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A59: Berliner Brücke bis auf Weiteres für Schwertransporte ab 48 Tonnen gesperrt
Grüner Stahl für nachhaltige Mobilität: thyssenkrupp und Volkswagen Group unterzeichnen Memorandum of Understanding zur Belieferung mit CO₂-reduziertem Stahl
 
thyssenkrupp verkauft indisches Geschäft für Elektroband


EU-Mindestlohnrichtlinie gibt Referenz für Mindestlohn deutlich über 14 Euro

In Deutschland droht oberflächliche Umsetzung
Duisburg, 30. Oktober 2024 - Bis zum 15. November 2024 muss die Europäische Mindestlohnrichtlinie in nationales Recht der Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Das Ziel: EU-weit etwas gegen Armut durch Niedriglöhne zu erreichen. Bei der Umsetzung haben die Mitgliedsstaaten allerdings erhebliche Freiheiten, die auch dazu genutzt werden können, sich auf kosmetische Änderungen zu beschränken. Auch in Deutschland droht eine nur sehr oberflächliche Umsetzung, ergibt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.*


So hat die Bundesregierung gerade erklärt, dass aus ihrer Sicht die bestehende Gesetzeslage ausreiche und keine gesonderten Anpassungen nötig seien. Bleibe es dabei, stehe das „politisch für eine verpasste Chance, um in Deutschland angemessene Mindestlöhne durchzusetzen“, warnt Prof. Dr. Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs. Beispielsweise liefert die Richtlinie fundierte Richtgrößen dafür, wie hoch der gesetzliche Mindestlohn sein sollte, um als „angemessen“ zu gelten: Nach WSI-Berechnungen wären das in Deutschland aktuell 14,61 Euro und im kommenden Jahr 15,12 Euro.



Zur Stärkung des Tarifsystems, die die EU ebenfalls als Ziel setzt, wären ein wirkungsvolles Bundestariftreuegesetz nötig und zusätzlich weitere Reformen.  Mit der im Herbst 2022 verabschiedeten Mindestlohnrichtlinie existiert erstmals ein EU-weiter gesetzlicher Rahmen, um überall in der EU „angemessene“ Mindestlöhne durchzusetzen.


• Die Mitgliedsstaaten sind aufgefordert, die Richtlinie bis zum 15. November in nationales Recht umzusetzen. Die Bundesregierung hat nun am 23. Oktober offiziell im Bundesgesetzblatt bekannt gegeben, dass die Anforderungen der Richtlinie bereits durch bestehende Gesetze wie das Mindestlohngesetz oder das Tarifvertragsgesetz erfüllt seien und es keiner gesonderten gesetzlichen Änderungen bedarf. Diese Entscheidung sei auch „juristisch höchst umstritten“, so Studienautor Schulten.


• „Die EU-Kommission hat richtig erkannt, dass der Schutz gegen Niedriglöhne mehr Verbindlichkeit braucht und dass eine hohe Abdeckung durch Tarifverträge und klare Kriterien für angemessene gesetzliche Mindestlöhne sich ergänzende Schlüssel dafür sind“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Die Ampelkoalition sollte sich auf keinen Fall damit zufriedengeben, deutlich hinter der EU-Kommission zurückzubleiben, sondern substanziell nachlegen.“

• Stärkung der Tarifbindung
Zahlreiche empirische Studien zeigen, dass der Niedriglohnsektor eines Landes umso kleiner ist, je höher die Reichweite von Tarifverträgen ausfällt. Ein wesentliches Ziel der Richtlinie liegt deshalb darin, die Tarifvertragssysteme in Europa zu stärken. Überall dort, wo weniger als 80 Prozent der Beschäftigten tarifgebundene Arbeitgeber haben, werden die nationalen Regierungen verpflichtet, konkrete Aktionspläne zur Förderung von Tarifverhandlungen vorzulegen. Deutschland gehört zur Mehrheit der Mitgliedsstaaten, auf die das zutrifft, denn hierzulande arbeitet nur noch etwa jede*r zweite Beschäftigte in einem Unternehmen mit Tarifvertrag.


• Obwohl sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig zur Stärkung der Tarifbindung bekannt hat, seien bislang kaum konkrete politische Maßnahmen ergriffen worden, analysiert Schulten. „Mit dem offiziellen Entwurf für ein Bundestariftreuegesetz hat die Bundesregierung nun einen ersten, sinnvollen Vorschlag gemacht, um die Tarifbindung in Deutschland zu stabilisieren. Insgesamt wird dies jedoch nicht ausreichen, um eine Trendwende herbeizuführen.“


• In Wissenschaft und Gewerkschaften werden weitere Instrumente diskutiert, von denen einige seit langem in europäischen Nachbarländern erfolgreich eingesetzt werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat dazu einen umfassenden Maßnahmenkatalog vorgelegt mit zahlreichen Vorschlägen, die in einen konkreten Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung eingehen könnten. Dazu gehören u.a. der Ausbau von Allgemeinverbindlicherklärungen (AVE) von Tarifverträgen, ein Verbot so genannter OT-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden, eine Stärkung der Nachwirkung von Tarifverträgen bei Betriebsabspaltungen, bessere (digitale) Zugangsrechte von Gewerkschaften und Betriebsräten zu Beschäftigten in Unternehmen sowie erweiterte Nutzungsmöglichkeiten von Vorteilsregelungen für Gewerkschaftsmitglieder.


• „Die Bundesregierung ist nun gefordert, die Initiative zu ergreifen und Strukturen und Verfahren festzulegen, um – in Kooperation mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden – einen konkreten Aktionsplan zu entwickeln“, schreibt Schulten. Kriterien für einen angemessenen (gesetzlichen) Mindestlohn Parallel zur Stärkung der Tarifbindung fordert die Europäische Mindestlohnrichtlinie speziell diejenigen Mitgliedsstaaten, die über einen gesetzlichen Mindestlohn verfügen, auf, diesen nach klar definierten Kriterien festzulegen und regelmäßig anzupassen.


Während die Mitgliedstaaten in der Festlegung und Gewichtung dieser Kriterien weitgehend frei sind, nennt die Richtlinie vier Mindestkriterien, die in jedem Fall berücksichtigt werden müssen. Das sind: Die Kaufkraft der gesetzlichen Mindestlöhne unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten; das allgemeine Niveau der Löhne und ihre Verteilung; die Wachstumsrate der Löhne sowie langfristige nationale Produktivitätsniveaus und -entwicklungen. Außerdem gibt die Richtlinie verbindlich vor, dass die Mitgliedsstaaten „bei ihrer Bewertung der Angemessenheit der gesetzlichen Mindestlöhne Referenzwerte zugrunde (legen)“, so Schulten.


• Konkret benannt werden hierbei die „auf internationaler Ebene üblichen Referenzwerte wie 60 Prozent des Bruttomedianlohns und 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohns und/oder Referenzwerte, die auf nationaler Ebene verwendet werden“. Da die EU keine rechtliche Kompetenz hat, ein verbindliches Mindestlohnniveau vorzugeben, bleibt die Entscheidung über den konkreten Referenzwert bei den Mitgliedsstaaten. Allerdings gebe „die Richtlinie die eindringliche Empfehlung, sich an den international üblichen Standards für zu orientieren“, betont der Wissenschaftler.


• Kennzeichnend für das deutsche Mindestlohnregime ist, dass die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns nach der politischen Festlegung seines Ausgangsniveaus im Jahr 2015 nicht durch den Staat, sondern durch eine Mindestlohnkommission bestimmt wird. Nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) setzt sich diese aus jeweils drei Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter*innen plus einer*m „unabhängigen“ Vorsitzende*n (und zwei beratenden Wissenschaftler*innen) zusammen und spricht regelmäßig Empfehlungen für die Anpassung des Mindestlohns aus. Die einzige Ausnahme bildete die außerordentliche Mindestlohnanpassung im Herbst 2022, bei der unter anderem mit Verweis auf die Europäische Mindestlohnrichtline das Mindestlohnniveau strukturell erhöht werden sollte.


•  Für die regulären Anpassungen durch die Mindestlohnkommission macht das deutsche Mindestlohngesetz nur relativ allgemeine Vorgaben. Die dort unter anderem genannte Entwicklung der Tariflöhne war, so Schulten, in den ersten Jahren der Minimalkonsens, auf den sich Arbeitgeber und Gewerkschaften bei der Erhöhung des Mindestlohns verständigen konnten. Allerdings sei schnell deutlich geworden, dass eine ausschließliche Orientierung an den Tariflöhnen nicht ausreicht, um den Mindestlohn strukturell auf ein angemessenes Niveau anzuheben. Die Gewerkschaften unterstützten deshalb den in der EU-Mindestlohnrichtlinie genannten Referenzwert von 60 Prozent des Medianlohns als Untergrenze für ein angemessenes Mindestlohnniveau.


• Die Arbeitgeber hätten sich hingegen von Beginn an gegen die Richtlinie ausgesprochen und lehnten auch nach ihrer Verabschiedung den Orientierungswert von 60 Prozent des Medianlohns strikt ab, schreibt der Forscher. Stattdessen hätten sie bei der jüngsten Entscheidung der Mindestlohnkommission im Sommer 2023 erstmals das bis dato konsensuale Verfahren aufgekündigt und führten zusammen mit der Vorsitzenden und gegen die Stimmen der Gewerkschaften erstmals einen Mehrheitsbeschluss herbei. „Dieser sah lediglich eine sehr geringe Erhöhung des Mindestlohns vor und hat dabei die Kriterien der Europäischen Mindestlohnrichtlinie komplett ignoriert“, schreibt Schulten.


• 60 Prozent des Medianlohns entsprächen aktuell 14,61 Euro Mindestlohn
Das Grundproblem des deutschen Mindestlohnregimes besteht laut der WSI-Analyse darin, dass es mit der Orientierung an den Tariflöhnen zwar über ein Kriterium zur Entwicklung des Mindestlohns verfügt, Kriterien für die angemessene Höhe des Mindestlohns jedoch fehlen „und damit ein einmal politisch festgelegtes Mindestlohnniveau einfach fortgeschrieben wird“. In diese Regelungslücke stoße nun die Europäische Mindestlohnrichtlinie mit ihrer Empfehlung für einen Referenzwert von 60 Prozent des Medianlohns.


• Nach Berechnungen der Industrieländerorganisation OECD schwankt der deutsche Mindestlohn seit seiner Einführung zwischen 46 und 48 Prozent des Medianlohns von Vollzeitbeschäftigten. Lediglich die außerordentliche Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro hat diesen Wert zeitweilig auf knapp 52 Prozent ansteigen lassen. Damit lag der deutsche Mindestlohn nach Schultens Berechnung in der Regel mindestens zwei Euro unterhalb der Angemessenheitsschwelle der Europäischen Mindestlohnrichtlinie (siehe auch Abbildung 1 im Anhang).


• Um 60 Prozent des Medianlohns zu entsprechen, hätte der gesetzliche Mindestlohn danach schon bei seiner Einführung im Jahr 2015 bei 10,59 Euro liegen und im Jahr 2023 bereits auf rund 14 Euro angehoben werden müssen. Lege man die aktuellen Prognosen für die Lohnentwicklung für 2024 und 2025 zugrunde, so müsste der Mindestlohn in diesem Jahr 14,61 Euro betragen und 2025 auf über 15 Euro ansteigen.


• Deutsches Mindestlohngesetz und EU-Mindestlohnrichtlinie
Ob für die Umsetzung der Europäischen Mindestlohnrichtlinie eine Änderung des deutschen Mindestlohngesetzes notwendig ist, ist in der juristischen Debatte höchst umstritten. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam 2022 zu dem Ergebnis, dass die Anpassungskriterien des Mindestlohngesetzes so allgemein und weit gefasst sind, dass sie auch im Sinne der Europäischen Mindestlohnrichtlinie interpretiert werden können.

Andere Stimmen aus der Rechtwissenschaft argumentieren hingegen, dass die deutlich präziser gefassten Kriterien der Europäischen Mindestlohnrichtlinie auch explizit in das deutsche Mindestlohngesetz übernommen werden müssten. Ähnliche Positionen finden sich auch in anderen EU-Staaten, wie z.B. in den Niederlanden, die die Kriterien der Europäischen Mindestlohnrichtlinie vollständig in ihr nationales Mindestlohngesetz übernommen haben, zeigt die WSI-Analyse. Die Bunderegierung hat sich bislang der Position angeschlossen, wonach keine Änderung des Mindestlohngesetzes nötig sei.


• Angesicht der jüngst durch die Arbeitgeber bestimmten Entscheidung der Mindestlohnkommission habe sich der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil jedoch genötigt gesehen, in einem offiziellen Brief zu betonen, dass er die Vorgaben der Europäischen Mindestlohnrichtline dann als gegeben ansieht, „wenn die Mindestlohnkommission den Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns bei den nächsten Anpassungsentscheidungen berücksichtigt“, so Schulten.

Demgegenüber haben die Arbeitgeberverbände in einem Antwortschreiben deutlich gemacht, dass sie den Referenzwert der Europäischen Mindestlohnrichtlinie von 60 Prozent des Medianlohn lediglich für eine unverbindliche Orientierungsgröße halten. Wenn für die Zukunft sichergestellt werden solle, dass auch in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn nicht mehr unterhalb der Angemessenheitsschwelle von 60 Prozent des Medianlohn liegen soll, sollte diese Zielsetzung auch explizit im deutschen Mindestlohngesetz festgeschrieben werden, argumentiert der WSI-Forscher.

Eine entsprechende Änderung des Mindestlohngesetzes werde „mittlerweile von einer breiten politischen Allianz gefordert, die vom ehemaligen ver.di-Chef Frank Bsirske bis zum neuen CDA-Vorsitzenden und `Vater der Europäischen Mindestlohnrichtlinie´ Dennis Radtke reicht.“ Eine Übernahme der Referenzwerte der Mindestlohnrichtlinie in die nationale Mindestlohngesetzgebung werde auch in einer Reihe anderer EU-Staaten diskutiert bzw. sei in einigen Ländern auch schon umgesetzt worden.

 

Unternehmen an Rhein und Ruhr im Krisenmodus

IHK: Entlastung bei Energie und Steuern nötig  
Duisburg, 29. Oktober 2024 - Die Bundesregierung muss endlich dafür sorgen, dass die Wirtschaft wieder Fuß fasst. Denn: Die Lage der Unternehmen am Niederrhein wird immer schwieriger. Erneut bewerten sie ihre Situation schlechter. Das zeigt die Konjunkturumfrage der IHK. Besonders gebeutelt ist die Industrie. Bürokratie, hohe Steuern und Fachkräftemangel stehen Investitionen im Weg.  


Die Aussichten für die Wirtschaft am Niederrhein bleiben düster. Die Auftragsbücher der Industrie laufen leer. Die Nachfrage aus dem In- und Ausland ist niedrig. Das macht der Branche zu schaffen. Außerdem gibt es zu wenig Fachkräfte.  


IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Stefan Dietzfelbinger appelliert an die Politik: „Der Bundeskanzler hat einen Industriepakt vorgeschlagen – ohne den Mittelstand. Wir brauchen keine Ankündigungen und auch nicht ein Paket nach dem anderen. Wir brauchen jetzt Maßnahmen. Duisburg und der Niederrhein sind ein Industriestandort. Wenn nicht bald etwas passiert, dann werden wir die Konsequenzen weit über Duisburg und NRW hinaus zu spüren bekommen.“


Auch die geplante Wachstumsinitiative der Bundesregierung sei noch nicht umgesetzt. „Wir sagen es immer wieder: Wir müssen unsere Unternehmen entlasten. Sie brauchen verlässliche Planungen. Die Steuern müssen runter, die Bürokratie muss reduziert werden. So kann es nicht weiter gehen.“  


Überblick der Niederrhein-Konjunktur
Die Niederrheinische IHK befragt dreimal im Jahr ihre Mitgliedsunternehmen zu ihrer wirtschaftlichen Lage. Dazu gehören Themen wie Geschäftserwartungen, Geschäftsrisiken und die Fachkräftesituation. Der Konjunkturklimaindex fasst zusammen, wie die Unternehmen ihre aktuelle Situation beurteilen und was sie in den nächsten Monaten erwarten. Der langjährige Mittelwert beträgt 105 Punkte. Nun fällt der Index von 94 Punkten im Frühjahr auf 92 Punkte.

Den vollständigen Bericht gibt es unter www.ihk.de/niederrhein/konjunkturbericht einsehen.   


Mehrheit der Arbeitnehmer*innen unterstützt Energiewende, will aber stärkere Bindung an soziale Kriterien

AfD-Wählende unterscheiden sich grundlegend
Duisburg, 29. Oktober 2024 - Eine Mehrheit der Arbeitnehmer*innen in Deutschland unterstützt die Energiewende, also den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Kohleausstieg. Sorgen bereiten die möglichen wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Folgen, zudem hält nur rund ein Drittel der Beschäftigten die aktuellen Ziele für den Ausbau Erneuerbarer für realistisch, ein Drittel ist unentschieden, ein Drittel findet sie unrealistisch. Generell gibt es deutliche Unterschiede entlang der parteipolitischen Präferenzen: Die Anhängerschaft der AfD unterscheidet sich in ihren Ansichten grundlegend von den Wähler*innen der demokratischen Parteien und steht der Energiewende überwiegend kritisch gegenüber.


Auch die BSW-Wählerschaft hat teils eigene Auffassungen, wenn auch nicht so stark abweichend wie diejenige der AfD. Unabhängig von der politischen Präferenz ist eine deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer*innen in Deutschland dafür, die staatliche Förderung und Gestaltung der Energiewende an klare soziale Kriterien und gute Arbeitsbedingungen zu binden, wozu Tarifverträge und Mitbestimmung zählen. Das zeigt eine neue Studie von Prof. Dr. Vera Trappmann und Dr. Felix Schulz von der Universität im britischen Leeds.


Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie basiert auf Daten einer repräsentativen Befragung von rund 2000 abhängig Beschäftigten in Deutschland.* Eine Mehrheit der im April und Mai 2024 Befragten, nämlich 59 Prozent, stimmt zu, dass die Energiewende unabdingbar ist, um die Klimaziele zu erreichen. 25 Prozent sind unentschieden. Und 16 Prozent der Befragten halten sie nicht für zwingend notwendig. „Ein erheblicher Anteil von vier Zehnteln ist also nicht von der Notwendigkeit der Energiewende zur Erreichung der nationalen Klimaziele überzeugt“, so Schulz und Trappmann.


Die größte Zustimmung findet eindeutig die Solarenergie: 61 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Deutschland einen großen oder sehr großen Anteil seiner Energie aus der Sonne beziehen sollte. Bei Windkraft sagen das 52 Prozent und bei Biomasse 34 Prozent. 23 Prozent der Befragten sprechen sich für einen hohen bis sehr hohen Anteil von Erdgas aus. Knappe Mehrheiten stehen hinter dem Ziel, zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Windenergie auszuweisen.


Gleiches gilt für einen weitgehenden Kohleausstieg. Gleichzeitig ist jeweils eine knappe Mehrheit der Meinung, dass die Kernenergie und einige Kohlekraftwerke auch in Zukunft als Übergangsenergiequellen für die Industrie benötigt werden. Ein immer wieder genannter Grund dafür ist die Angst vor Versorgungsengpässen und Preissteigerungen: 37 Prozent aller Befragter befürchten eine geringere Versorgungssicherheit, 42 Prozent rechnen nicht mit sinkenden Preisen im Zuge der Energiewende. Bei beiden Aussagen zeigen sich zudem rund 30 Prozent unentschieden.


Nur eine Minderheit ist mit Technologien wie Wasserstoff, der als elementarer Baustein für die Transformation energieintensiver Industrien gilt, und CO₂-Speicherung vertraut. „Wir sehen deutlich eine große Unsicherheit mit Blick auf die Folgen der Energiewende auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. „Bestes Beispiel: Bei der Aussage ‚Die Jobs in den Branchen der erneuerbaren Energien werden gut bezahlt sein‘ antworten fast 50 Prozent mit ‚Ich stimme weder zu noch lehne ich ab‘. Das zeigt, wie groß die Fragezeichen in den Köpfen der Beschäftigten zu den sozialen und arbeitsmarktpolitischen Folgen der Energiewende sind.“




Wähler*innen von AfD und BSW antworten deutlich anders Entlang des parteipolitischen Spektrums zeichnen sich klare Trends ab: Generell befürworten die Anhänger*innen der etablierten demokratischen Parteien die Energiewende stärker und liegen in fast allen Fragen näher beieinander. Aber sie lassen sich noch einmal in zwei Lager einteilen: Die Anhängerschaft der Grünen, der SPD und der Linken unterstützt die Energiewende stärker und konsequenter als die der Union und der FDP.


Wenig überraschend stimmen 93 Prozent der Anhänger*innen der Grünen der Aussage zu, dass die Energiewende unverzichtbar ist, um die nationalen Klimaziele zu erreichen. Bei der Linken liegt die Zustimmung bei 90 Prozent und bei der SPD bei 83 Prozent. Jeweils 67 Prozent der Beschäftigten, die CDU/CSU oder FDP wählen würden, stimmen der Aussage zu, dass die Energiewende unabdingbar ist. Die Anhängerschaft der AfD hebt sich mit deutlich geringeren Zustimmungswerten von den anderen ab.



Hier halten nur 24 Prozent die Energiewende für unverzichtbar. Allerdings, so betonen Trappmann und Schulz, gebe es in dieser Gruppe noch viele Unentschlossene. Nicht eindeutig zu verorten sind die Anhänger*innen des BSW. Mit 41 Prozent stimmen sie der Energiewende seltener zu als die der etablierten demokratischen Parteien, aber häufiger als die der AfD. Bei den Wähler*innen von AfD und BSW ist die Angst vor Preissteigerungen und Arbeitsplatzverlusten überdurchschnittlich ausgeprägt.


Stark steigende Preise nach dem Kohleausstieg befürchten beispielsweise 71 Prozent der AfD-Anhänger*innen, beim BSW sind es 57 Prozent. Arbeitsplatzverluste erwarten 70 beziehungsweise 63 Prozent. Bei der Wählerschaft der anderen Parteien erwartet nur eine Minderheit, dass die Preise stark steigen werden, wobei allerdings unter Wähler*innen von SPD, FDP und Union ein gutes Drittel bis knapp 50 Prozent damit rechnet.


Ähnlich ist das Muster bei der Frage nach Jobverlusten durch den Kohleausstieg. Neben wirtschaftlichen auch ideologische Gründe für Ablehnung Was sind die Gründe für die unterschiedlichen Einstellungen? Man könnte vermuten, dass die Sympathisant*innen von AfD und BSW mehr Angst vor Preissteigerungen und Arbeitsplatzverlust haben, weil sie im Durchschnitt über ein geringeres Einkommen und einen niedrigeren Bildungsabschluss verfügen.



Die Wissenschaftlerin und der Wissenschaftler können jedoch zeigen, dass die signifikanten Unterschiede auch nach Kontrolle von soziodemografischen Merkmalen wie Einkommen, Bildung und Bundesland bestehen bleiben. Das bedeutet: Die Anhängerschaft der AfD und des BSW hat zwar mehr Angst vor den wirtschaftlichen Folgen der Energiewende. Dies ist aber nicht ausschließlich auf eine schlechtere wirtschaftliche Situation im Vergleich zu den Wähler*innen der anderen Parteien zurückzuführen. Neben sozioökonomischen Aspekten spielten offenbar auch ideologische Aspekte eine Rolle, erklären die Forschenden.



Sie verweisen auf frühere Studien, nach denen AfD-Wähler*innen generell häufiger Zweifel an der Existenz des menschengemachten Klimawandels haben. Diese Einstellung sei bei vielen bereits vor dem Wechsel ins Lager der AfD vorhanden gewesen. Unabhängig von Parteipräferenzen will deutliche Mehrheit klare Bindung an soziale Kriterien und gute Arbeitsbedingungen Es gibt aber auch Mehrheiten über Parteigrenzen hinweg: Die Anhängerschaften aller Parteien, auch die der AfD und des BSW, sprechen sich laut Studie mehrheitlich dafür aus, staatliche Subventionen an soziale Aspekte und gute Arbeitsbedingungen zu knüpfen – eine Idee, für die sich der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften stark gemacht haben.



Insgesamt stimmen 68 Prozent dem Vorschlag zu, 26 Prozent sind unentschieden und nur sechs Prozent sind dagegen. Zudem stimmt eine Mehrheit von insgesamt 67 Prozent zu, dass die Energiewende erfolgreicher wird, wenn Bürgerinnen und Bürger sowie Beschäftigte mitbestimmen können. Am größten ist die Zustimmung bei Anhänger*innen der Linken mit 71 Prozent und des BSW mit 67 Prozent. Es folgen die SPD mit 64 Prozent, die Union mit 60 Prozent, die Grünen mit 57 Prozent, die FDP mit 54 Prozent und die AfD mit 52 Prozent.


„Insgesamt legen die Ergebnisse unserer Studie nahe, dass die Forderungen, die ökologische Transformation sozial zu gestalten, nicht nur eine Fußnote in der politischen Diskussion ausmachen können, sondern zentral werden müssen, um den Zuspruch zu demokratischen Parteien der Mitte aufrechtzuerhalten und wieder zu stärken“, schreiben Schulz und Trappmann.

Sie leiten daraus vier zentrale Handlungsempfehlungen ab:
1. Förderung an soziale Bedingungen knüpfen.
Staatliche Investitionen sollten an Kriterien guter Arbeit wie Tariflöhne und Betriebsräte geknüpft werden. Vor allem in den neu entstehenden Branchen sollten mehr Tarifverträge abgeschlossen werden. Hier müsse auch die Bundesregierung aktiver werden und mehr Druck auf die Unternehmen ausüben, um die Tarifbindung in der Branche der erneuerbaren Energien zu erhöhen.


2. Energiewende braucht Mitbestimmung.
Neben der demokratischen Teilhabe sollten die Bürgerinnen und Bürger auch an den finanziellen Vorteilen der erneuerbaren Energien, zum Beispiel Windparks, beteiligt werden. Dies kann die Akzeptanz von Projekten in der Region erhöhen. Dazu sollte die bereits bestehende politische Unterstützung für „Bürgerwindparks“ und ähnliche Beteiligungskonzepte ausgebaut werden.


3. Haushalte finanziell entlasten. Allein auf marktwirtschaftliche Maßnahmen zu setzen, wird nicht funktionieren. So belasten zum Beispiel marktbasierte CO₂-Preise die unteren und mittleren Einkommensgruppen überproportional. Um einen Ausgleich zu schaffen, könnten zum einen Senkungen der Steuern auf Lebensmittel mit günstiger CO₂-Bilanz und den öffentlichen Verkehr das allgemeine Preisniveau senken und so die Haushalte entlasten.

Zum anderen müssen durch eine Reform der Schuldenbremse mehr öffentliche Mittel für die Dekarbonisierung der Infrastruktur bereitgestellt werden. Das würde Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, CO₂-Emissionen zu vermeiden und damit Geld zu sparen, etwa durch leistungsfähigen und günstigen öffentlichen Nahverkehr. Ebenso muss die Bundesregierung ihr Versprechen für mehr bezahlbaren, energieeffizienten und emissionsarmen sozialen Wohnungsbau einlösen.


4. Vertrauen in Energiesicherheit schaffen. Die Bundesnetzagentur hat versichert, dass die Energieversorgung auch nach dem Kohle- und Atomausstieg gesichert ist. In der Bevölkerung ist dies jedoch noch nicht angekommen – es herrscht große Verunsicherung, die den Rückhalt für die Energiewende schmälert. Die Forschenden empfehlen daher Informationskampagnen.

Studie Digitalisierung im Krankenhaus: Beschäftigte umfassend einzubeziehen ist Bedingung für Erfolg

Düsseldorf/Duisburg, 22. Oktober 2024 - Digitale Technologien verändern die Arbeit im Gesundheitswesen. Sie können die Beschäftigten entlasten, aber auch zusätzliche Belastungen mit sich bringen. Entscheidend ist, wie die Nutzer*innen einbezogen und geschult werden – und das hat natürlich auch zentralen Einfluss darauf, was die Digitalisierung für Patient*innen bringt. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte aktuelle Studie eines Forschungsteams der Ruhr-Universität Bochum und der FU Berlin in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité.*


Die Forschenden haben untersucht, wie sich der Einsatz digitaler Technologien auf die Arbeitsabläufe und Arbeitsbedingungen auswirkt. Grundlage waren Interviews mit Beschäftigten und Beobachtungen. Betrachtet wurden digitale Technologien in zwei Bereichen: zum einen eine Dokumentationssoftware, die auf Intensivstationen eingesetzt wird, zum anderen algorithmenbasierte Entscheidungshilfen in der Krebsdiagnostik. „Die digitale Transformation im Gesundheitswesen ist keine nebensächliche Aufgabe, sondern eine zentrale strategische Herausforderung“, schreiben die Forschenden.


„Es müssen gezielt finanzielle und zeitliche Ressourcen in die Entwicklung von Technologien und organisatorischen Rahmenbedingungen investiert werden, die die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und die Qualität der Patientenversorgung verbessern.“ Das medizinische Personal sei Neuerungen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Kritisch betrachteten sie jedoch, dass neue Systeme, wenn schlecht umgesetzt, bestehende Arbeitsabläufe erschweren, Aufgaben unnötig verlängern und doppelte Arbeit verursachen können.


„Die Studie zeigt eines sehr klar“, erklärt Christina Schildmann, Leiterin Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung: „Digitale Informationssysteme, die eigentlich die Arbeit entlasten sollen, können zu einer erheblichen Belastung für das medizinische Personal werden. Das zu verhindern gelingt nur, wenn ihr Einsatz von Anfang mit dem Personal auf den Stationen abgestimmt und durch die Interessenvertretung mitbestimmt wird.“


Fallbeispiel Intensivstation
Auf der Intensivstation der Charité ist das Critical Care Information System (CCIS) allgegenwärtig. Dabei handelt es sich um ein Softwaresystem, das das Personal bei der Verwaltung komplexer klinischer Daten und bei der datengestützten Entscheidungsfindung unterstützen soll. Es kommt bei verschiedenen Tätigkeiten rund um Diagnose, Behandlung und Medikation zum Einsatz, und wird damit auch als Basis für die Abrechnung, das Qualitätsmanagement und die Forschung verwendet.

Die Notwendigkeit einer entsprechenden Software wird von den Beschäftigten nicht in Frage gestellt, die viele für den Arbeitsalltag notwendige Funktionen bereitstellt. Allerdings scheint die Benutzerfreundlichkeit verbesserungswürdig zu sein. Einige Aufgaben erfordern laut der Studie zu viele Klicks und damit zu viel Zeit. Außerdem würden auf manchen Seiten nicht alle relevanten Informationen angezeigt, so dass diese in einem anderen System gesucht oder versteckte Datenfelder entdeckt werden müssen.

Die zur Verfügung gestellten Selbstlernprogramme empfinden die Beschäftigten in Teilen als zu anspruchsvoll. Zudem wissen sie oft nicht, dass es dieses Schulungsmaterial gibt, oder geben an, dass sie während ihrer Schicht keine Zeit hätten, sich damit zu beschäftigen. „Der Umfang der Dokumentationsanforderungen, wie er in Systemen wie dem CCIS zu beobachten ist, erwies sich als erhebliche Belastung für das medizinische Personal“, so die Studie. Diese werde durch die eingeschränkte Kompatibilität zwischen verschiedenen Systemen und technischen Geräten noch verstärkt.


KI in der Krebserkennung
In einer zweiten Fallstudie untersuchten die Forschenden die Einführung eines algorithmenbasierten Entscheidungsunterstützungssystems, das bei der Auswertung von MRT-Bildern zur Diagnose von Prostatakrebs hilft. Durch den Einsatz der Software hat sich die diagnostische Genauigkeit erheblich verbessert. Insbesondere weniger erfahrene Ärzt*innen aus den Bereichen Radiologie und Urologie schätzen den digitalen Assistenten als Orientierungshilfe.


Radiolog*innen berichten, dass sich die Software leicht in ihre Arbeit integrieren lässt. Urolog*innen sehen die algorithmenbasierte Analyse als wertvolle Ergänzung zu invasiven Biopsieverfahren, betonen aber auch die Notwendigkeit einer kontinuierlichen wissenschaftlichen Überprüfung. Insgesamt zeigt das Beispiel nach Analyse der Forschenden, wie eine neue Technologie sowohl die Arbeit erleichtern als auch dem Wohl der Patient*innen dienen kann.


Damit digitale Technologien die Arbeit in Gesundheitsberufen wirklich unterstützen und nicht behindern, müsse die Nutzerfreundlichkeit im Vordergrund stehen, so die Forschenden. Möglichkeiten des Feedbacks sowie die Mitbestimmung durch eine Interessenvertretung der Beschäftigten seien von entscheidender Bedeutung. Zudem müssten die Beschäftigten wissen, wie sie das System effektiv und fachgerecht nutzen können. Dazu seien mehr Weiterbildungsangebote notwendig.

Özdemir: Unsere Brücken brauchen jetzt ein „Brücken-Not-OP-Gesetz“.

Mahmut Özdemir fordert beschleunigte Neu-Priorisierung essenzieller Infrastrukturprojekte: Unsere Brücken brauchen jetzt ein „Brücken-Not-OP-Gesetz“.
Duisburg, 22. Oktober 2024 - Die Unterrichtung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) über die nicht mehr zuverlässig einzuschätzende Reststandzeit der Berliner Brücke der Duisburger A59 kann und muss ein Alarm-Signal für das gesamte deutsche Autobahnnetz sein.

Özdemir warnt: „Wenn wir die Güter schneller von Duisburg-Rheinhausen nach China, als auf die andere Rheinseite bekommen, dann ist unser Ansehen auf dem internationalen Parkett der führenden Wirtschaftsnationen gefährdet. Verwaltungsverfahren dürfen keine Selbstbeschäftigung sein, sondern müssen den Willen der Bürgerinnen und Bürger repräsentieren und den Wohlstand des Landes durch Investitionen in die Verkehrsnetze und Brücken im Besonderen abbilden. Nur auf diese Weise können der Verkehr fließen und unsere Unternehmen erfolgreich sein.“


Angesichts der zunehmenden, sich viel früher als gedacht zeigenden Schäden an den Brücken und der herausragenden Bedeutung dieser Bauten im Autobahnnetz für den Wohlstand und die Verkehrssicherheit Deutschlands, fordert der Duisburger Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir ein „Brücken-Not-OPGesetz“. Dieses Gesetz soll die dringendsten Infrastrukturprojekte im Verkehrsbereich schnell und wirksam neu bewerten, um alle Aufmerksamkeit und Personalkapazitäten auf die Brücken zu vereinigen, die den wirtschaftlichen Wohlstand im ganzen Land tragen.


Eine neue Bewertung sollte beinhalten:
1. Die Brückeninstandsetzung bundesweit muss der Sicherung der Leistungsfähigkeit des Autobahnnetzes und des Wirtschaftsstandortes Deutschland dienen: Alle relevanten Brückenprojekte in Deutschland müssen unter den Kriterien der Verkehrssicherheit und des wirtschaftlichen Wohlstands des Landes überprüft und bewertet werden. Ziel ist es, eine Liste der Top-TenProjekte zu erstellen, die höchste Priorität erhalten. Die Brücken, die überregional und europaweit wichtige Wertschöpfungsketten tragen, müssen vor Verkehrschaos, Stau und zusätzlichen Sperrungen geschützt werden.


2. Gesetzliche Regelung zur Beschleunigung bundesweit einzigartiger und bedeutender Projekte neu justieren: Für die als besonders wichtig eingestuften Projekte muss im Bundestag der Gesetzgeber entscheiden, wie die Verfahren zur Planung, Vergabe und Klage ausschließlich erstinstanzlich beim Bundesverwaltungsgericht so verschlankt und beschleunigt werden, dass der Erfolg unmittelbar sichtbar wird. Dies garantiert eine schnelle Umsetzung, ohne unnötige Verzögerungen.


3. Ein Sondervermögen zur Finanzierung diskutieren: Um die Umsetzung der Projekte zu gewährleisten, die für unseren Industriestandort und alle Wertschöpfungsketten der mittelständischen Industrie bis zum Handwerk notwendig sind, rege ich die Diskussion über die Bereitstellung eines Sondervermögens an, das ausschließlich für die Instandsetzung und den Erhalt dieser als essenziell eingestuften Brücken verwendet wird.


4. Logistikdrehscheiben Deutschlands stärken und den Turbo für den wirtschaftlichen Aufschwung zünden: Eine besondere Dringlichkeit hat mit Blick auf die aktuelle Sperrung der Berliner Brücke für Schwertransporte die Duisburger Infrastruktur. Duisburg ist Europas mit Abstand größter Stahlstandort und der Duisburger Hafen ist Europas größter Binnenhafen und damit die Logistikdrehscheibe in Richtung des asiatischen Marktes auf der neuen „Seidenstraße“.


Deshalb fordert Özdemir, dass „das Verfahren für die Berliner Brücke in Duisburg umgehend von der übrigen Planfeststellung abgetrennt und mit höchstem Druck vorangetrieben wird. Diese Brücke ist entscheidend für die Verkehrsinfrastruktur der Stadt und darf nicht im Gesamtkontext anderer Projekte untergehen. Die Autobahngesellschaft des Bundes kann das übrige Verfahren jederzeit ruhend stellen.


Die Berliner Brücke muss vorrangig, einzeln und ohne Verzögerungen instandgesetzt werden, um größere Verkehrsbeeinträchtigungen in den Duisburger Stadtteilen und im gesamten Ruhrgebiet zu vermeiden. Es ist von großer Bedeutung, dass diese Maßnahmen schnellstmöglich im Planfeststellungsverfahren getrennt abgeschlossen und umgesetzt werden, um die wirtschaftliche Stabilität und die Verkehrssicherheit in Deutschland zu gewährleisten“, so Özdemir weiter.


Zudem hat der Duisburger Bundestagsabgeordnete große Bedenken hinsichtlich der Meidericher Brücke und der Brücke an der Abfahrt Duisburg-Ruhrort in Höhe der Gartsträucherstraße. „Auch hier könnte uns in Duisburg ein ähnliches Problem, wie bei der Berliner Brücke bevorstehen. Deshalb ist jetzt gesetzgeberisches Handeln gefordert. Die Entscheidungsgrundlage für das Fernstraßenbundesamt hat sich komplett verändert und die gesamte Lage muss auf dieser Geschäftsgrundlage vollständig neu bewertet werden.

Dabei kann dann auch die Möglichkeit eines Anschlusses einer Tunnellösung offengehalten und in Ruhe bewertet werden. Wir brauchen auch hier eine Trennung der Verfahren, um schnelle Lösungen zu ermöglichen, bevor es zu vergleichbaren Engpässen kommt, ohne Fakten zu schaffen. Es ist nun von zentraler Bedeutung, dass die geforderten Maßnahmen schnellstmöglich beschlossen und umgesetzt werden, um die wirtschaftliche Stabilität und die Verkehrssicherheit in Deutschland zu gewährleisten!“


IHK: Sorge um A59 Berliner Brücke muss bis 2029 fertig sein  
Die Berliner Brücke auf der A59 ist nun für Schwertransporte über 48 Tonnen gesperrt. Die Wirtschaft blickt sorgenvoll auf die Situation der Straßen rund um Duisburg. Sollten zukünftig keine Lkw die Brücke mehr befahren dürfen, wäre das eine Katastrophe für den Standort. Die Niederrheinische IHK findet: Das Warnsignal an die Politik ist deutlich genug. Jetzt heißt es: Bauen, und zwar schnell.  


Die Niederrheinische IHK fordert seit langem, die Planung für den Neubau zu beschleunigen. Trotzdem muss die Wirtschaft nun erste Einschränkungen bei der Berliner Brücke hinnehmen. „Das Fahrverbot für den Schwerlastverkehr zeigt: Unsere Brücken werden immer mehr zur Schwachstelle für unseren Standort. Alle wissen, was für schwerwiegende Folgen eine Sperrung für den Güterverkehr mit sich bringt. Wir hoffen deshalb sehr, dass es keine Einwände und Klagen gegen die Baupläne gibt. Jede Verzögerung kann für einige Unternehmen das Aus bedeuten“, mahnt IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Stefan Dietzfelbinger.  


 An Bund und Land appelliert er, den Neubau zügig voranzutreiben: „Wir erwarten, von Bundesverkehrsminister Volker Wissing jetzt Tempo zu machen. Der Beschluss muss noch im Herbst dieses Jahres kommen, damit der Bau 2026 starten kann. Alternative Verkehrswege, die während der Bauphase bereitgestellt werden, muss die Politik schon heute sichern.“  


Trumps Zollpläne würden deutsche Wirtschaft empfindlich treffen – größte Verluste in den USA selber

Neue Studie US-Wahlen

Düsseldorf/Duisburg, 18. Oktober 2024 - Sollte Donald Trump ein zweites Mal zum US-Präsidenten gewählt werden und zusätzliche Zölle in dem Umfang verhängen, wie im Wahlkampf angekündigt, drohen massive Auswirkungen nicht nur für die US- und die Weltwirtschaft. Auch die deutsche Wirtschaft würde empfindlich getroffen werden. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) könnte in den ersten beiden Jahren nach Einführung der Zölle dadurch gut ein Prozent niedriger ausfallen als ohne eine solche Zolleskalation. Das ergeben neue Simulationsrechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.*


Mit kurzfristig umgesetzten Investitionsprogrammen könnten die Bundesrepublik und die EU den negativen Effekt dämpfen, so die Forschenden. Bereits die erste Amtszeit Trumps war von Handelskonflikten geprägt, insbesondere mit China. Der republikanische Kandidat hat neue Zölle angekündigt für den Fall, dass er erneut Präsident werden würde. Unter anderem einen Zoll von 60 Prozent auf „alles“ aus China und Zölle von 10 bis 20 Prozent auf alle anderen Importe.


Auch die demokratische Kandidatin Kamala Harris ist nicht als Verfechterin des Freihandels einzuordnen, schreiben die IMK-Forschenden Prof. Dr. Sebastian Dullien, Dr. Sabine Stephan und Dr. Thomas Theobald in ihrer Kurzstudie. In ihrer Zeit als Vizepräsidentin hat Präsident Joe Biden die von Trump eingeführten Zölle beibehalten und auf einzelne Güter sogar weitere Zölle gelegt. In der Summe waren die Zollerhöhungen unter Biden allerdings im Vergleich zu Trumps Zöllen marginal. Damit sei durchaus vorstellbar, dass sich Harris auch protektionistischer Mittel bedient, so die Forschenden.


 Umfangreiche Zollerhöhungen wie von Trump avisiert seien von der Demokratin aber nicht zu erwarten. Um die Auswirkungen der Handelspolitik unter Trump und Harris abzuschätzen, hat das IMK auf das in der Wirtschaftsforschung weit verbreitete makroökonometrische Mehrländermodell NiGEM zurückgegriffen und damit drei Szenarien simuliert.

Das „Harris“-Szenario enthält leichte Zollerhöhungen für Importe aus China und nur marginale Zollerhöhungen für Importe aus dem Rest der Welt. Das „Trump 1“-Szenario beinhaltet kräftige Erhöhungen der Zölle gegenüber China und Zollerhöhungen gegenüber dem Rest der Welt, die allerdings eher am unteren Rand seiner Ankündigungen liegen.


Das „Trump 2“-Szenario enthält darüber hinaus kräftigere Zollerhöhungen gegenüber dem Rest der Welt und starke handelspolitische Reaktionen Chinas gegenüber den USA. Solche Vergeltungsmaßnahmen sind nach den Erfahrungen des US-China-Handelskonflikts in Trumps erster Amtszeit zu erwarten. Alle drei Zollerhöhungspakete wirken zunächst einmal wachstumsdämpfend in den USA, ergeben die Berechnungen.


Ein wichtiger Faktor dafür ist, dass Konsumentenpreise steigen und damit die Kaufkraft der US-Privathaushalte sinkt, was sich negativ auf den privaten Verbrauch auswirkt. Zugleich dürfte die steigende Inflation die US-Notenbank Federal Reserve zu einem restriktiveren Kurs veranlassen, was ebenfalls das Wachstum dämpft.

Die negativen Effekte der von Donald Trump angekündigten Zölle für die US-Wirtschaft sind dabei weitaus größer als die im „Harris“-Szenario. Sie dürften auch viel stärker ausfallen als während der ersten Amtszeit des Republikaners. Denn bei einer Ausweitung und Erhöhung von Zöllen in dem Maße, wie von Trump nun angekündigt, ist es wenig plausibel, dass ausländische Hersteller einen erheblichen Teil der zusätzlichen Kosten absorbieren, indem sie beispielsweise auf Gewinnmargen verzichten.


„Es dürfte vielmehr einen massiven Verbraucherpreisschock mit entsprechend negativen Konsequenzen für die US-Wirtschaft geben“, schreiben Dullien, Stephan und Theobald. Auf Seiten der US-Handelspartner dämpfen schrumpfende Exportnachfrage und fallende Gewinnmargen das Wachstum. Zu den ebenfalls erheblichen weltwirtschaftlichen BIP-Verlusten trägt neben dem direkten Verlust von Wirtschaftsleistung in den USA in starkem Maße die negative BIP-Entwicklung nord- und südamerikanischer Handelspartner der Vereinigten Staaten bei.


Zudem vergrößern sich die BIP-Verluste bei zu erwartenden Vergeltungsmaßnahmen Chinas, wobei diese am stärksten auf die USA direkt wirken würden. Diese Vergeltungsmaßnahmen sind es, die einen Teil des Unterschieds in den Auswirkungen des „Trump 1“ und „Trump 2“-Szenarios erklären. In der Spitze würde die US-Wirtschaftsleistung um rund fünf Prozent niedriger ausfallen als ohne neue Zölle


„Bemerkenswert ist, wie hart die US-Ökonomie in diesem Szenario getroffen wird“, betonen die Ökonom*innen des IMK. Ende 2025, ein knappes Jahr nach der in der Simulationsrechnung angenommen Einführung der angekündigten Zölle, läge das US-BIP im „Trump 2“-Szenario um knapp vier Prozent niedriger als im Szenario ohne neue Zölle. Im vierten Quartal 2026 wären es sogar mehr als fünf Prozent und am Ende des Berechnungszeitraums Ende 2028 betrüge der Verlust an Wirtschaftsleistung noch knapp fünf Prozent.




Im „Trump 1“-Szenario ohne chinesische Gegenmaßnahmen fiele das US-BIP Ende 2025 um gut zweieinhalb Prozent niedriger aus als ohne Zolleskalation, Ende 2028 um knapp dreieinhalb Prozent (methodischer Hinweis: Da es sich beim BIP um eine ökonomische Flussgröße handelt, können die Werte der verschiedenen Jahre nicht zusammengerechnet werden).  


Donald Trump verfolge mit seinen Zöllen das Ziel, die heimische Produktion zu stärken, also eine Importsubstitution anzuregen, analysieren die Wissenschaftler*innen. Ein sehr deutlicher Rückgang der US-Importe in den Simulationsergebnissen des NiGEM-Modells weise darauf hin, dass es diesen Effekt tatsächlich gibt. Da allerdings die anderen, wachstumshemmenden Effekte für die US-Wirtschaft stärker sind, überwiegen unterm Strich die BIP-senkenden Effekte deutlich.


Deutsche Wirtschaft: Zusätzlicher Schock durch Trump-Zölle könnte aktuelle Stagnation verfestigen Während die deutsche Wirtschaft im „Harris“-Szenario nur marginale negative Wachstumseinbußen hinnehmen müsste (das BIP ist nur vorübergehend und nur wenige Zehntel Prozent geringer als in einer Situation ohne neue Zölle), könnte der BIP-Verlust im Szenario „Trump 2“ in den beiden Jahren nach Einführung der Zölle mehr als ein Prozent betragen.



Mit der Zeit flacht der negative Effekt etwas ab, bleibt aber bis zum Ende des Simulationszeitraums spürbar (siehe auch die Abbildung).




Die negativen Auswirkungen für den Euroraum insgesamt haben eine ähnliche Größenordnung wie jene für Deutschland. Die Ergebnisse aus den Simulationen des IMK ähneln in den Größenordnungen denen aus Veröffentlichungen anderer Institutionen (siehe auch Tabelle 2 in der Kurzstudie).



Für die deutsche Wirtschaft käme erschwerend hinzu, dass der Zollschock in einem Moment droht, in dem sich die Industrie nicht vollständig von dem Energiepreisschock infolge der russischen Invasion der Ukraine erholt hat und aufgrund der aggressiven Industriepolitik Chinas und der USA ohnehin unter Druck steht. „Ein weiterer negativer äußerer Schock könnte zu einer Verfestigung der aktuellen Stagnationsphase beitragen“, warnt das IMK.


Mögliche Folgen der US-Wahl zusätzliches Argument für Investitionsoffensive
Eine Möglichkeit für Deutschland und Europa gegenzusteuern, wäre nach Analyse der Forschenden, eine expansivere Finanzpolitik zu betreiben, etwa durch eine schnelle Umsetzung eines kreditfinanzierten öffentlichen Investitionsprogramms. Eine solche fiskalpolitische Stabilisierung hätte das Potenzial, den Zollschock zu einem beträchtlichen Teil abzufedern.


„Angesichts des durchaus bestehenden Risikos einer Wiederwahl Donald Trumps und einer tatsächlichen Umsetzung seiner Zollpläne sollten die deutsche und die europäische Politik solche Maßnahmen jetzt schon vorbereiten“, sagt IMK-Direktor Dullien. „Gerade Deutschland hat ja ohnehin einen enormen Investitionsbedarf, um die öffentliche Infrastruktur auf die Höhe der Zeit zu bringen. Die möglichen Folgen der US-Wahl sind noch ein zusätzlicher Grund, damit schnell anzufangen. Dazu gehört es auch, über eine Reform der Schuldenbremse für den notwendigen finanziellen Spielraum zu sorgen.“  


 

IMK-Konjunkturindikator bleibt auf „gelb-rot“ trotz leichten Anstiegs des Rezessionsrisikos

Neue Daten  
Düsseldorf/Duisburg, 18. Oktober 2024 - Die Aussichten für die Konjunktur in Deutschland haben sich erneut leicht eingetrübt. Das signalisiert der monatliche Konjunkturindikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in den nächsten drei Monaten eine Rezession durchläuft, ist in den letzten Wochen noch einmal geringfügig gestiegen.


Für das Quartal von Oktober bis Ende Dezember weist der Indikator, der die neuesten verfügbaren Daten zu den wichtigsten wirtschaftlichen Kenngrößen bündelt, eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 52,1 Prozent aus. Anfang September betrug sie für die folgenden drei Monate 48,5 Prozent. Die statistische Streuung des Indikators, in der sich die Verunsicherung der Wirtschaftsakteure ausdrückt, ist hingegen von 20,1 auf 15,2 Prozent zurückgegangen.


Auch deshalb zeigt der nach dem Ampelsystem arbeitende Indikator trotz des etwas gewachsenen Rezessionsrisikos wie in den Vormonaten „gelb-rot“, was eine erhöhte konjunkturelle Unsicherheit signalisiert, aber keine akute Rezessionsgefahr. Zwischen Juni 2023 und März 2024 hatte die Konjunkturampel noch durchgängig auf „rot“ gestanden. Die aktuelle Zunahme des Rezessionsrisikos beruht im Wesentlichen darauf, dass sich Stimmungsindikatoren wie der ifo-Index verschlechtert haben.


Auch der Rückgang der Auftragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe im August wirkt sich negativ aus. Demgegenüber sorgt der Anstieg der Produktion am aktuellen Rand dafür, dass die Rezessionswahrscheinlichkeit nicht noch weiter gestiegen ist. Auch verschiedene Finanzmarktdaten, von denen das IMK einen großen Kranz in einem eigenen „Finanzmarktstressindex“ verdichtet, liefern eher positive Signale. Der Stressindex ist daher gesunken und liegt auf einem moderaten Niveau.


„Die neuen Werte unterstreichen, dass die Stagnationstendenz der deutschen Wirtschaft noch länger anhalten und bis ins neue Jahr reichen wird“, sagt IMK-Konjunkturexperte Peter Hohlfeld. In seiner aktuellen Konjunkturprognose erwartet das IMK im Jahresdurchschnitt 2024 ein Nullwachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Erst für den Jahresverlauf 2025 rechnet das Düsseldorfer Institut mit einer leichten Belebung und im Jahresmittel mit einer BIP-Zunahme um 0,7 Prozent.*

Konjunkturprognose: BIP stagniert 2024, 2025 Wachstum um 0,7 Prozent

Düseldorf/Duisburg, 24. September 2024 - Die deutsche Konjunktur kann sich in diesem Jahr nicht aus der Stagnation lösen. Das liegt an einer verhaltenen Nachfrage aus dem Ausland, einer restriktiven und unsteten Fiskalpolitik der Bundesregierung, die sowohl das Konsumentenvertrauen als auch Investitionen bremst, und an einer trotz erster Zinssenkungen nach wie vor zu straffen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird 2024 auf der Stelle treten (0,0 Prozent Wachstum im Jahresdurchschnitt).


Im nächsten Jahr hellt sich die Situation etwas auf, vor allem, weil positive Impulse durch weiter steigende Nominallöhne und abnehmende Inflation den privaten Konsum wieder in Schwung bringen. Die Wirtschaftsleistung wächst 2025 um 0,7 Prozent im Jahresmittel. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung in seiner neuen Konjunkturprognose*. Die insgesamt schleppende Wirtschaftsentwicklung drückt mittlerweile auf die Arbeitsmarktentwicklung.


Die Zahl der Erwerbstätigen nimmt in diesem Jahr zwar um durchschnittlich 0,4 Prozent und 2025 noch um 0,1 Prozent zu. Gleichzeitig steigt allerdings auch die Arbeitslosigkeit weiter leicht: im Jahresmittel 2024 um gut 160.000 Personen und 2025 um weitere gut 60.000 Personen. Die Arbeitslosenquote beträgt 6,0 Prozent und 6,1 Prozent – nach 5,7 Prozent 2023. Die Inflationsrate wird im Jahresdurchschnitt 2024 mit 2,3 Prozent wieder nahe am Inflationsziel der EZB liegen und es mit 2,0 Prozent im Jahresmittel 2025 erreichen.


Gegenüber seiner vorherigen Prognose vom Juni nimmt das IMK die Wachstumserwartung beim BIP für dieses Jahr geringfügig um 0,1 Prozentpunkte und für 2025 um 0,2 Prozentpunkte zurück. Nach der aktuellen IMK-Prognose wird die deutsche Wirtschaftsleistung damit Ende 2024 auf ähnlichem Niveau liegen wie fünf Jahre zuvor. Die hartnäckige Flaute sei auch Symptom veränderter weltwirtschaftlicher Gegebenheiten, auf die die Wirtschaftspolitik reagieren müsse, analysieren die Forschenden des IMK.


„In der Vergangenheit hat sich die deutsche Wirtschaft meist über den Export aus der Wirtschaftsflaute gezogen“, schreiben sie. Dafür stünden die Chancen derzeit allerdings schlecht, was nicht nur an einer nur moderaten weltwirtschaftlichen Dynamik und nach wie vor relativ hohen Energiepreisen liege, sondern auch an der forcierten Industriepolitik der wichtigen Handelspartner China und USA mit dem Ziel, die Produktion im eigenen Land durch massiven Mitteleinsatz zu stärken und auszubauen, sowie an Tendenzen verschiedener Länder, Importe über Zölle zu verteuern.


„In dieser Situation bräuchten wir in Deutschland eine wirtschaftspolitische Zeitenwende mit umfangreichen und kontinuierlichen Investitionen unter anderem in erneuerbare Energien, Netze, Verkehrsinfrastruktur und Bildung“, fasst Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK, zusammen. Das IMK beziffert die notwendigen zusätzlichen Investitionen zusammen mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft auf 600 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren. In der Wachstumsinitiative der Bundesregierung stehe dazu aber wenig Konkretes mit Ausnahme der erhöhten degressiven Abschreibung.


„Diese mag die Investitionsbereitschaft einiger Unternehmen erhöhen. Die erforderlichen Investitionen in Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro in den kommenden Jahren werden aber nur erfolgen, wenn der Staat begleitend die Infrastruktur erneuert und dadurch die Planungssicherheit und Absatzperspektiven verbessert“, analysiert das IMK. Andere Maßnahmen der Wachstumsinitiative, die darauf abzielen, das Arbeitsangebot im demografischen Wandel zu stabilisieren, seien teilweise sinnvoll, würden aber kurzfristig kaum nennenswerte Wirkung zeigen.


Die ebenfalls geplante steuerliche Begünstigung von Zuschlägen für Mehrarbeit lehnen die Ökonom*innen als „Geldverschwendung“ ab, weil sie vor allem Fehlanreize für teure Mitnahmeeffekte setze. Zaghaftigkeit präge nicht nur die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, sondern auch die öffentlich geäußerten Vorstellungen der Opposition, insbesondere mit Blick auf Haushalt und ein Festhalten an der wachstumsschädlichen Schuldenbremse, sagt Wirtschaftsforscher Dullien.


Hinzu kämen Unzulänglichkeiten bei der Reform der EU-Fiskalregeln. Diese sollte nach dem Willen der EU-Kommission eigentlich das Investitionspotenzial vergrößern, statt dessen dürften sie nun „die fiskalischen Spielräume für die dringend benötigten öffentlichen Investitionen in der EU unnötig einschränken“, warnen der IMK-Direktor und seine Kolleg*innen. Die Wirtschaftspolitik dürfe nicht aus der Zeit fallen: „Der frühere EZB-Präsident Mario Draghi hat jüngst bei der Vorstellung seines Berichts über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit betont, aktuell bestehe die Wahl zwischen Handeln oder langsamen Qualen. Das gilt für Deutschland in besonderem Maße.“


Kerndaten der Prognose für 2024 und 2025
Arbeitsmarkt Die schwache konjunkturelle Dynamik bremst die Entwicklung der Erwerbstätigkeit, diese bleibt aber leicht positiv. Die Zahl der Erwerbstätigen legt 2024 jahresdurchschnittlich um 0,4 Prozent und 2025 noch minimal um 0,1 Prozent zu. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Bei den Arbeitslosenzahlen prognostiziert das IMK im Jahresdurchschnitt 2024 einen Anstieg um gut 160.000 Personen, so dass im Jahresmittel rund 2,77 Millionen Menschen arbeitslos sein werden. Das entspricht einer Quote von 6,0 Prozent.



Für 2025 veranschlagen die Forschenden eine weitere leichte Zunahme der Arbeitslosigkeit um gut 60.000 Personen auf knapp 2,84 Millionen Personen und eine Quote von 6,1 Prozent. Der Anstieg sei mittlerweile rein konjunkturell bedingt und werde nicht mehr durch die Fluchtbewegung aus der Ukraine beeinflusst, analysiert das IMK. Weltwirtschaft und Außenhandel Die Weltwirtschaft wächst 2024 und 2025 moderat, unter anderem, weil die Inflation global gesunken ist und verschiedene Notenbanken mit Zinssenkungen begonnen haben.


Allerdings ist der Trend weltweit nicht einheitlich: Während das Wirtschaftswachstum in Indien stark bleibt und in Kanada, Japan oder der EU zumindest etwas anzieht, verlangsamt sich die BIP-Entwicklung in den USA, allerdings auf vergleichsweise hohem Niveau: 2024 wächst die US-Wirtschaft um 2,4 und 2025 um 1,5 Prozent im Jahresmittel. Für China prognostiziert das IMK einen BIP-Zuwachs um 4,9 und 4,5 Prozent bei weiterhin schwacher binnenwirtschaftlicher Dynamik.


Das Wirtschaftswachstum im Euroraum steigt von durchschnittlich 0,7 Prozent 2024 auf 1,2 Prozent im kommenden Jahr. Die deutschen Exporte erhalten von wichtigen Handelspartnern nur schwache Impulse, was sich auch erst im kommenden Jahr im Durchschnittswert der Statistik niederschlägt: Im Jahresdurchschnitt 2024 sinken die Ausfuhren noch um 0,7 Prozent, 2025 legen sie um 1,8 Prozent zu. Der Außenhandel leistet per saldo rechnerisch in diesem Jahr einen positiven Wachstumsbeitrag von 0,4 Prozentpunkten, weil die Importe noch deutlich stärker sinken als die Ausfuhren (-2,0 Prozent im Jahresmittel).


Im kommenden Jahr steigen die Einfuhren aber kräftiger als die Exporte (3,1 Prozent), so dass der Außenbeitrag mit -0,4 Prozentpunkten negativ ausfällt. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss dürfte 2024 bei 6,9 Prozent und 2025 bei 6,3 Prozent des BIP liegen. Investitionen Die Ausrüstungsinvestitionen gehen laut IMK-Prognose im Jahresdurchschnitt 2024 um 5,9 Prozent zurück, was in dieser Höhe allerdings auch mit einem Sondereffekt zusammenhängt: Die Bundesregierung hat in ihrem Wachstumspaket die Möglichkeiten zur degressiven Abschreibung verlängert und sogar ausgeweitet. Eine sinnvolle Maßnahme, durch die Unternehmen Investitionen allerdings ins kommende Jahr verlagern dürften.


2025 wachsen die Ausrüstungsinvestition um 1,7 Prozent, was trotz des positiven Trends deutlich macht, dass der schwache Export und die wirtschaftspolitische Unsicherheit die Investitionstätigkeit erheblich belasten. Das unterstreicht der monatliche IMK-Konjunkturindikator, wenn er aktuell ein Rezessionsrisiko von 48,5 Prozent ausweist. Die Bauinvestitionen sinken weiter, auch wenn die Baukosten weniger stark steigen als in den Vorjahren und die Hypothekenzinsen zuletzt leicht gesunken sind. Nach einem Rückgang um 3,9 Prozent im Jahresdurchschnitt 2024 fallen die Bauinvestitionen 2025 noch einmal um jahresdurchschnittlich 1,7 Prozent, wobei sich im späteren Jahresverlauf 2025 eine leichte Belebung andeutet.


Privater Konsum
Nach den Verlusten in der Hochinflationsphase legen die Realeinkommen 2024 deutlich zu, unter anderem durch kräftige Zuwächse bei nominalen Tariflöhnen, sinkende Inflation und die leicht steigende Erwerbstätigkeit. Gleichwohl entwickelt sich der private Konsum mit einem durchschnittlichen Plus von 0,5 Prozent in diesem Jahr nur verhalten, während die Sparquote wächst. „Offensichtlich prägt derzeit das Vorsichtsmotiv aufgrund geopolitischer und konjunktureller Unsicherheit das Verhalten der Konsumenten“, schreiben die Forschenden.


Für 2025 erwartet das IMK dann bei weiter steigenden Einkommen und noch einmal sinkender Inflation ein allmähliches Nachlassen der Konsumzurückhaltung und einen kräftigen Zuwachs der privaten Konsumausgaben um 1,5 Prozent im Jahresdurchschnitt. Im kommenden Jahr wird der Privatkonsum so zur zentralen Stütze der Wirtschaftsentwicklung, während in diesem Jahr der Staatskonsum eine erhebliche Rolle spielt. Inflation und öffentliche Finanzen Für 2024 rechnet das IMK mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von 2,3 Prozent.


2025 beruhigt sich das Inflationsgeschehen noch weiter, im Jahresmittel liegt die Teuerungsrate bei 2,0 Prozent und damit beim EZB-Inflationsziel. Die Steuereinnahmen sowie die Einnahmen aus Sozialbeiträgen steigen 2024 und 2025 spürbar, auch weil Mehrwertsteuervergünstigungen auf Gas oder gastronomische Dienstleistungen ausgelaufen sind und einige Beitragssätze erhöht werden. Das Defizit der öffentlichen Budgets sinkt. 2024 werden die gesamtstaatlichen Haushalte ein Defizit von 2,1 Prozent aufweisen nach 2,6 Prozent 2023. Für das kommende Jahr geht das IMK von einem weiteren Rückgang auf 1,7 Prozent im Jahresdurchschnitt aus.


Aktuelle Studie Lieferkette

Arbeitsbedingungen im Gütertransport gehören zur Unternehmensverantwortung – EU-Richtlinie kann neue Impulse geben
Düsseldorf/Duisburg, 17. September 2024 - Verantwortung in der Lieferkette: Unternehmen müssen nicht nur die Arbeitsbedingungen bei Zulieferern im Auge haben, sondern auch den Gütertransport, wo etwa auf deutschen Straßen nicht selten problematische Zustände herrschen. Die neue EU-Lieferkettenrichtlinie kann dafür wichtige neue Impulse geben. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte aktuelle Analyse zur Situation von LKW-Fahrenden.*


Wenn sie vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hören, denken viele an miserable Arbeitsbedingungen in fernöstlichen Fabriken. Doch „ausbeuterische und teilweise gegen Menschenrechte verstoßende Praktiken“ finden sich auch ganz in der Nähe: auf der nächsten Autobahn. Das schreiben Veronique Helwing-Hentschel, Prof. Dr. Martin Franz und Dr. Philip Verfürth vom Institut für Geographie der Universität Osnabrück. Sie haben in einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt aktuelle Entwicklungen in der Logistikbranche untersucht.


  Eine ihrer Fragestellungen: Inwieweit können das seit 2023 geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die vor dem Inkrafttreten stehende Lieferkettenrichtlinie der EU – Corporate Social Due Diligence Directive, kurz CSDDD – helfen, Verstöße gegen grundlegende Beschäftigtenrechte zu unterbinden?

„Die Studie zeigt uns drastisch, wie wichtig es für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Transportlogistik ist, dass Deutschland die EU-Lieferkettenrichtlinie umsetzt. Und zwar je schneller, desto besser“, erklärt Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.

  79 Prozent der Güterbeförderung in Deutschland werden per Lkw erledigt. In der Branche herrschen großer Wettbewerbs- und Kostendruck. Die Digitalisierung hat vieles verändert, Beispiele sind die Auftragsvergabe über Plattformen oder die Echtzeitverfolgung von Lieferungen. Große Spediteure geben Aufträge häufig an Subunternehmen weiter, die sie teilweise abermals weiterreichen. Nur knapp die Hälfte der Transportleistungen wird von in Deutschland ansässigen Unternehmen erbracht. Vor 15 Jahren waren es noch 64 Prozent.


  Lkw-Fahrende, die auf den hiesigen Straßen unterwegs sind, stammen oft aus Polen, Tschechien, Rumänien, Litauen oder aus Ländern außerhalb der EU. Die Löhne sind niedrig, die Arbeitsbelastung ist hoch. Verstöße gegen Arbeits- und Sozialstandards sind besonders in Subunternehmensbeziehungen an der Tagesordnung, so die Forschenden. Die Internationalisierung hat auch damit zu tun, dass sich deutsche Firmen schwertun, Personal zu finden.


„Gerade die Verhandlungsmacht von Lkw-Fahrenden aus dem Ausland ist häufig gering“, so Philip Verfürth, da ihre wirtschaftliche Abhängigkeit oft stark ausgeprägt ist. Aber selbst den in Deutschland angestellten LKW-Fahrenden falle es nicht leicht, gemeinsam ihre Interessen zu vertreten. Schon wegen der „hohen Mobilität und räumlichen Verteilung der Arbeitskräfte“, aber auch, weil der gewerkschaftliche Organisationsgrad gering ist und viele kleinere und mittlere Firmen nicht mitbestimmt sind. Im vergangenen Jahr gab es immerhin zwei Protestaktionen von Lkw-Fahrenden in Deutschland, die öffentliche Aufmerksamkeit erzielten.


  Einmal traten etwa 65 Fahrer*innen, meist aus osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern, in einen wilden Streik und erzwangen die Auszahlung von Löhnen. Beim zweiten Protest beschränkten sich die Beschäftigten nicht darauf, mit ihren beladenen Fahrzeugen auf dem Rastplatz stehenzubleiben, sondern traten teilweise in einen Hungerstreik. Neben der Gewerkschaft ver.di trat in diesem Fall auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auf den Plan, um Ansprüche der Beschäftigten durchzusetzen und eine Einigung für die LKW-Fahrenden zu erzielen.


  Dies war „einer der ersten Anwendungsfälle des LkSG in der Logistik“, so Veronique Helwing-Hentschel, – denn das BAFA ist für die Kontrolle und Durchsetzung des Lieferkettengesetzes zuständig. Die Behörde durchforstete unter anderem Hunderte von Frachtbriefen und anderen Dokumenten. Allerdings zeigte sich bald, dass „die Konsequenzen für Unternehmen seit der Einführung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bislang relativ gering ausfielen“, so die Forschenden.


  Ändern könnte sich dies, wenn das Gesetz nach den Vorgaben der neuen EU-Richtlinie angepasst wird. Vor allem aus zwei Gründen: Erstens müssen Unternehmen dann auch mittelbare Geschäftspartner – etwa Subunternehmen – proaktiv auf die Einhaltung von Standards überprüfen.
  Zweitens können Verstöße dann mit schärferen Sanktionen geahndet werden. Dies dürfte Unternehmen dazu veranlassen, für mehr Transparenz in den Transportlieferketten zu sorgen, erwarten Helwing-Hentschel, Franz und Verfürth. Dazu könnten auch ohnehin aufgezeichnete Daten verwendet werden, die etwa Aufschluss über die Einhaltung von Ruhezeiten geben.


Dabei sei ein sensibler Umgang mit personenbezogenen Daten wichtig, betonen die Forschenden. Zudem bedürfe es „einer Verschlankung der bisher sehr aufwendigen behördlichen Vorgänge zur Feststellung von Regelverstößen im internationalen Straßengütertransport“. Weiterhin bräuchten LKW-Fahrende eine bessere Versorgungsinfrastruktur, um etwa die seit 2022 verbotene, aber dennoch häufig praktizierte und wenig erholsame Übernachtung in der Fahrerkabine auf der Autobahnraststätte zu unterbinden.

Schließlich plädieren die Forschenden für den Auf- oder Ausbau von – beispielsweise gewerkschaftlichen – Beratungsinfrastrukturen. „Denn die Umsetzung von Sorgfaltspflichten setzt voraus, dass Beschäftigte in Transportlieferketten ihre Rechte kennen und sichere Wege aufgezeigt bekommen, diese einzufordern.“



Zwei Drittel der 400 deutschen Stadt- und Landkreise unter hohem Transformationsdruck, regionale Kooperation muss ausgebaut werden

Neue Befragung 
Düsseldorf/Duisburg, 16. September 2024 - Das Klima heizt sich auf, die Bevölkerung altert, digitale Technik ist auf dem Vormarsch. Das setzt Wirtschaft, Staat und Gesellschaft unter Zugzwang: Sie müssen sich in vielerlei Hinsicht neu aufstellen und vor allem massiv investieren, um den Wandel der Arbeitswelt zu gestalten.


Damit das gelingt, sind Unternehmen, Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände auf allen Ebenen gefragt: europäisch, auf Ebene von Bund und Ländern, insbesondere aber auch in den Regionen. Denn dort werden die konkreten Zukunftsprojekte umgesetzt, und das funktioniert am besten, wenn die Kompetenzen möglichst vieler Akteur*innen vor Ort einbezogen werden. Das unterstreicht heute und morgen etwa die Jahrestagung „Regionale Transformation gestalten“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz in Essen.



Wie es konkret um Mitwirkung und Zusammenarbeit beim Thema Transformation auf regionaler Ebene steht, analysieren Christian Hoßbach, Leiter der Stabsstelle „Hub: Transformation gestalten“ in der Hans-Böckler-Stiftung und der Sozialwissenschaftler Dr. Thomas Bollwein in einer neuen Studie.* Dafür haben sie die bundesweit 59 Regionalgeschäftsführungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes online befragt und im Anschluss vertiefende Kleingruppeninterviews geführt. Die DGB-Regionen umfassen jeweils meist mehrere Landkreise und kreisfreie Städte.


 Das Ergebnis: In 85 Prozent der DGB-Regionen gibt es entsprechende Strukturen – deren Bedeutung allerdings stark variiert. Tripartistische Bündnisse, in denen Politik und Sozialpartner dauerhaft und umfassend auf Augenhöhe zusammenarbeiten, seien „seltener, als es angesichts der Transformation angemessen wäre“. Die vorhandenen Ansätze auszubauen, könnte dazu beitragen, Änderungsprozesse demokratisch zu legitimieren und alle Ressourcen für bestmögliche nachhaltige Lösungen zu mobilisieren.


 In jedem vierten Stadt- oder Landkreis passiert deutlich zu wenig „Aus dem inhaltlichen Ergebnis der Interviews spricht zusammengefasste Praxiskompetenz:  Die insgesamt 40 `Feststellungen´ der Befragten unterstreichen, wie bedeutsam die regionale Vernetzung und insbesondere die strategische Begleitung der Transformation vor Ort ist“, sagt Dr. Claudia Bogedan, die Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung. „Sie geben Praxiserfahrungen wieder und liefern Hinweise auf sinnvolle Strukturen, Verbesserungsbedarfe, aber auch auf Hemmnisse.“


 Die Transformation stellt laut der Befragung in der Tat eine allgegenwärtige Herausforderung dar: Zwei Drittel der rund 400 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland sind nach Einschätzung der Expert*innen stark oder sehr stark von ihr betroffen (siehe Abbildung 4 in der Studie). Die politische Bearbeitung dieses Themas vor Ort wird eher kritisch gesehen: Für 26 Prozent der Land- und Stadtkreise wird sie als schlecht oder sehr schlecht bewertet (Abbildung 5 in der Studie).



Gute Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur*innen und insbesondere der beiden Sozialpartner betrachten Hoßbach und Bollwein als „Gradmesser für die Erfolgschancen regionaler Initiativen“. Der empirische Befund fällt in dieser Hinsicht durchwachsen aus: Die Kooperation mit kommunalen Verantwortlichen wie Bürgermeister*innen oder Landrät*innen in Transformationsfragen bezeichnen die befragten DGB-Regionalgeschäftsführungen zu fast 60 Prozent als mindestens gut, ähnlich sieht es bei den Handels- und Handwerkskammern aus. Etwas weniger gut klappt es mit Wirtschaftsförderung und Hochschulen.


Mit dem Sozialpartner – also den Unternehmensverbänden – ist die Zusammenarbeit „insgesamt nicht besser als neutral“ zu bezeichnen: 35 Prozent beschreiben sie als gut, 37 Prozent als schlecht. Am besten ist das Verhältnis zu den Agenturen für Arbeit, das 95 Prozent der Befragten als gut oder sehr gut empfinden – was auch mit der Einbindung der Gewerkschaften in die Selbstverwaltung zusammenhängen dürfte.


Feste Strukturen für die Zusammenarbeit sind im größten Teil der Regionen etabliert, allerdings variieren Zuschnitt, Zusammensetzung und Kompetenzen erheblich: Transformationsräte existieren in 37 Prozent der DGB-Regionen, in weiteren 47 Prozent andere Formen von Bündnissen. Nur 15 Prozent der Befragten geben an, dass solche Strukturen komplett fehlen.


In 24 der insgesamt 28 Transformationsräte ist der DGB vertreten, die IG Metall in 20, die IGBCE in acht, Verdi in sechs. Regionale Gliederungen der Arbeitgeberverbände reden in 24 Transformationsräten mit, die Agenturen für Arbeit in 23, der jeweilige Landkreis in 20 und die regionale Wirtschaftsförderung in 19. Die Räte befassen sich zu 89 Prozent mit dem Thema Fachkräfte, zu 86 Prozent mit Branchenthemen, zu 82 Prozent mit regionaler Wirtschaftspolitik. Bei ihrer Entstehung konnten viele Transformationsräte auf bestehende Strukturen aufbauen, heißt es in der Studie. Gemeinsame Anstöße von Wirtschafts- und Sozialpartnern oder durch Gewerkschaften und Betriebsräte hätten oft eine wichtige Rolle gespielt.


Die Expert*innen unterscheiden drei Typen von Transformationsräten: Es gebe 13 „tripartistische“, die unbefristet eine breite Themenpalette bearbeiten, zehn „projektspezifische“, die sich in einem begrenzten Zeitrahmen mit einem bestimmten Thema befassen, und fünf „fachspezifische“, die sich ohne Befristung auf ein Thema konzentrieren. Problem: Arbeitgeber stehen nicht selten einer verbindlichen Zusammenarbeit reserviert gegenüber.


Bei der Verbreitung erkennen Hoßbach und Bollwein ein „klares West-Ost-Gefälle“. Tendenziell seien Transformationsräte eher in Regionen mit einem hohen Anteil von Industriebeschäftigung zu finden. Das dürfte damit zusammenhängen, dass es in diesen Regionen häufig langjährige Erfahrungen mit Strukturbrüchen gibt und dass die Sozialpartner in höherem Maße organisiert sind.


Die Ergebnisse der Befragung deuten darauf hin, dass regionale Bündnisse eine wichtige Rolle bei der Bewältigung des Wandels spielen können: 85 Prozent der Befragten bewerten Transformationsräte als relevant oder sehr relevant, die Gremien der Agentur für Arbeit immerhin zwei Drittel, andere Bündnisse 62 Prozent. Damit dieses Potenzial tatsächlich ausgeschöpft wird, bedürfe es langfristiger Orientierung und partnerschaftlicher Zusammenarbeit auf Augenhöhe, so Hoßbach und Bollwein.

„Wirksamer Tripartismus kann nur mit aktiver Beteiligung aller drei Seiten funktionieren.“ Umso problematischer sei es, dass die Arbeitgeber in vielen Regionen der verbindlichen Zusammenarbeit in Transformationsfragen eher reserviert gegenüberstehen. „Dies muss sich ändern, wenn die wichtige demokratische Ressource gemeinsamer Gestaltung wirksam werden soll.“  


Gut gedacht, schlecht gemacht: Neue EU-Fiskalregeln könnten Investitionsschwäche verschärfen

Düsseldorf/Duisburg, 13. September 2024 - Die EU hat ihre Fiskalregeln reformiert. Ein wichtiges Ziel, das die EU-Kommission dabei erreichen wollte: EU-Staaten sollten größeren Spielraum für Investitionen bekommen. Tatsächlich aber könnten die neuen Regeln das Gegenteil bewirken, wie sich bereits Ende dieses Monats zeigen dürfte: Einige europäische Länder wie Frankreich, Italien und Spanien könnten in den kommenden Jahren zu erheblichen Einsparungen gezwungen sein. Das liegt an einer teilweise problematischen Methodik der Regeln. Darunter würden öffentliche Investitionen leiden, die für die Zukunft Europas dringend gebraucht werden.



Auch Deutschland ist betroffen – zwar in geringerem Umfang, aber mitten in einer tiefen Investitions- und Wachstumsschwäche. Das zeigt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.*  Die Autoren Dr. Christoph Paetz und PD Dr. Sebastian Watzka halten Nachbesserungen bei den EU-Regeln zur Schuldentragfähigkeit und einen speziellen Investitionsfonds für dringend notwendig, um mehr Investitionen zu ermöglichen.


„Es war richtig, dass die EU die Fiskalregeln reformiert hat, weil die alten Regeln wachstumsfeindlich waren. Leider ist die Reform aber nur zum Teil gelungen. Aufgrund technischer Details drohen auch die neuen Regeln zur Wachstumsbremse zu werden, weil Spielräume für öffentliche Investitionen unnötig eingeschränkt werden“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK, zu den Ergebnissen. „Hier sollte die Europäische Kommission schnell nachbessern. Es ist auch Aufgabe der Bundesregierung, eine solche Korrektur in Brüssel anzumahnen.“


Der alte Stabilitäts- und Wachstumspakt stand lange in der Kritik. Er enthielt zu ehrgeizige Vorgaben für den Schuldenabbau, nicht überprüfbare Zielwerte, wirkte prozyklisch und vernachlässigte die öffentlichen Investitionen. Das wollte die EU-Kommission mit einer Reform der Fiskalregeln ändern. Im neuen Regelwerk, das am 30. April dieses Jahres in Kraft getreten ist, gelten zwar weiterhin die im Maastricht-Vertrag festgelegten Kriterien, wonach maximal 60 Prozent Gesamtverschuldung und drei Prozent jährliche Neuverschuldung zulässig sind.


•  Der Weg zur Erreichung dieser Ziele kann nun aber flexibler gestaltet werden. Sowohl eine länderspezifische Herangehensweise als auch verschiedene Geschwindigkeiten bei der Konsolidierung werden ermöglicht. Im Mittelpunkt steht dabei eine Schuldentragfähigkeitsanalyse. Auf deren Grundlage müssen Mitgliedsländer der EU-Kommission „nationale mittelfristige Haushaltsstrukturpläne“ vorlegen, die festschreiben, wie viel das Land in den kommenden Jahren ausgeben darf und welche Reformen zur Konsolidierung umgesetzt werden sollen. An die Stelle eines Systems aus zahlreichen Finanzindikatoren tritt die sogenannte Ausgabenregel.


Die nationalen Netto-Primärausgaben – also die Staatsausgaben ohne Zinszahlungen, Zahlungen für Arbeitslosengeld und durch Steuererhöhungen gedeckte Mehrausgaben – dienen nun als einziger Indikator zur Überwachung der Einhaltung der Regeln. Anders als etwa vom IMK im Reformprozess gefordert, enthält die Ausgabenregel aber keine Ausnahme für kreditfinanzierte öffentliche Investitionen. Bis Ende September müssen die Mitgliedstaaten ihre mittelfristigen Pläne vorlegen.


Berechnungen des IMK für die vier größten EU-Volkswirtschaften zeigen, dass erhebliche Einsparungen notwendig sein werden. Die zu erwartende Haushaltskonsolidierung liegt für Italien bei bis zu 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr, für Frankreich und Spanien bei 0,9 Prozent und für Deutschland bei 0,1 Prozent. „Es liegt auf der Hand, dass solche fiskalischen Konsolidierungsanstrengungen in den kommenden Jahren den dringend erforderlichen umfangreichen öffentlichen Investitionsprogrammen in der EU im Wege stehen“, schreiben die IMK-Experten Paetz und Watzka.


Schlagseite bei den Alterungskosten
Nach Analyse der Forscher fehlt im neuen Regelwerk nicht nur eine Ausnahme für kreditfinanzierte öffentliche Investitionen. Auch die Schuldentragfähigkeitsanalyse enthalte problematische Punkte, etwa hinsichtlich der Auswirkungen einer alternden Gesellschaft auf die Schuldentragfähigkeit, die allzu einseitig kalkuliert und daher übertrieben würden. Die Alterungskosten machten in den meisten EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2022 zwischen 20 und 30 Prozent des BIP aus und werden in den nächsten Jahrzehnten weiter steigen.


Doch während steigende Kosten etwa für Renten oder das Gesundheitssystem nach den neuen Fiskalregeln vom Primärüberschuss abgezogen werden, bleiben steigende Einnahmen aus Versicherungsbeiträgen oder Steuersystemen unberücksichtigt. Dies sei „kontraintuitiv“, schreiben die Forscher. In vielen Ländern, etwa in Deutschland und Spanien, würden zusätzliche Rentenausgaben per Gesetz durch höhere Beitragssätze gedeckt. Damit seien diese Rentensysteme weitgehend selbstfinanziert. Dadurch, dass nur die Ausgabenseite in die Tragfähigkeitsanalyse einfließt, werde der finanzielle Spielraum stärker eingeengt als nötig.


„Die EU-Kommission sollte die Art und Weise, wie die Alterungskosten in der Schuldentragfähigkeitsanalyse berücksichtigt werden, überdenken“, so Paetz und Watzka. Auch auf Wachstum und Zinsen schauen Von entscheidender Bedeutung für die Dynamik der Staatsverschuldung ist außerdem das Zins-Wachstums-Differenzial. Bei einem negativen Wert, wenn also der Zinssatz niedriger ist als die Wachstumsrate der Wirtschaft, bleibt die Schuldenquote beherrschbar – man kann sozusagen aus den Schulden herauswachsen.


„Aus rein analytischer Sicht besteht kein Grund, sich um die Tragfähigkeit der Verschuldung von Ländern zu sorgen, für die langfristig ein negatives Zins-Wachstums-Differenzial prognostiziert wird“, so die Forscher. Dies sollte auch bei der Schuldentragfähigkeitsanalyse berücksichtigt werden, zum Beispiel für Frankreich oder Deutschland, wo das Wachstum nach den Prognosen lange Zeit über dem Zinssatz liegen dürfte. Nur wenn der Zinssatz die Wachstumsrate übersteigt, kann es zu einem unkontrolliert schnellen, explosionsartigen Anstieg der Schuldenquote kommen, wenn das Primärdefizit eine bestimmte Schwelle überschreitet. Diese Gefahr besteht beispielsweise im Falle Italiens, aber nicht der anderen großen Länder.


Kleine Änderung, große Wirkung
Die Berechnungen der IMK-Forscher zeigen, dass bereits kleine Veränderungen der Annahmen in der Schuldentragfähigkeitsanalyse spürbare Auswirkungen auf die Staatsfinanzen haben können. Geht man beispielsweise davon aus, dass die Alterungskosten nicht oder neutral in die Schuldentragfähigkeitsanalyse einfließen, so hätte allein Spanien nach dem Abschluss des in den Regeln vorgesehenen Anpassungszeitraums von vier Jahren rund 27 Milliarden Euro jährlich mehr Spielraum. Für Italien und Deutschland lägen die finanziellen Spielräume um gut 14 Milliarden Euro pro Jahr höher.


Lägen die Zinsen künftig um einen Prozentpunkt unter den Basisannahmen, würde dies den Spielraum nach vier Jahren für Italien um 16,6 Milliarden Euro, für Frankreich um 14,8 Milliarden Euro, für Deutschland um 11,4 Milliarden Euro und für Spanien um 8,3 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen. Auch wenn die neuen EU-Regeln nicht so drastisch wirkten wie die Sparprogramme in der Eurokrise 2012, könnten sie öffentliche Investitionsprogramme empfindlich einschränken, so Paetz und Watzka. Sie plädieren für eine Anpassung der Fiskalregeln und zusätzlich für die Einrichtung eines EU-weiten schuldenfinanzierten Investitionsfonds.


Trotz hoher Belastungen: Unternehmen stehen hinter der Energiewende

TÜV Sustainability Studie: 85 Prozent befürworten die Energiewende. Unternehmen kritisieren hohen finanziellen Aufwand, Bürokratie und mangelnde Anreize. Große Mehrheit setzt Maßnahmen für mehr Energieeffizienz um. Sorge vor Versorgungsengpässen.  #nachhaltigkeit #energiewende

Berlin/Duisburg, 12. September 2024 – Schwache Konjunktur, hohe Energiepreise, zu viel Bürokratie. Trotz einer insgesamt angespannten Lage in der Wirtschaft befürworten 85 Prozent der Unternehmen in Deutschland die Energiewende. Und fast vier von fünf (79 Prozent) unterstützen das Vorhaben der EU, Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsraum weltweit zu machen. Das hat eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des TÜV-Verbands unter 500 Unternehmen ab 20 Mitarbeitenden ergeben.


„Die deutsche Wirtschaft steht nahezu geschlossen hinter der Energiewende“, sagte Dr. Michael Fübi, bei Vorstellung der „TÜV Sustainability Studie 2024“ in Berlin. „Die Energiewende ist aber auch eine enorme organisatorische und finanzielle Belastung für die Unternehmen. Für ihre Investitionen brauchen sie Planungssicherheit und klare Rahmenbedingungen.“  


Laut Umfrage bezeichnen 52 Prozent der Unternehmen die finanziellen Belastungen durch die Umstellung auf erneuerbare Energien als „sehr hoch“. Gut die Hälfte der Unternehmen (55 Prozent) beklagt die hohen regulatorischen Anforderungen, die für das Erreichen der Klimaziele an sie gestellt werden. Und fast jedes fünfte Unternehmen (19 Prozent) sieht sich wegen der Energiewende sogar in seiner Existenz bedroht. Auf der anderen Seite gibt ein Drittel (33 Prozent) an, dass ihr Unternehmen unter dem Strich von der Energiewende profitiert. Für 34 Prozent eröffnet die Energiewende ein hohes Innovationspotenzial und für 21 Prozent erschließen sich neue Absatzmärkte.


Fübi: „In der aktuell schwierigen konjunkturellen Lage brauchen die Unternehmen einen klaren wirtschafts- und energiepolitischen Kompass von der Bundesregierung.“ Laut den Ergebnissen der Studie sind die Unternehmen bei der Umsetzung der Energiewende bereits gut vorangekommen. Gut zwei von drei (69 Prozent) haben in den vergangenen fünf Jahren Maßnahmen zur Umstellung ihrer Energieversorgung und einer höheren Energieeffizienz umgesetzt, weitere 12 Prozent haben konkrete Pläne dafür.


Große Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden sind mit einem Anteil von 81 Prozent die Vorreiter, gefolgt von mittleren Unternehmen (50 bis 249 Mitarbeitende) mit 75 Prozent. Kleinere Unternehmen mit 20 bis 49 Mitarbeitenden liegen bei der Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen mit 65 Prozent unter dem Schnitt. Der mit Abstand wichtigste Schritt ist der Umstieg auf erneuerbare Energieträger wie Sonne, Wind, Wasser oder Erdwärme: Fast drei Viertel der Unternehmen (74 Prozent) nutzen erneuerbare Energie, weitere 16 Prozent planen den Umstieg oder die intensivere Nutzung.


Laut Schätzung der Befragten liegt der Anteil der Erneuerbaren am Gesamtenergieverbrauch der Unternehmen im Schnitt bei 35 Prozent. Weitere Maßnahmen sind der Einsatz effizienterer Heizungs-, Lüftungs- und Klimasysteme, die 59 Prozent installiert haben (17 Prozent planen das). Gut jedes zweite Unternehmen (52 Prozent) setzt auf die Herstellung oder Nutzung energieeffizienter Produkte und Anlagen. 44 Prozent führen Energieaudits durch, mit denen der Energieverbrauch des Unternehmens systematisch analysiert werden kann.


Aus der Untersuchung lassen sich konkrete Energiesparmaßnahmen ableiten. 40 Prozent schulen ihre Mitarbeitenden zu Nachhaltigkeitsthemen und 30 Prozent haben ein Energiemanagementsystem eingerichtet, das den Energieverbrauch effizient steuern und reduzieren soll. „Die Unternehmen sind bei der Umsetzung energieeffizienter Maßnahmen auf einem guten Weg“, sagte Fübi. „Nachholbedarf haben kleinere und mittlere Unternehmen, die nicht über große finanzielle und personelle Ressourcen verfügen und daher entsprechende Unterstützung bei der Energiewende benötigen.“


Als größtes Hindernis auf dem Weg zu höherer Energieeffizienz nennen 70 Prozent der Unternehmen die hohen Kosten. Es folgt mit 63 Prozent der hohe bürokratische Aufwand. Fast die Hälfte (45 Prozent) beklagt fehlende staatliche Förderungen oder sonstige finanzielle Anreize. Und 43 Prozent hatten Probleme, geeignete technische Dienstleister zu finden. Nur 9 Prozent hatten keinerlei Probleme. Fübi: „Hohe Kosten, komplizierte Verfahren und der Fachkräftemangel schlagen auch bei der Umsetzung der Energiewende durch.“


Sorge vor Versorgungsengpässen als Folge der Energiewende Trotz der insgesamt hohen Zustimmung für die Energiewende sind viele Unternehmen in Sorge. Gut zwei von drei (69 Prozent) befürchten, dass es als Folge der Energiewende zu Versorgungsengpässen, Störungen oder sogar Ausfällen kommen könnte. „Das deutsche Stromnetz kommt mit der Energie- und Verkehrswende an seine Belastungsgrenze“, sagte Fübi.


„Die Netze müssen zügig ausgebaut und digitalisiert werden, um die Netzstabilität bei einer zunehmend dezentralen und fluktuierenden Energieerzeugung auch in Zukunft gewährleisten zu können.“ Die befragten Unternehmen richten klare Forderungen an die Politik, um die Energiewende voranzutreiben und grüne Technologien am Standort Deutschland zu fördern. An der Spitze stehen schnellere Genehmigungsverfahren, die 95 Prozent als wichtig oder sehr wichtig für den Erfolg der Energiewende erachten. An zweiter Stelle stehen Forschungs- und Entwicklungsprogramme (89 Prozent).


87 Prozent halten Steuervergünstigungen und andere finanzielle Anreize für wichtig und 82 Prozent direkte Förderungen oder Subventionen. Geeignete rechtliche Rahmenbedingungen halten 70 Prozent der Befragten für wichtig. Aus Sicht des TÜV-Verbands geht es jetzt vor allem darum, die bereits beschlossenen regulatorischen Maßnahmen umzusetzen. So zielt das Gesetz zur Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie darauf ab, Verfahren zu vereinfachen. Das gilt insbesondere für Windkraftanlagen, für die so genannte Beschleunigungsgebiete ausgewiesen werden können. Hier können die Genehmigungszeiten deutlich verkürzt werden.


Das gleiche gelte für den Energieträger Wasserstoff. Mit einem eigenen Beschleunigungsgesetz und einer Importstrategie setzt die Bundesregierung wichtige Impulse für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. „Für den Aufbau der H2-Infrastruktur braucht es einheitliche Sicherheits- und Qualitätsstandards“, betonte Fübi. „Die Bundesregierung sollte sich intensiv dafür einsetzen, dass international harmonisierte Normen und Standards in der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette etabliert werden.“


Ein großer Hemmschuh für den Aufbau eines nachhaltigen Energiesystems sind aus Sicht des TÜV-Verbands fehlende finanzielle Mittel als Folge der Haushaltskrise. Die Ausgaben aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) sollen drastisch sinken. „Die Kürzungen senden das falsche Signal an Unternehmen und Bürger:innen, die in saubere Energien, leistungsfähige Netze und klimaneutrale Produktion investieren wollen“, sagte Fübi. Darüber hinaus fehlten die Mittel, um die stark mittelständisch und von Startups geprägte Green-Tec-Branche stärker fördern zu können.


Fübi: „Wir brauchen klare finanzielle Anreize, mehr grünes Wagniskapital und regionale Kompetenzzentren, in denen sich Unternehmen unterschiedlicher Größe untereinander und mit Forschungseinrichtungen und Kapitalgebern vernetzen können.“

Der vollständige Studienbericht der „TÜV Sustainability Studie 2024“ und eine Präsentation sind abrufbar unter:
https://www.tuev-verband.de/pressemitteilungen/trotz-hoher-kosten-unternehmen-stehen-hinter-der-energiewende Die Energiewende und weitere Themen stehen im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitskonferenz „TÜV SustainCon 2024“, die heute in Berlin und online stattfindet. Eine Teilnahme ist kurzfristig möglich unter: www.tuev-verband.de/events/konferenzen/tuev-sustainability-conference-2024 


Innenstädte müssen sich wandeln Ruhr-IHKs veröffentlichen - Handelsreport Ruhr 2024

Duisburg, 11. September 2024 - Es gibt zwar nicht weniger, aber dafür kleinere Geschäfte: So lautet eine Erkenntnis des neuen Handelsreports. Die IHKs im Ruhrgebiet zeigen mit dem Bericht, welche Trends es im regionalen Einzelhandel gibt. Dafür sammelten sie Daten von allen Einzelhandels-Betrieben mit mehr als 650 Quadratmetern Verkaufsfläche. Berücksichtigt wurden damit Geschäfte, die mindestens so groß sind wie kleinere Supermärkte.  


Die gute Nachricht vorab: Verglichen mit 2022 ist die Zahl der Betriebe in etwa gleichgeblieben. „Doch die Gesamtverkaufsfläche ist weiter rückläufig. Mit einem Rückgang um rund 97.000 Quadratmeter auf rund 6,90 Millionen Quadratmeter ist dies eine deutlich stärkere Abnahme als in den Jahren zuvor“, so Jörg Lehnerdt, Regionalleiter bei der BBE Handelsberatung. Diese hat die Erhebung im Auftrag der Ruhr-IHKs durchgeführt.


Eine Ausnahme gibt es nur bei den Lebensmittelgeschäften: Vor allem Discounter werden immer größer. Zahlenmäßig gleichen sie damit den Leerstand einiger Real-Märkte im Ruhrgebiet aus. Besonders in den Innenstädten falle leere Geschäfte auf. Wenn große Kaufhäuser schließen, fällt das deshalb deutlich ins Gewicht. Das zeigt sich auch in Gelsenkirchen, Duisburg oder Hagen: Hier musste Galeria schließen.


„Die Leerstandsquote ist leicht gestiegen und liegt in den Innenstädten im Ruhrgebiet bei 14 Prozent“, so Lehnerdt. Diese Lücken lassen sich nur schwer füllen. Handelsimmobilien mit viel Fläche sind nicht mehr so stark nachgefragt.  


„Unsere Innenstädte müssen sich wandeln. Wir wissen schon länger: Es geht nicht mehr nur ums Einkaufen. Was wir brauchen, ist ein bunter Mix aus Handel, Kultur, Genuss, Erlebnis und Wohnen“, so Dr. Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK und diesjähriger Federführer der Ruhr-IHKs. Der diesjährige Handelsreport nimmt auch die Shopping-Center in den Innenstädten unter die Lupe.


Mit Blick auf die vergangenen Jahre wird deutlich: Die Strukturen müssen ausgeglichen sein. „Wir brauchen Vielfalt, um die Menschen zurück in die City zu bringen. Gemeinsam mit Politik und Verwaltung setzen wir uns dafür ein. Passende Konzepte gibt es nicht von der Stange. Die müssen für jede Stadt individuell entwickelt werden“, so Dietzfelbinger.   


Die Befragung für den IHK-Handelsreport Ruhr fand zwischen März und April 2024 statt. Befragt wurden alle Einzelhändler mit einer Verkaufsfläche von mindestens 650 Quadratmetern. Die Untersuchung erstreckt sich auf die sechs IHK-Bezirke des Ruhrgebiets. Damit sind auch der Kreis Kleve und der Märkische Kreis abgedeckt.  

Der gesamte IHK-Handelsreport Ruhr 2024 ist abrufbar unter:  www.ihkhandelsreport.ruhr


IHK: Scholz sollte zum Stahlgipfel kommen

Bundesweiter Kongress am 16. September in Duisburg  
Duisburg, 4. September 2024 - In der Stahlindustrie brodelt es. Viele Arbeitsplätze hängen am seidenen Faden. Zum Stahlgipfel am Montag, 16. September treffen sich alle wichtigen Akteure aus Politik und Industrie in Duisburgs Mercatorhalle (12 – 20 Uhr). Die Niederrheinische IHK erwartet die Teilnahme von Bundeskanzler Olaf Scholz. „Die Branche, der Standort, die Zukunft der Industrie – zu vieles steht auf dem Spiel. Wir brauchen jetzt ein klares politisches Bekenntnis“, fordert IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Stefan Dietzfelbinger.  


Für den zweiten Nationalen Stahlgipfel haben sich wichtige Entscheidungsträger angekündigt – vom Ministerpräsidenten Hendrik Wüst, über Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bis hin zur Kerstin Jorna, EU-Generaldirektorin für Industrie. Nur ein Name fehlt: Der von Bundeskanzler Olaf Scholz. Dabei könnten Ort und Zeitpunkt nicht besser gewählt sein. Bei seinem Besuch vor zwei Wochen in der Region hatte Scholz das Thema Stahl ausgespart. Jetzt ist es laut IHK an der Zeit, das für Deutschland zentrale Thema aufzugreifen. Die offenkundige Krise an Europas wichtigstem Stahlstandort in Duisburg zeige, dass die Zeit drängt.  


„Die CO2-Ziele wollen wir durch grünen Stahl einhalten, nicht durch stillgelegte Hochöfen. Dann kommt der Stahl aus China. Das ist schlecht für den Standort, für Arbeitsplätze und für die Umwelt“, warnt Dietzfelbinger. „Wissen, das uns in vielen Bereichen zum Weltmarktführer gemacht hat, geht dann verloren. Die Industrie darf nicht weiter abwandern. Wir erwarten, dass Olaf Scholz nach Duisburg kommt. Und zwar mit einem Bekenntnis, wie wir die Industrie zukunftssicher machen“, so Dietzfelbinger, der neben seiner Funktion als IHK-Chef auch für die bundesweite IHK Allianz Stahl spricht: „Stahl muss Chefsache sein.“


Die IHKs beklagen seit langem zu hohe Energiepreise und zu wenig Innovation. „Wir können in Duisburg Wasserstoffregion Nummer eins bleiben. Das geht nur, wenn neue Anlagen und Verfahren nicht endlos geprüft werden. Es lässt sich nicht jedes letzte Risiko abschätzen. Erfahrungen sammeln und lernen sollte das Ziel sein. Nur dann können wir unsere Technologien in die Welt verkaufen,“ betont Dietzfelbinger.

Programm und zu den Teilnehmern des Stahlgipfels:
https://stahl-gipfel.mohr-live.de/programm.php