Prozent in der „prekären“ Einkommensgruppe haben keinerlei finanzielle Rücklagen.

Knapp 17 Prozent der Armen können sich Freizeitaktivitäten wie einen Kinobesuch einmal pro Monat oder den Besuch einer Sportveranstaltung nicht leisten, knapp 14 Prozent fehlt das Geld, um wenigstens einmal im Monat Freunde zum Essen einzuladen (Abbildung 1 in der pdf-Version). Die geringeren finanziellen Teilhabemöglichkeiten lassen sich auch nicht durch engere persönliche Kontakte ausgleichen, im Gegenteil: Menschen mit sehr niedrigen Einkommen sind häufiger alleinstehend und haben nach eigener Einschätzung seltener enge Freunde, auch wenn der Unterschied gegenüber den anderen Gruppen hier klein ist.

Sorge um aktuelle Situation meist bei Menschen mit Niedrigeinkommen. Abstiegsangst bis in die Mitte – und steigend
Der eingeschränkte materielle Spielraum beeinflusst auch die Sorgen um die wirtschaftliche Situation: Bei der SOEP-Befragung gaben rund 25 Prozent der Menschen in Armut große Sorgen um die aktuelle eigene wirtschaftliche Lage zu Protokoll, unter den Menschen in einer „prekären“ Einkommenssituation waren es fast 15 und in der unteren Mitte knapp 12 Prozent.

Beim Blick auf die Zukunft sind Abstiegsängste noch deutlich ausgeprägter, sie reichen bis weit in die Mittelschicht hinein, und sie haben in Zeiten von Corona-Krise und Inflationswelle in allen untersuchten Einkommensgruppen stark zugenommen. Das zeigen die Daten aus der Böckler-Lebenslagenbefragung für die Jahre 2020 und 2023. Im vergangenen Jahr äußerten fast 55 Prozent der Menschen in Armut große oder sehr große Sorgen ihren – ohnehin sehr niedrigen – Lebensstandard nicht dauerhaft halten zu können. Ein Anstieg um rund sechs Prozentpunkte gegenüber dem schon hohen Wert von 2020.


Unter den Befragten in „prekären“ Einkommensverhältnissen befürchteten 2023 sogar gut 58 Prozent, wirtschaftlich abzurutschen – 14 Prozentpunkte mehr als drei Jahre zuvor. Nur wenig kleiner ist der Anteil mit großen oder sehr großen Abstiegssorgen in der unteren Mitte: Dort betrug er 2023 knapp 52 Prozent, ein Anstieg um rund 15 Prozentpunkte. Und selbst in der oberen Mittelschicht hat sich die Verunsicherung drastisch ausgebreitet: Die Quote der Befragten mit Sorgen um den künftigen Lebensstandard stieg von knapp 32 auf knapp 47 Prozent.

Arme häufiger kritisch gegenüber Institutionen und dem Zustand der Demokratie
Verunsicherung spiegelt sich auch in der Identifikation mit der Demokratie und mit staatlichen Institutionen wider, und das besonders bei Personen mit niedrigen Einkommen, zeigen die Ergebnisse der Lebenslagenbefragung von 2023. Zwar ist in allen untersuchten Einkommensgruppen rund die Hälfte oder mehr der Befragten der Ansicht, dass die Demokratie in Deutschland im Großen und Ganzen gut funktioniere.

Aber auch hier gibt es deutliche Abstufungen zwischen den Gruppen: Lediglich knapp 50 Prozent der Armen und der Menschen mit prekären Einkommen sind mit der Demokratie im Wesentlichen zufrieden. In der unteren Mitte sind es 52 Prozent, in der oberen Mitte fast 60 Prozent (Abbildung 2). Damit korrespondiert auch die Einschätzung, ob man selbst auf die eigenen Anliegen aufmerksam machen kann: Hier steigt die Zustimmung von etwas über 44 Prozent bei den Armen auf knapp 52 Prozent in der oberen Mitte.

Eine noch größere Entfremdung vom politischen Geschehen drückt sich in der Zuschreibung aus, „die regierenden Parteien betrügen das Volk“. Die Zustimmung dazu variiert ebenfalls deutlich entlang der Einkommensgruppen: Unter den Menschen in Armut und mit prekären Einkommen halten über ein Drittel diese Aussage für zutreffend, während es bei der oberen Mitte etwas mehr als ein Viertel ist.

Ein deutlicher Zusammenhang zur wirtschaftlichen Situation zeigt sich auch beim Misstrauen gegenüber der Polizei oder Gerichten, das zwischen knapp 21 Prozent unter Menschen in Armut und elf bis zwölf Prozent unter Angehörigen der oberen Mittelschicht variiert. Ähnlich ist das Muster bei der Wahlbeteiligung: Unter den Armen erklären knapp 20 Prozent, bei der nächsten Bundestagswahl nicht wählen gehen zu wollen. Mit steigendem Einkommen sinkt der Anteil der potenziellen Nichtwähler*innen – bis auf knapp elf Prozent in der oberen Einkommensmitte.

Reduzierte Teilhabe, Misstrauen in staatliche Institutionen und Verzicht auf politische Partizipation könnten in einen hoch problematischen Kreislauf münden, warnen Spannagel und Brülle: „Es verdeutlicht auch, wie schwer es ist, Menschen in Armut oder prekären Lebenslagen zu mobilisieren, wenn es darum geht, ihre Situation im Rahmen demokratischer Prozesse zu verbessern.“ Zwar habe sich auch in der untersuchten Hälfte der Bevölkerung mit niedrigeren Einkommen bislang „nur eine Minderheit von der Demokratie verabschiedet“.

Doch die Distanz sei erheblich und drücke sich längst nicht nur in Wahlabstinenz aus, schreiben die Forschenden. „Dies deckt sich auch mit zahlreichen Studien, die aufzeigen, dass rechtspopulistische Einstellungen und die Unterstützung rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien nicht (nur) bei Menschen mit sehr niedrigen Einkommen zu finden sind, sondern auch gerade in der unteren Mitte ein Problem sind.“

Politik muss soziale Spaltung verhindern, nicht noch forcieren
Die Verteilungsfachleute Brülle und Spannagel ordnen die Befunde als beunruhigend ein, zumal der problematische Trend nun schon über viele Jahre anhalte: Wenn mangelnde materielle Teilhabe und um sich greifende Verunsicherung dazu führten, dass in den Augen vieler Menschen auch ihre politische Teilhabe brüchig werde, „hat das negative Folgen für unser demokratisches System“, warnen sie. Eine verantwortungsvolle Politik müsse auf jeden Fall darauf verzichten, verschiedene Gruppen in der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen.


Als warnendes Beispiel nennen sie die Debatte um das Bürgergeld in den vergangenen Monaten. „Indem immer wieder angebliche Anreizprobleme der Grundsicherung in den Mittelpunkt gestellt werden, werden Bürgergeldbeziehende implizit als faul und arbeitsunwillig dahingestellt. Dies greift auch verbreitete Stigmata und abwertende Einstellungen gegenüber Leistungsbeziehenden auf“, kritisieren Brülle und Spannagel. Statt die ohnehin zu knappen Leistungen für Bürgergeldempfänger*innen weiter zu kürzen, um den Abstand zwischen Sozialleistungen und Erwerbseinkommen zu erhöhen, sei es „viel sinnvoller, Niedriglöhne wirksam zu bekämpfen und Tarifbindung zu stärken – Maßnahmen, die auch Menschen außerhalb des Grundsicherungsbezugs zugutekommen.“

Um wachsender Ungleichheit und Marginalisierung gegenzusteuern, heben sie mehrere weitere Maßnahmen hervor:
Wirksame Grundsicherung: Die Regelsätze der sozialen Grundsicherung müssen nach Analyse der Verteilungsexpert*innen so weit angehoben werden, dass sie „ein Mindestmaß an Teilhabe tatsächlich ermöglichen“. Komplementär müsse die nach wie vor hohe Quote derer reduziert werden, die einen Anspruch auf eine Grundsicherungsleitung nicht geltend machen, „etwa aus Unwissenheit oder Angst vor Stigmatisierung.“

Qualifizierung und bessere Vereinbarkeit: Parallel könnten zielgerichtete Qualifizierungsmaßnahmen für Menschen am Rande des Arbeitsmarktes die Teilhabemöglichkeiten der Betroffenen nachhaltig verbessern, so Brülle und Spannagel. Ebenso wichtig sei die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um gerade jenen Menschen, meist Frauen, die sich verstärkt um Kinderbetreuung kümmern auch eine Vollzeiterwerbstätigkeit zu ermöglichen. „Eine volle, sichere, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist in unserer Gesellschaft einer der Schlüssel für eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe. Menschen mit soliden, nachhaltig abgesicherten Teilhabemöglichkeiten haben auch eine höhere politische Teilhabe“, betonen die Forschenden.

Sicherheit durch Sozialversicherung: Gesellschaftliche Teilhabe auch für die (untere) Mitte der Gesellschaft könne besonders durch Sozialversicherungssysteme gestärkt werden, „die eine angemessene Balance zwischen solidarischem Ausgleich und Sicherung des individuellen Lebensstandards finden“, schreiben die Fachleute. Hier gehe es etwa um ein stabiles Rentenniveau in Kombination mit einer auskömmlichen Grundrente.

Bessere (soziale) Infrastruktur: Zusätzlich halten es die Forschenden für zentral, soziale Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge zu stärken. Dazu zählen sie unter anderem ein gutes Quartiersmanagement, eine bessere Ausstattung des Bildungssystems, eine leistungsfähige Gesundheitsversorgung und einen gut ausgebauten ÖPNV. Solche Maßnahmen kämen allen zugute. Besonders wichtig seien sie für die Teilhabe der unteren Einkommensgruppen. „Menschen mit sehr niedrigen finanziellen Ressourcen können Defizite in der öffentlichen Infrastruktur nicht durch eigene Ressourcen kompensieren und eben nicht auf oftmals teure private Alternativen ausweichen.“ 


Tarifrunde 2025: Für etwa 7,5 Millionen Beschäftigte laufen Vergütungstarifverträge aus

Die Kündigungstermine
Duisburg, 1. November 2024 - Zwischen Dezember 2024 und November 2025 laufen laut Berechnungen des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung für etwa 7,5 Millionen Beschäftigte die von den DGB-Gewerkschaften ausgehandelten Vergütungstarifverträge aus – in den betreffenden Branchen werden somit nach aktuellem Stand im kommenden Jahr Tarifverhandlungen stattfinden.


„Die Tarifrunde 2025 wird somit eher eine kleine Tarifrunde, die insgesamt deutlich weniger Beschäftigte als gewöhnlich umfasst“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten. Zum Vergleich: In der Tarifrunde 2024 ging es um Tarifverhandlungen für knapp 12 Millionen Beschäftigte, weil in nahezu allen großen Branchen verhandelt wurde oder wird. In wichtigen Bereichen wie dem Bauhauptgewerbe, der Chemischen Industrie und dem Einzelhandel konnten bereits im ersten Halbjahr Tarifabschlüsse erzielt werden, sodass dort aufgrund mehrjähriger Laufzeiten im Jahr 2025 keine Tarifverhandlungen anstehen.


Noch offen sind u. a. die Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie. Bei der Mehrzahl der 2025 auslaufenden Tarifverträge handelt es sich um eher kleinere Tarifbranchen mit weniger als 50.000 Beschäftigten. Die große Ausnahme bildet der Öffentliche Dienst (Bund und Gemeinden, Nahverkehr u.a., siehe auch Tabelle im Anhang) mit knapp drei Millionen Tarifbeschäftigten, dessen aktuelle Vergütungstarifverträge zum Ende des Jahres 2024 auslaufen und der damit den Auftakt der Tarifrunde 2025 bildet.


Zu den größeren Tarifbranchen, in denen im ersten Halbjahr 2025 Tarifverhandlungen anstehen, gehören das Gebäudereinigungshandwerk, die Deutsche Post AG, die Deutsche Bahn AG, das Kfz-Gewerbe und das Versicherungsgewerbe.In der zweiten Jahreshälfte folgen u.a. Verhandlungen im Öffentlichen Dienst (Länder, rund 1,1 Millionen Beschäftigte), in der Zeitarbeit sowie in der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie. Wann in welchem Bereich die gültigen Tarifverträge auslaufen, zeigt der tarifliche Kündigungsterminkalender, den das WSI-Tarifarchiv jetzt vorlegt.


Einige ausgewählte Beispiele größerer Tarifbranchen (in Klammern: Beschäftigtenzahlen, gerundet auf volle Tausend):
September 2024:
- Metall- und Elektroindustrie (3.728.000)
- Maler- und Lackiererhandwerk (o. Saarland) (132.000)
- Gastgewerbe Baden-Württemberg (103.000)
- Dachdeckerhandwerk (72.000)
November 2024:
- Privates Verkehrsgewerbe Bayern (131.000)
- Volkswagen AG (99.000)
Dezember 2024:
- Öffentlicher Dienst, Bund und Gemeinden, Nahverkehr u.a. (2.940.000)
- Gebäudereinigungshandwerk (Arbeiter*innen) (491.000)
- Deutsche Post AG (160.000)
- Bewachungsgewerbe Hessen, Baden-Württemberg, Bayern (67.000)
- Kunststoff verarbeitende Industrie Hessen, Ost (54.000)
Januar 2025:
- Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitende Industrie (72.000)
März 2025:
- Kfz-Gewerbe (415.000)
- Deutsche Bahn AG (180.000)
- Versicherungsgewerbe (178.000)
- Kunststoff verarbeitende Industrie Bayern (71.000)
Juni 2025:
- Gastgewerbe Berlin (60.000)
September 2025:
- Zeitarbeit (GVP) (700.000)
- Eisen- und Stahlindustrie (o. Saarland) (85.000)
- Privates Verkehrsgewerbe Niedersachsen (76.000)
Oktober 2025:
- Öffentlicher Dienst Länder (o. Hessen) (1.067.000)
- Holz und Kunststoff verarbeitende Industrie (150.000)
- Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (64.000)
Dezember 2025:
- Ortskrankenkassen (AOK), Barmer, DAK (79.000)
- Gastgewerbe Hessen, Brandenburg (79.000)
- Bewachungsgewerbe (53.000)

„Tarifverhandlungen sind wichtige Orte gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Eine gelungene Tarifpartnerschaft stärkt den sozialen Frieden. Es ist daher im gesamtgesellschaftlichen Interesse, die Tarifbindung zu stärken.“


EU-Mindestlohnrichtlinie gibt Referenz für Mindestlohn deutlich über 14 Euro

In Deutschland droht oberflächliche Umsetzung
Duisburg, 30. Oktober 2024 - Bis zum 15. November 2024 muss die Europäische Mindestlohnrichtlinie in nationales Recht der Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Das Ziel: EU-weit etwas gegen Armut durch Niedriglöhne zu erreichen. Bei der Umsetzung haben die Mitgliedsstaaten allerdings erhebliche Freiheiten, die auch dazu genutzt werden können, sich auf kosmetische Änderungen zu beschränken. Auch in Deutschland droht eine nur sehr oberflächliche Umsetzung, ergibt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.*


So hat die Bundesregierung gerade erklärt, dass aus ihrer Sicht die bestehende Gesetzeslage ausreiche und keine gesonderten Anpassungen nötig seien. Bleibe es dabei, stehe das „politisch für eine verpasste Chance, um in Deutschland angemessene Mindestlöhne durchzusetzen“, warnt Prof. Dr. Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs. Beispielsweise liefert die Richtlinie fundierte Richtgrößen dafür, wie hoch der gesetzliche Mindestlohn sein sollte, um als „angemessen“ zu gelten: Nach WSI-Berechnungen wären das in Deutschland aktuell 14,61 Euro und im kommenden Jahr 15,12 Euro.



Zur Stärkung des Tarifsystems, die die EU ebenfalls als Ziel setzt, wären ein wirkungsvolles Bundestariftreuegesetz nötig und zusätzlich weitere Reformen.  Mit der im Herbst 2022 verabschiedeten Mindestlohnrichtlinie existiert erstmals ein EU-weiter gesetzlicher Rahmen, um überall in der EU „angemessene“ Mindestlöhne durchzusetzen.


• Die Mitgliedsstaaten sind aufgefordert, die Richtlinie bis zum 15. November in nationales Recht umzusetzen. Die Bundesregierung hat nun am 23. Oktober offiziell im Bundesgesetzblatt bekannt gegeben, dass die Anforderungen der Richtlinie bereits durch bestehende Gesetze wie das Mindestlohngesetz oder das Tarifvertragsgesetz erfüllt seien und es keiner gesonderten gesetzlichen Änderungen bedarf. Diese Entscheidung sei auch „juristisch höchst umstritten“, so Studienautor Schulten.


• „Die EU-Kommission hat richtig erkannt, dass der Schutz gegen Niedriglöhne mehr Verbindlichkeit braucht und dass eine hohe Abdeckung durch Tarifverträge und klare Kriterien für angemessene gesetzliche Mindestlöhne sich ergänzende Schlüssel dafür sind“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Die Ampelkoalition sollte sich auf keinen Fall damit zufriedengeben, deutlich hinter der EU-Kommission zurückzubleiben, sondern substanziell nachlegen.“

• Stärkung der Tarifbindung
Zahlreiche empirische Studien zeigen, dass der Niedriglohnsektor eines Landes umso kleiner ist, je höher die Reichweite von Tarifverträgen ausfällt. Ein wesentliches Ziel der Richtlinie liegt deshalb darin, die Tarifvertragssysteme in Europa zu stärken. Überall dort, wo weniger als 80 Prozent der Beschäftigten tarifgebundene Arbeitgeber haben, werden die nationalen Regierungen verpflichtet, konkrete Aktionspläne zur Förderung von Tarifverhandlungen vorzulegen. Deutschland gehört zur Mehrheit der Mitgliedsstaaten, auf die das zutrifft, denn hierzulande arbeitet nur noch etwa jede*r zweite Beschäftigte in einem Unternehmen mit Tarifvertrag.


• Obwohl sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig zur Stärkung der Tarifbindung bekannt hat, seien bislang kaum konkrete politische Maßnahmen ergriffen worden, analysiert Schulten. „Mit dem offiziellen Entwurf für ein Bundestariftreuegesetz hat die Bundesregierung nun einen ersten, sinnvollen Vorschlag gemacht, um die Tarifbindung in Deutschland zu stabilisieren. Insgesamt wird dies jedoch nicht ausreichen, um eine Trendwende herbeizuführen.“


• In Wissenschaft und Gewerkschaften werden weitere Instrumente diskutiert, von denen einige seit langem in europäischen Nachbarländern erfolgreich eingesetzt werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat dazu einen umfassenden Maßnahmenkatalog vorgelegt mit zahlreichen Vorschlägen, die in einen konkreten Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung eingehen könnten. Dazu gehören u.a. der Ausbau von Allgemeinverbindlicherklärungen (AVE) von Tarifverträgen, ein Verbot so genannter OT-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden, eine Stärkung der Nachwirkung von Tarifverträgen bei Betriebsabspaltungen, bessere (digitale) Zugangsrechte von Gewerkschaften und Betriebsräten zu Beschäftigten in Unternehmen sowie erweiterte Nutzungsmöglichkeiten von Vorteilsregelungen für Gewerkschaftsmitglieder.


• „Die Bundesregierung ist nun gefordert, die Initiative zu ergreifen und Strukturen und Verfahren festzulegen, um – in Kooperation mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden – einen konkreten Aktionsplan zu entwickeln“, schreibt Schulten. Kriterien für einen angemessenen (gesetzlichen) Mindestlohn Parallel zur Stärkung der Tarifbindung fordert die Europäische Mindestlohnrichtlinie speziell diejenigen Mitgliedsstaaten, die über einen gesetzlichen Mindestlohn verfügen, auf, diesen nach klar definierten Kriterien festzulegen und regelmäßig anzupassen.


Während die Mitgliedstaaten in der Festlegung und Gewichtung dieser Kriterien weitgehend frei sind, nennt die Richtlinie vier Mindestkriterien, die in jedem Fall berücksichtigt werden müssen. Das sind: Die Kaufkraft der gesetzlichen Mindestlöhne unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten; das allgemeine Niveau der Löhne und ihre Verteilung; die Wachstumsrate der Löhne sowie langfristige nationale Produktivitätsniveaus und -entwicklungen. Außerdem gibt die Richtlinie verbindlich vor, dass die Mitgliedsstaaten „bei ihrer Bewertung der Angemessenheit der gesetzlichen Mindestlöhne Referenzwerte zugrunde (legen)“, so Schulten.


• Konkret benannt werden hierbei die „auf internationaler Ebene üblichen Referenzwerte wie 60 Prozent des Bruttomedianlohns und 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohns und/oder Referenzwerte, die auf nationaler Ebene verwendet werden“. Da die EU keine rechtliche Kompetenz hat, ein verbindliches Mindestlohnniveau vorzugeben, bleibt die Entscheidung über den konkreten Referenzwert bei den Mitgliedsstaaten. Allerdings gebe „die Richtlinie die eindringliche Empfehlung, sich an den international üblichen Standards für zu orientieren“, betont der Wissenschaftler.


• Kennzeichnend für das deutsche Mindestlohnregime ist, dass die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns nach der politischen Festlegung seines Ausgangsniveaus im Jahr 2015 nicht durch den Staat, sondern durch eine Mindestlohnkommission bestimmt wird. Nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) setzt sich diese aus jeweils drei Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter*innen plus einer*m „unabhängigen“ Vorsitzende*n (und zwei beratenden Wissenschaftler*innen) zusammen und spricht regelmäßig Empfehlungen für die Anpassung des Mindestlohns aus. Die einzige Ausnahme bildete die außerordentliche Mindestlohnanpassung im Herbst 2022, bei der unter anderem mit Verweis auf die Europäische Mindestlohnrichtline das Mindestlohnniveau strukturell erhöht werden sollte.


•  Für die regulären Anpassungen durch die Mindestlohnkommission macht das deutsche Mindestlohngesetz nur relativ allgemeine Vorgaben. Die dort unter anderem genannte Entwicklung der Tariflöhne war, so Schulten, in den ersten Jahren der Minimalkonsens, auf den sich Arbeitgeber und Gewerkschaften bei der Erhöhung des Mindestlohns verständigen konnten. Allerdings sei schnell deutlich geworden, dass eine ausschließliche Orientierung an den Tariflöhnen nicht ausreicht, um den Mindestlohn strukturell auf ein angemessenes Niveau anzuheben. Die Gewerkschaften unterstützten deshalb den in der EU-Mindestlohnrichtlinie genannten Referenzwert von 60 Prozent des Medianlohns als Untergrenze für ein angemessenes Mindestlohnniveau.


• Die Arbeitgeber hätten sich hingegen von Beginn an gegen die Richtlinie ausgesprochen und lehnten auch nach ihrer Verabschiedung den Orientierungswert von 60 Prozent des Medianlohns strikt ab, schreibt der Forscher. Stattdessen hätten sie bei der jüngsten Entscheidung der Mindestlohnkommission im Sommer 2023 erstmals das bis dato konsensuale Verfahren aufgekündigt und führten zusammen mit der Vorsitzenden und gegen die Stimmen der Gewerkschaften erstmals einen Mehrheitsbeschluss herbei. „Dieser sah lediglich eine sehr geringe Erhöhung des Mindestlohns vor und hat dabei die Kriterien der Europäischen Mindestlohnrichtlinie komplett ignoriert“, schreibt Schulten.


• 60 Prozent des Medianlohns entsprächen aktuell 14,61 Euro Mindestlohn
Das Grundproblem des deutschen Mindestlohnregimes besteht laut der WSI-Analyse darin, dass es mit der Orientierung an den Tariflöhnen zwar über ein Kriterium zur Entwicklung des Mindestlohns verfügt, Kriterien für die angemessene Höhe des Mindestlohns jedoch fehlen „und damit ein einmal politisch festgelegtes Mindestlohnniveau einfach fortgeschrieben wird“. In diese Regelungslücke stoße nun die Europäische Mindestlohnrichtlinie mit ihrer Empfehlung für einen Referenzwert von 60 Prozent des Medianlohns.


• Nach Berechnungen der Industrieländerorganisation OECD schwankt der deutsche Mindestlohn seit seiner Einführung zwischen 46 und 48 Prozent des Medianlohns von Vollzeitbeschäftigten. Lediglich die außerordentliche Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro hat diesen Wert zeitweilig auf knapp 52 Prozent ansteigen lassen. Damit lag der deutsche Mindestlohn nach Schultens Berechnung in der Regel mindestens zwei Euro unterhalb der Angemessenheitsschwelle der Europäischen Mindestlohnrichtlinie (siehe auch Abbildung 1 im Anhang).


• Um 60 Prozent des Medianlohns zu entsprechen, hätte der gesetzliche Mindestlohn danach schon bei seiner Einführung im Jahr 2015 bei 10,59 Euro liegen und im Jahr 2023 bereits auf rund 14 Euro angehoben werden müssen. Lege man die aktuellen Prognosen für die Lohnentwicklung für 2024 und 2025 zugrunde, so müsste der Mindestlohn in diesem Jahr 14,61 Euro betragen und 2025 auf über 15 Euro ansteigen.


• Deutsches Mindestlohngesetz und EU-Mindestlohnrichtlinie
Ob für die Umsetzung der Europäischen Mindestlohnrichtlinie eine Änderung des deutschen Mindestlohngesetzes notwendig ist, ist in der juristischen Debatte höchst umstritten. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam 2022 zu dem Ergebnis, dass die Anpassungskriterien des Mindestlohngesetzes so allgemein und weit gefasst sind, dass sie auch im Sinne der Europäischen Mindestlohnrichtlinie interpretiert werden können.

Andere Stimmen aus der Rechtwissenschaft argumentieren hingegen, dass die deutlich präziser gefassten Kriterien der Europäischen Mindestlohnrichtlinie auch explizit in das deutsche Mindestlohngesetz übernommen werden müssten. Ähnliche Positionen finden sich auch in anderen EU-Staaten, wie z.B. in den Niederlanden, die die Kriterien der Europäischen Mindestlohnrichtlinie vollständig in ihr nationales Mindestlohngesetz übernommen haben, zeigt die WSI-Analyse. Die Bunderegierung hat sich bislang der Position angeschlossen, wonach keine Änderung des Mindestlohngesetzes nötig sei.


• Angesicht der jüngst durch die Arbeitgeber bestimmten Entscheidung der Mindestlohnkommission habe sich der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil jedoch genötigt gesehen, in einem offiziellen Brief zu betonen, dass er die Vorgaben der Europäischen Mindestlohnrichtline dann als gegeben ansieht, „wenn die Mindestlohnkommission den Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns bei den nächsten Anpassungsentscheidungen berücksichtigt“, so Schulten.

Demgegenüber haben die Arbeitgeberverbände in einem Antwortschreiben deutlich gemacht, dass sie den Referenzwert der Europäischen Mindestlohnrichtlinie von 60 Prozent des Medianlohn lediglich für eine unverbindliche Orientierungsgröße halten. Wenn für die Zukunft sichergestellt werden solle, dass auch in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn nicht mehr unterhalb der Angemessenheitsschwelle von 60 Prozent des Medianlohn liegen soll, sollte diese Zielsetzung auch explizit im deutschen Mindestlohngesetz festgeschrieben werden, argumentiert der WSI-Forscher.

Eine entsprechende Änderung des Mindestlohngesetzes werde „mittlerweile von einer breiten politischen Allianz gefordert, die vom ehemaligen ver.di-Chef Frank Bsirske bis zum neuen CDA-Vorsitzenden und `Vater der Europäischen Mindestlohnrichtlinie´ Dennis Radtke reicht.“ Eine Übernahme der Referenzwerte der Mindestlohnrichtlinie in die nationale Mindestlohngesetzgebung werde auch in einer Reihe anderer EU-Staaten diskutiert bzw. sei in einigen Ländern auch schon umgesetzt worden.

 

Unternehmen an Rhein und Ruhr im Krisenmodus

IHK: Entlastung bei Energie und Steuern nötig  
Duisburg, 29. Oktober 2024 - Die Bundesregierung muss endlich dafür sorgen, dass die Wirtschaft wieder Fuß fasst. Denn: Die Lage der Unternehmen am Niederrhein wird immer schwieriger. Erneut bewerten sie ihre Situation schlechter. Das zeigt die Konjunkturumfrage der IHK. Besonders gebeutelt ist die Industrie. Bürokratie, hohe Steuern und Fachkräftemangel stehen Investitionen im Weg.  


Die Aussichten für die Wirtschaft am Niederrhein bleiben düster. Die Auftragsbücher der Industrie laufen leer. Die Nachfrage aus dem In- und Ausland ist niedrig. Das macht der Branche zu schaffen. Außerdem gibt es zu wenig Fachkräfte.  


IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Stefan Dietzfelbinger appelliert an die Politik: „Der Bundeskanzler hat einen Industriepakt vorgeschlagen – ohne den Mittelstand. Wir brauchen keine Ankündigungen und auch nicht ein Paket nach dem anderen. Wir brauchen jetzt Maßnahmen. Duisburg und der Niederrhein sind ein Industriestandort. Wenn nicht bald etwas passiert, dann werden wir die Konsequenzen weit über Duisburg und NRW hinaus zu spüren bekommen.“


Auch die geplante Wachstumsinitiative der Bundesregierung sei noch nicht umgesetzt. „Wir sagen es immer wieder: Wir müssen unsere Unternehmen entlasten. Sie brauchen verlässliche Planungen. Die Steuern müssen runter, die Bürokratie muss reduziert werden. So kann es nicht weiter gehen.“  


Überblick der Niederrhein-Konjunktur
Die Niederrheinische IHK befragt dreimal im Jahr ihre Mitgliedsunternehmen zu ihrer wirtschaftlichen Lage. Dazu gehören Themen wie Geschäftserwartungen, Geschäftsrisiken und die Fachkräftesituation. Der Konjunkturklimaindex fasst zusammen, wie die Unternehmen ihre aktuelle Situation beurteilen und was sie in den nächsten Monaten erwarten. Der langjährige Mittelwert beträgt 105 Punkte. Nun fällt der Index von 94 Punkten im Frühjahr auf 92 Punkte.

Den vollständigen Bericht gibt es unter www.ihk.de/niederrhein/konjunkturbericht einsehen.   


Mehrheit der Arbeitnehmer*innen unterstützt Energiewende, will aber stärkere Bindung an soziale Kriterien

AfD-Wählende unterscheiden sich grundlegend
Duisburg, 29. Oktober 2024 - Eine Mehrheit der Arbeitnehmer*innen in Deutschland unterstützt die Energiewende, also den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Kohleausstieg. Sorgen bereiten die möglichen wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Folgen, zudem hält nur rund ein Drittel der Beschäftigten die aktuellen Ziele für den Ausbau Erneuerbarer für realistisch, ein Drittel ist unentschieden, ein Drittel findet sie unrealistisch. Generell gibt es deutliche Unterschiede entlang der parteipolitischen Präferenzen: Die Anhängerschaft der AfD unterscheidet sich in ihren Ansichten grundlegend von den Wähler*innen der demokratischen Parteien und steht der Energiewende überwiegend kritisch gegenüber.


Auch die BSW-Wählerschaft hat teils eigene Auffassungen, wenn auch nicht so stark abweichend wie diejenige der AfD. Unabhängig von der politischen Präferenz ist eine deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer*innen in Deutschland dafür, die staatliche Förderung und Gestaltung der Energiewende an klare soziale Kriterien und gute Arbeitsbedingungen zu binden, wozu Tarifverträge und Mitbestimmung zählen. Das zeigt eine neue Studie von Prof. Dr. Vera Trappmann und Dr. Felix Schulz von der Universität im britischen Leeds.


Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie basiert auf Daten einer repräsentativen Befragung von rund 2000 abhängig Beschäftigten in Deutschland.* Eine Mehrheit der im April und Mai 2024 Befragten, nämlich 59 Prozent, stimmt zu, dass die Energiewende unabdingbar ist, um die Klimaziele zu erreichen. 25 Prozent sind unentschieden. Und 16 Prozent der Befragten halten sie nicht für zwingend notwendig. „Ein erheblicher Anteil von vier Zehnteln ist also nicht von der Notwendigkeit der Energiewende zur Erreichung der nationalen Klimaziele überzeugt“, so Schulz und Trappmann.


Die größte Zustimmung findet eindeutig die Solarenergie: 61 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Deutschland einen großen oder sehr großen Anteil seiner Energie aus der Sonne beziehen sollte. Bei Windkraft sagen das 52 Prozent und bei Biomasse 34 Prozent. 23 Prozent der Befragten sprechen sich für einen hohen bis sehr hohen Anteil von Erdgas aus. Knappe Mehrheiten stehen hinter dem Ziel, zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Windenergie auszuweisen.


Gleiches gilt für einen weitgehenden Kohleausstieg. Gleichzeitig ist jeweils eine knappe Mehrheit der Meinung, dass die Kernenergie und einige Kohlekraftwerke auch in Zukunft als Übergangsenergiequellen für die Industrie benötigt werden. Ein immer wieder genannter Grund dafür ist die Angst vor Versorgungsengpässen und Preissteigerungen: 37 Prozent aller Befragter befürchten eine geringere Versorgungssicherheit, 42 Prozent rechnen nicht mit sinkenden Preisen im Zuge der Energiewende. Bei beiden Aussagen zeigen sich zudem rund 30 Prozent unentschieden.


Nur eine Minderheit ist mit Technologien wie Wasserstoff, der als elementarer Baustein für die Transformation energieintensiver Industrien gilt, und CO₂-Speicherung vertraut. „Wir sehen deutlich eine große Unsicherheit mit Blick auf die Folgen der Energiewende auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. „Bestes Beispiel: Bei der Aussage ‚Die Jobs in den Branchen der erneuerbaren Energien werden gut bezahlt sein‘ antworten fast 50 Prozent mit ‚Ich stimme weder zu noch lehne ich ab‘. Das zeigt, wie groß die Fragezeichen in den Köpfen der Beschäftigten zu den sozialen und arbeitsmarktpolitischen Folgen der Energiewende sind.“




Wähler*innen von AfD und BSW antworten deutlich anders Entlang des parteipolitischen Spektrums zeichnen sich klare Trends ab: Generell befürworten die Anhänger*innen der etablierten demokratischen Parteien die Energiewende stärker und liegen in fast allen Fragen näher beieinander. Aber sie lassen sich noch einmal in zwei Lager einteilen: Die Anhängerschaft der Grünen, der SPD und der Linken unterstützt die Energiewende stärker und konsequenter als die der Union und der FDP.


Wenig überraschend stimmen 93 Prozent der Anhänger*innen der Grünen der Aussage zu, dass die Energiewende unverzichtbar ist, um die nationalen Klimaziele zu erreichen. Bei der Linken liegt die Zustimmung bei 90 Prozent und bei der SPD bei 83 Prozent. Jeweils 67 Prozent der Beschäftigten, die CDU/CSU oder FDP wählen würden, stimmen der Aussage zu, dass die Energiewende unabdingbar ist. Die Anhängerschaft der AfD hebt sich mit deutlich geringeren Zustimmungswerten von den anderen ab.



Hier halten nur 24 Prozent die Energiewende für unverzichtbar. Allerdings, so betonen Trappmann und Schulz, gebe es in dieser Gruppe noch viele Unentschlossene. Nicht eindeutig zu verorten sind die Anhänger*innen des BSW. Mit 41 Prozent stimmen sie der Energiewende seltener zu als die der etablierten demokratischen Parteien, aber häufiger als die der AfD. Bei den Wähler*innen von AfD und BSW ist die Angst vor Preissteigerungen und Arbeitsplatzverlusten überdurchschnittlich ausgeprägt.


Stark steigende Preise nach dem Kohleausstieg befürchten beispielsweise 71 Prozent der AfD-Anhänger*innen, beim BSW sind es 57 Prozent. Arbeitsplatzverluste erwarten 70 beziehungsweise 63 Prozent. Bei der Wählerschaft der anderen Parteien erwartet nur eine Minderheit, dass die Preise stark steigen werden, wobei allerdings unter Wähler*innen von SPD, FDP und Union ein gutes Drittel bis knapp 50 Prozent damit rechnet.


Ähnlich ist das Muster bei der Frage nach Jobverlusten durch den Kohleausstieg. Neben wirtschaftlichen auch ideologische Gründe für Ablehnung Was sind die Gründe für die unterschiedlichen Einstellungen? Man könnte vermuten, dass die Sympathisant*innen von AfD und BSW mehr Angst vor Preissteigerungen und Arbeitsplatzverlust haben, weil sie im Durchschnitt über ein geringeres Einkommen und einen niedrigeren Bildungsabschluss verfügen.



Die Wissenschaftlerin und der Wissenschaftler können jedoch zeigen, dass die signifikanten Unterschiede auch nach Kontrolle von soziodemografischen Merkmalen wie Einkommen, Bildung und Bundesland bestehen bleiben. Das bedeutet: Die Anhängerschaft der AfD und des BSW hat zwar mehr Angst vor den wirtschaftlichen Folgen der Energiewende. Dies ist aber nicht ausschließlich auf eine schlechtere wirtschaftliche Situation im Vergleich zu den Wähler*innen der anderen Parteien zurückzuführen. Neben sozioökonomischen Aspekten spielten offenbar auch ideologische Aspekte eine Rolle, erklären die Forschenden.



Sie verweisen auf frühere Studien, nach denen AfD-Wähler*innen generell häufiger Zweifel an der Existenz des menschengemachten Klimawandels haben. Diese Einstellung sei bei vielen bereits vor dem Wechsel ins Lager der AfD vorhanden gewesen. Unabhängig von Parteipräferenzen will deutliche Mehrheit klare Bindung an soziale Kriterien und gute Arbeitsbedingungen Es gibt aber auch Mehrheiten über Parteigrenzen hinweg: Die Anhängerschaften aller Parteien, auch die der AfD und des BSW, sprechen sich laut Studie mehrheitlich dafür aus, staatliche Subventionen an soziale Aspekte und gute Arbeitsbedingungen zu knüpfen – eine Idee, für die sich der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften stark gemacht haben.



Insgesamt stimmen 68 Prozent dem Vorschlag zu, 26 Prozent sind unentschieden und nur sechs Prozent sind dagegen. Zudem stimmt eine Mehrheit von insgesamt 67 Prozent zu, dass die Energiewende erfolgreicher wird, wenn Bürgerinnen und Bürger sowie Beschäftigte mitbestimmen können. Am größten ist die Zustimmung bei Anhänger*innen der Linken mit 71 Prozent und des BSW mit 67 Prozent. Es folgen die SPD mit 64 Prozent, die Union mit 60 Prozent, die Grünen mit 57 Prozent, die FDP mit 54 Prozent und die AfD mit 52 Prozent.


„Insgesamt legen die Ergebnisse unserer Studie nahe, dass die Forderungen, die ökologische Transformation sozial zu gestalten, nicht nur eine Fußnote in der politischen Diskussion ausmachen können, sondern zentral werden müssen, um den Zuspruch zu demokratischen Parteien der Mitte aufrechtzuerhalten und wieder zu stärken“, schreiben Schulz und Trappmann.

Sie leiten daraus vier zentrale Handlungsempfehlungen ab:
1. Förderung an soziale Bedingungen knüpfen.
Staatliche Investitionen sollten an Kriterien guter Arbeit wie Tariflöhne und Betriebsräte geknüpft werden. Vor allem in den neu entstehenden Branchen sollten mehr Tarifverträge abgeschlossen werden. Hier müsse auch die Bundesregierung aktiver werden und mehr Druck auf die Unternehmen ausüben, um die Tarifbindung in der Branche der erneuerbaren Energien zu erhöhen.


2. Energiewende braucht Mitbestimmung.
Neben der demokratischen Teilhabe sollten die Bürgerinnen und Bürger auch an den finanziellen Vorteilen der erneuerbaren Energien, zum Beispiel Windparks, beteiligt werden. Dies kann die Akzeptanz von Projekten in der Region erhöhen. Dazu sollte die bereits bestehende politische Unterstützung für „Bürgerwindparks“ und ähnliche Beteiligungskonzepte ausgebaut werden.


3. Haushalte finanziell entlasten. Allein auf marktwirtschaftliche Maßnahmen zu setzen, wird nicht funktionieren. So belasten zum Beispiel marktbasierte CO₂-Preise die unteren und mittleren Einkommensgruppen überproportional. Um einen Ausgleich zu schaffen, könnten zum einen Senkungen der Steuern auf Lebensmittel mit günstiger CO₂-Bilanz und den öffentlichen Verkehr das allgemeine Preisniveau senken und so die Haushalte entlasten.

Zum anderen müssen durch eine Reform der Schuldenbremse mehr öffentliche Mittel für die Dekarbonisierung der Infrastruktur bereitgestellt werden. Das würde Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, CO₂-Emissionen zu vermeiden und damit Geld zu sparen, etwa durch leistungsfähigen und günstigen öffentlichen Nahverkehr. Ebenso muss die Bundesregierung ihr Versprechen für mehr bezahlbaren, energieeffizienten und emissionsarmen sozialen Wohnungsbau einlösen.


4. Vertrauen in Energiesicherheit schaffen. Die Bundesnetzagentur hat versichert, dass die Energieversorgung auch nach dem Kohle- und Atomausstieg gesichert ist. In der Bevölkerung ist dies jedoch noch nicht angekommen – es herrscht große Verunsicherung, die den Rückhalt für die Energiewende schmälert. Die Forschenden empfehlen daher Informationskampagnen.


Studie Digitalisierung im Krankenhaus: Beschäftigte umfassend einzubeziehen ist Bedingung für Erfolg

Düsseldorf/Duisburg, 22. Oktober 2024 - Digitale Technologien verändern die Arbeit im Gesundheitswesen. Sie können die Beschäftigten entlasten, aber auch zusätzliche Belastungen mit sich bringen. Entscheidend ist, wie die Nutzer*innen einbezogen und geschult werden – und das hat natürlich auch zentralen Einfluss darauf, was die Digitalisierung für Patient*innen bringt. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte aktuelle Studie eines Forschungsteams der Ruhr-Universität Bochum und der FU Berlin in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité.*


Die Forschenden haben untersucht, wie sich der Einsatz digitaler Technologien auf die Arbeitsabläufe und Arbeitsbedingungen auswirkt. Grundlage waren Interviews mit Beschäftigten und Beobachtungen. Betrachtet wurden digitale Technologien in zwei Bereichen: zum einen eine Dokumentationssoftware, die auf Intensivstationen eingesetzt wird, zum anderen algorithmenbasierte Entscheidungshilfen in der Krebsdiagnostik. „Die digitale Transformation im Gesundheitswesen ist keine nebensächliche Aufgabe, sondern eine zentrale strategische Herausforderung“, schreiben die Forschenden.


„Es müssen gezielt finanzielle und zeitliche Ressourcen in die Entwicklung von Technologien und organisatorischen Rahmenbedingungen investiert werden, die die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und die Qualität der Patientenversorgung verbessern.“ Das medizinische Personal sei Neuerungen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Kritisch betrachteten sie jedoch, dass neue Systeme, wenn schlecht umgesetzt, bestehende Arbeitsabläufe erschweren, Aufgaben unnötig verlängern und doppelte Arbeit verursachen können.


„Die Studie zeigt eines sehr klar“, erklärt Christina Schildmann, Leiterin Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung: „Digitale Informationssysteme, die eigentlich die Arbeit entlasten sollen, können zu einer erheblichen Belastung für das medizinische Personal werden. Das zu verhindern gelingt nur, wenn ihr Einsatz von Anfang mit dem Personal auf den Stationen abgestimmt und durch die Interessenvertretung mitbestimmt wird.“


Fallbeispiel Intensivstation
Auf der Intensivstation der Charité ist das Critical Care Information System (CCIS) allgegenwärtig. Dabei handelt es sich um ein Softwaresystem, das das Personal bei der Verwaltung komplexer klinischer Daten und bei der datengestützten Entscheidungsfindung unterstützen soll. Es kommt bei verschiedenen Tätigkeiten rund um Diagnose, Behandlung und Medikation zum Einsatz, und wird damit auch als Basis für die Abrechnung, das Qualitätsmanagement und die Forschung verwendet.

Die Notwendigkeit einer entsprechenden Software wird von den Beschäftigten nicht in Frage gestellt, die viele für den Arbeitsalltag notwendige Funktionen bereitstellt. Allerdings scheint die Benutzerfreundlichkeit verbesserungswürdig zu sein. Einige Aufgaben erfordern laut der Studie zu viele Klicks und damit zu viel Zeit. Außerdem würden auf manchen Seiten nicht alle relevanten Informationen angezeigt, so dass diese in einem anderen System gesucht oder versteckte Datenfelder entdeckt werden müssen.

Die zur Verfügung gestellten Selbstlernprogramme empfinden die Beschäftigten in Teilen als zu anspruchsvoll. Zudem wissen sie oft nicht, dass es dieses Schulungsmaterial gibt, oder geben an, dass sie während ihrer Schicht keine Zeit hätten, sich damit zu beschäftigen. „Der Umfang der Dokumentationsanforderungen, wie er in Systemen wie dem CCIS zu beobachten ist, erwies sich als erhebliche Belastung für das medizinische Personal“, so die Studie. Diese werde durch die eingeschränkte Kompatibilität zwischen verschiedenen Systemen und technischen Geräten noch verstärkt.


KI in der Krebserkennung
In einer zweiten Fallstudie untersuchten die Forschenden die Einführung eines algorithmenbasierten Entscheidungsunterstützungssystems, das bei der Auswertung von MRT-Bildern zur Diagnose von Prostatakrebs hilft. Durch den Einsatz der Software hat sich die diagnostische Genauigkeit erheblich verbessert. Insbesondere weniger erfahrene Ärzt*innen aus den Bereichen Radiologie und Urologie schätzen den digitalen Assistenten als Orientierungshilfe.


Radiolog*innen berichten, dass sich die Software leicht in ihre Arbeit integrieren lässt. Urolog*innen sehen die algorithmenbasierte Analyse als wertvolle Ergänzung zu invasiven Biopsieverfahren, betonen aber auch die Notwendigkeit einer kontinuierlichen wissenschaftlichen Überprüfung. Insgesamt zeigt das Beispiel nach Analyse der Forschenden, wie eine neue Technologie sowohl die Arbeit erleichtern als auch dem Wohl der Patient*innen dienen kann.


Damit digitale Technologien die Arbeit in Gesundheitsberufen wirklich unterstützen und nicht behindern, müsse die Nutzerfreundlichkeit im Vordergrund stehen, so die Forschenden. Möglichkeiten des Feedbacks sowie die Mitbestimmung durch eine Interessenvertretung der Beschäftigten seien von entscheidender Bedeutung. Zudem müssten die Beschäftigten wissen, wie sie das System effektiv und fachgerecht nutzen können. Dazu seien mehr Weiterbildungsangebote notwendig.

Özdemir: Unsere Brücken brauchen jetzt ein „Brücken-Not-OP-Gesetz“.

Mahmut Özdemir fordert beschleunigte Neu-Priorisierung essenzieller Infrastrukturprojekte: Unsere Brücken brauchen jetzt ein „Brücken-Not-OP-Gesetz“.
Duisburg, 22. Oktober 2024 - Die Unterrichtung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) über die nicht mehr zuverlässig einzuschätzende Reststandzeit der Berliner Brücke der Duisburger A59 kann und muss ein Alarm-Signal für das gesamte deutsche Autobahnnetz sein.

Özdemir warnt: „Wenn wir die Güter schneller von Duisburg-Rheinhausen nach China, als auf die andere Rheinseite bekommen, dann ist unser Ansehen auf dem internationalen Parkett der führenden Wirtschaftsnationen gefährdet. Verwaltungsverfahren dürfen keine Selbstbeschäftigung sein, sondern müssen den Willen der Bürgerinnen und Bürger repräsentieren und den Wohlstand des Landes durch Investitionen in die Verkehrsnetze und Brücken im Besonderen abbilden. Nur auf diese Weise können der Verkehr fließen und unsere Unternehmen erfolgreich sein.“


Angesichts der zunehmenden, sich viel früher als gedacht zeigenden Schäden an den Brücken und der herausragenden Bedeutung dieser Bauten im Autobahnnetz für den Wohlstand und die Verkehrssicherheit Deutschlands, fordert der Duisburger Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir ein „Brücken-Not-OPGesetz“. Dieses Gesetz soll die dringendsten Infrastrukturprojekte im Verkehrsbereich schnell und wirksam neu bewerten, um alle Aufmerksamkeit und Personalkapazitäten auf die Brücken zu vereinigen, die den wirtschaftlichen Wohlstand im ganzen Land tragen.


Eine neue Bewertung sollte beinhalten:
1. Die Brückeninstandsetzung bundesweit muss der Sicherung der Leistungsfähigkeit des Autobahnnetzes und des Wirtschaftsstandortes Deutschland dienen: Alle relevanten Brückenprojekte in Deutschland müssen unter den Kriterien der Verkehrssicherheit und des wirtschaftlichen Wohlstands des Landes überprüft und bewertet werden. Ziel ist es, eine Liste der Top-TenProjekte zu erstellen, die höchste Priorität erhalten. Die Brücken, die überregional und europaweit wichtige Wertschöpfungsketten tragen, müssen vor Verkehrschaos, Stau und zusätzlichen Sperrungen geschützt werden.


2. Gesetzliche Regelung zur Beschleunigung bundesweit einzigartiger und bedeutender Projekte neu justieren: Für die als besonders wichtig eingestuften Projekte muss im Bundestag der Gesetzgeber entscheiden, wie die Verfahren zur Planung, Vergabe und Klage ausschließlich erstinstanzlich beim Bundesverwaltungsgericht so verschlankt und beschleunigt werden, dass der Erfolg unmittelbar sichtbar wird. Dies garantiert eine schnelle Umsetzung, ohne unnötige Verzögerungen.


3. Ein Sondervermögen zur Finanzierung diskutieren: Um die Umsetzung der Projekte zu gewährleisten, die für unseren Industriestandort und alle Wertschöpfungsketten der mittelständischen Industrie bis zum Handwerk notwendig sind, rege ich die Diskussion über die Bereitstellung eines Sondervermögens an, das ausschließlich für die Instandsetzung und den Erhalt dieser als essenziell eingestuften Brücken verwendet wird.


4. Logistikdrehscheiben Deutschlands stärken und den Turbo für den wirtschaftlichen Aufschwung zünden: Eine besondere Dringlichkeit hat mit Blick auf die aktuelle Sperrung der Berliner Brücke für Schwertransporte die Duisburger Infrastruktur. Duisburg ist Europas mit Abstand größter Stahlstandort und der Duisburger Hafen ist Europas größter Binnenhafen und damit die Logistikdrehscheibe in Richtung des asiatischen Marktes auf der neuen „Seidenstraße“.


Deshalb fordert Özdemir, dass „das Verfahren für die Berliner Brücke in Duisburg umgehend von der übrigen Planfeststellung abgetrennt und mit höchstem Druck vorangetrieben wird. Diese Brücke ist entscheidend für die Verkehrsinfrastruktur der Stadt und darf nicht im Gesamtkontext anderer Projekte untergehen. Die Autobahngesellschaft des Bundes kann das übrige Verfahren jederzeit ruhend stellen.


Die Berliner Brücke muss vorrangig, einzeln und ohne Verzögerungen instandgesetzt werden, um größere Verkehrsbeeinträchtigungen in den Duisburger Stadtteilen und im gesamten Ruhrgebiet zu vermeiden. Es ist von großer Bedeutung, dass diese Maßnahmen schnellstmöglich im Planfeststellungsverfahren getrennt abgeschlossen und umgesetzt werden, um die wirtschaftliche Stabilität und die Verkehrssicherheit in Deutschland zu gewährleisten“, so Özdemir weiter.


Zudem hat der Duisburger Bundestagsabgeordnete große Bedenken hinsichtlich der Meidericher Brücke und der Brücke an der Abfahrt Duisburg-Ruhrort in Höhe der Gartsträucherstraße. „Auch hier könnte uns in Duisburg ein ähnliches Problem, wie bei der Berliner Brücke bevorstehen. Deshalb ist jetzt gesetzgeberisches Handeln gefordert. Die Entscheidungsgrundlage für das Fernstraßenbundesamt hat sich komplett verändert und die gesamte Lage muss auf dieser Geschäftsgrundlage vollständig neu bewertet werden.

Dabei kann dann auch die Möglichkeit eines Anschlusses einer Tunnellösung offengehalten und in Ruhe bewertet werden. Wir brauchen auch hier eine Trennung der Verfahren, um schnelle Lösungen zu ermöglichen, bevor es zu vergleichbaren Engpässen kommt, ohne Fakten zu schaffen. Es ist nun von zentraler Bedeutung, dass die geforderten Maßnahmen schnellstmöglich beschlossen und umgesetzt werden, um die wirtschaftliche Stabilität und die Verkehrssicherheit in Deutschland zu gewährleisten!“


IHK: Sorge um A59 Berliner Brücke muss bis 2029 fertig sein  
Die Berliner Brücke auf der A59 ist nun für Schwertransporte über 48 Tonnen gesperrt. Die Wirtschaft blickt sorgenvoll auf die Situation der Straßen rund um Duisburg. Sollten zukünftig keine Lkw die Brücke mehr befahren dürfen, wäre das eine Katastrophe für den Standort. Die Niederrheinische IHK findet: Das Warnsignal an die Politik ist deutlich genug. Jetzt heißt es: Bauen, und zwar schnell.  


Die Niederrheinische IHK fordert seit langem, die Planung für den Neubau zu beschleunigen. Trotzdem muss die Wirtschaft nun erste Einschränkungen bei der Berliner Brücke hinnehmen. „Das Fahrverbot für den Schwerlastverkehr zeigt: Unsere Brücken werden immer mehr zur Schwachstelle für unseren Standort. Alle wissen, was für schwerwiegende Folgen eine Sperrung für den Güterverkehr mit sich bringt. Wir hoffen deshalb sehr, dass es keine Einwände und Klagen gegen die Baupläne gibt. Jede Verzögerung kann für einige Unternehmen das Aus bedeuten“, mahnt IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Stefan Dietzfelbinger.  


 An Bund und Land appelliert er, den Neubau zügig voranzutreiben: „Wir erwarten, von Bundesverkehrsminister Volker Wissing jetzt Tempo zu machen. Der Beschluss muss noch im Herbst dieses Jahres kommen, damit der Bau 2026 starten kann. Alternative Verkehrswege, die während der Bauphase bereitgestellt werden, muss die Politik schon heute sichern.“  


Trumps Zollpläne würden deutsche Wirtschaft empfindlich treffen – größte Verluste in den USA selber

Neue Studie US-Wahlen

Düsseldorf/Duisburg, 18. Oktober 2024 - Sollte Donald Trump ein zweites Mal zum US-Präsidenten gewählt werden und zusätzliche Zölle in dem Umfang verhängen, wie im Wahlkampf angekündigt, drohen massive Auswirkungen nicht nur für die US- und die Weltwirtschaft. Auch die deutsche Wirtschaft würde empfindlich getroffen werden. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) könnte in den ersten beiden Jahren nach Einführung der Zölle dadurch gut ein Prozent niedriger ausfallen als ohne eine solche Zolleskalation. Das ergeben neue Simulationsrechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.*


Mit kurzfristig umgesetzten Investitionsprogrammen könnten die Bundesrepublik und die EU den negativen Effekt dämpfen, so die Forschenden. Bereits die erste Amtszeit Trumps war von Handelskonflikten geprägt, insbesondere mit China. Der republikanische Kandidat hat neue Zölle angekündigt für den Fall, dass er erneut Präsident werden würde. Unter anderem einen Zoll von 60 Prozent auf „alles“ aus China und Zölle von 10 bis 20 Prozent auf alle anderen Importe.


Auch die demokratische Kandidatin Kamala Harris ist nicht als Verfechterin des Freihandels einzuordnen, schreiben die IMK-Forschenden Prof. Dr. Sebastian Dullien, Dr. Sabine Stephan und Dr. Thomas Theobald in ihrer Kurzstudie. In ihrer Zeit als Vizepräsidentin hat Präsident Joe Biden die von Trump eingeführten Zölle beibehalten und auf einzelne Güter sogar weitere Zölle gelegt. In der Summe waren die Zollerhöhungen unter Biden allerdings im Vergleich zu Trumps Zöllen marginal. Damit sei durchaus vorstellbar, dass sich Harris auch protektionistischer Mittel bedient, so die Forschenden.


 Umfangreiche Zollerhöhungen wie von Trump avisiert seien von der Demokratin aber nicht zu erwarten. Um die Auswirkungen der Handelspolitik unter Trump und Harris abzuschätzen, hat das IMK auf das in der Wirtschaftsforschung weit verbreitete makroökonometrische Mehrländermodell NiGEM zurückgegriffen und damit drei Szenarien simuliert.

Das „Harris“-Szenario enthält leichte Zollerhöhungen für Importe aus China und nur marginale Zollerhöhungen für Importe aus dem Rest der Welt. Das „Trump 1“-Szenario beinhaltet kräftige Erhöhungen der Zölle gegenüber China und Zollerhöhungen gegenüber dem Rest der Welt, die allerdings eher am unteren Rand seiner Ankündigungen liegen.


Das „Trump 2“-Szenario enthält darüber hinaus kräftigere Zollerhöhungen gegenüber dem Rest der Welt und starke handelspolitische Reaktionen Chinas gegenüber den USA. Solche Vergeltungsmaßnahmen sind nach den Erfahrungen des US-China-Handelskonflikts in Trumps erster Amtszeit zu erwarten. Alle drei Zollerhöhungspakete wirken zunächst einmal wachstumsdämpfend in den USA, ergeben die Berechnungen.


Ein wichtiger Faktor dafür ist, dass Konsumentenpreise steigen und damit die Kaufkraft der US-Privathaushalte sinkt, was sich negativ auf den privaten Verbrauch auswirkt. Zugleich dürfte die steigende Inflation die US-Notenbank Federal Reserve zu einem restriktiveren Kurs veranlassen, was ebenfalls das Wachstum dämpft.

Die negativen Effekte der von Donald Trump angekündigten Zölle für die US-Wirtschaft sind dabei weitaus größer als die im „Harris“-Szenario. Sie dürften auch viel stärker ausfallen als während der ersten Amtszeit des Republikaners. Denn bei einer Ausweitung und Erhöhung von Zöllen in dem Maße, wie von Trump nun angekündigt, ist es wenig plausibel, dass ausländische Hersteller einen erheblichen Teil der zusätzlichen Kosten absorbieren, indem sie beispielsweise auf Gewinnmargen verzichten.


„Es dürfte vielmehr einen massiven Verbraucherpreisschock mit entsprechend negativen Konsequenzen für die US-Wirtschaft geben“, schreiben Dullien, Stephan und Theobald. Auf Seiten der US-Handelspartner dämpfen schrumpfende Exportnachfrage und fallende Gewinnmargen das Wachstum. Zu den ebenfalls erheblichen weltwirtschaftlichen BIP-Verlusten trägt neben dem direkten Verlust von Wirtschaftsleistung in den USA in starkem Maße die negative BIP-Entwicklung nord- und südamerikanischer Handelspartner der Vereinigten Staaten bei.


Zudem vergrößern sich die BIP-Verluste bei zu erwartenden Vergeltungsmaßnahmen Chinas, wobei diese am stärksten auf die USA direkt wirken würden. Diese Vergeltungsmaßnahmen sind es, die einen Teil des Unterschieds in den Auswirkungen des „Trump 1“ und „Trump 2“-Szenarios erklären. In der Spitze würde die US-Wirtschaftsleistung um rund fünf Prozent niedriger ausfallen als ohne neue Zölle


„Bemerkenswert ist, wie hart die US-Ökonomie in diesem Szenario getroffen wird“, betonen die Ökonom*innen des IMK. Ende 2025, ein knappes Jahr nach der in der Simulationsrechnung angenommen Einführung der angekündigten Zölle, läge das US-BIP im „Trump 2“-Szenario um knapp vier Prozent niedriger als im Szenario ohne neue Zölle. Im vierten Quartal 2026 wären es sogar mehr als fünf Prozent und am Ende des Berechnungszeitraums Ende 2028 betrüge der Verlust an Wirtschaftsleistung noch knapp fünf Prozent.




Im „Trump 1“-Szenario ohne chinesische Gegenmaßnahmen fiele das US-BIP Ende 2025 um gut zweieinhalb Prozent niedriger aus als ohne Zolleskalation, Ende 2028 um knapp dreieinhalb Prozent (methodischer Hinweis: Da es sich beim BIP um eine ökonomische Flussgröße handelt, können die Werte der verschiedenen Jahre nicht zusammengerechnet werden).  


Donald Trump verfolge mit seinen Zöllen das Ziel, die heimische Produktion zu stärken, also eine Importsubstitution anzuregen, analysieren die Wissenschaftler*innen. Ein sehr deutlicher Rückgang der US-Importe in den Simulationsergebnissen des NiGEM-Modells weise darauf hin, dass es diesen Effekt tatsächlich gibt. Da allerdings die anderen, wachstumshemmenden Effekte für die US-Wirtschaft stärker sind, überwiegen unterm Strich die BIP-senkenden Effekte deutlich.


Deutsche Wirtschaft: Zusätzlicher Schock durch Trump-Zölle könnte aktuelle Stagnation verfestigen Während die deutsche Wirtschaft im „Harris“-Szenario nur marginale negative Wachstumseinbußen hinnehmen müsste (das BIP ist nur vorübergehend und nur wenige Zehntel Prozent geringer als in einer Situation ohne neue Zölle), könnte der BIP-Verlust im Szenario „Trump 2“ in den beiden Jahren nach Einführung der Zölle mehr als ein Prozent betragen.



Mit der Zeit flacht der negative Effekt etwas ab, bleibt aber bis zum Ende des Simulationszeitraums spürbar (siehe auch die Abbildung).




Die negativen Auswirkungen für den Euroraum insgesamt haben eine ähnliche Größenordnung wie jene für Deutschland. Die Ergebnisse aus den Simulationen des IMK ähneln in den Größenordnungen denen aus Veröffentlichungen anderer Institutionen (siehe auch Tabelle 2 in der Kurzstudie).



Für die deutsche Wirtschaft käme erschwerend hinzu, dass der Zollschock in einem Moment droht, in dem sich die Industrie nicht vollständig von dem Energiepreisschock infolge der russischen Invasion der Ukraine erholt hat und aufgrund der aggressiven Industriepolitik Chinas und der USA ohnehin unter Druck steht. „Ein weiterer negativer äußerer Schock könnte zu einer Verfestigung der aktuellen Stagnationsphase beitragen“, warnt das IMK.


Mögliche Folgen der US-Wahl zusätzliches Argument für Investitionsoffensive
Eine Möglichkeit für Deutschland und Europa gegenzusteuern, wäre nach Analyse der Forschenden, eine expansivere Finanzpolitik zu betreiben, etwa durch eine schnelle Umsetzung eines kreditfinanzierten öffentlichen Investitionsprogramms. Eine solche fiskalpolitische Stabilisierung hätte das Potenzial, den Zollschock zu einem beträchtlichen Teil abzufedern.


„Angesichts des durchaus bestehenden Risikos einer Wiederwahl Donald Trumps und einer tatsächlichen Umsetzung seiner Zollpläne sollten die deutsche und die europäische Politik solche Maßnahmen jetzt schon vorbereiten“, sagt IMK-Direktor Dullien. „Gerade Deutschland hat ja ohnehin einen enormen Investitionsbedarf, um die öffentliche Infrastruktur auf die Höhe der Zeit zu bringen. Die möglichen Folgen der US-Wahl sind noch ein zusätzlicher Grund, damit schnell anzufangen. Dazu gehört es auch, über eine Reform der Schuldenbremse für den notwendigen finanziellen Spielraum zu sorgen.“  


 

IMK-Konjunkturindikator bleibt auf „gelb-rot“ trotz leichten Anstiegs des Rezessionsrisikos

Neue Daten  
Düsseldorf/Duisburg, 18. Oktober 2024 - Die Aussichten für die Konjunktur in Deutschland haben sich erneut leicht eingetrübt. Das signalisiert der monatliche Konjunkturindikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in den nächsten drei Monaten eine Rezession durchläuft, ist in den letzten Wochen noch einmal geringfügig gestiegen.


Für das Quartal von Oktober bis Ende Dezember weist der Indikator, der die neuesten verfügbaren Daten zu den wichtigsten wirtschaftlichen Kenngrößen bündelt, eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 52,1 Prozent aus. Anfang September betrug sie für die folgenden drei Monate 48,5 Prozent. Die statistische Streuung des Indikators, in der sich die Verunsicherung der Wirtschaftsakteure ausdrückt, ist hingegen von 20,1 auf 15,2 Prozent zurückgegangen.


Auch deshalb zeigt der nach dem Ampelsystem arbeitende Indikator trotz des etwas gewachsenen Rezessionsrisikos wie in den Vormonaten „gelb-rot“, was eine erhöhte konjunkturelle Unsicherheit signalisiert, aber keine akute Rezessionsgefahr. Zwischen Juni 2023 und März 2024 hatte die Konjunkturampel noch durchgängig auf „rot“ gestanden. Die aktuelle Zunahme des Rezessionsrisikos beruht im Wesentlichen darauf, dass sich Stimmungsindikatoren wie der ifo-Index verschlechtert haben.


Auch der Rückgang der Auftragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe im August wirkt sich negativ aus. Demgegenüber sorgt der Anstieg der Produktion am aktuellen Rand dafür, dass die Rezessionswahrscheinlichkeit nicht noch weiter gestiegen ist. Auch verschiedene Finanzmarktdaten, von denen das IMK einen großen Kranz in einem eigenen „Finanzmarktstressindex“ verdichtet, liefern eher positive Signale. Der Stressindex ist daher gesunken und liegt auf einem moderaten Niveau.


„Die neuen Werte unterstreichen, dass die Stagnationstendenz der deutschen Wirtschaft noch länger anhalten und bis ins neue Jahr reichen wird“, sagt IMK-Konjunkturexperte Peter Hohlfeld. In seiner aktuellen Konjunkturprognose erwartet das IMK im Jahresdurchschnitt 2024 ein Nullwachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Erst für den Jahresverlauf 2025 rechnet das Düsseldorfer Institut mit einer leichten Belebung und im Jahresmittel mit einer BIP-Zunahme um 0,7 Prozent.*